»Zum Minister dringt keiner durch« |
Tinor Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, ist unzufrieden mit der Performance von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). / Foto: IMAGO/Future Image
PZ: Herr Sorge, Sie haben Herrn Lauterbach als Bundesgesundheitsminister und das Bundesgesundheitsministerium in einem Brief angegriffen und gewissermaßen Planlosigkeit und einen Mangel an Transparenz und Kommunikation vorgeworfen. Gab es inzwischen einen Kontakt mit dem Minister oder dem Haus? Hat sich etwas gebessert aus Ihrer Sicht?
Sorge: Kaum. Das Problem ist weiterhin, dass Herr Lauterbach nicht genug mit den Akteuren redet – übrigens nach dem, was wir aus dem Haus hören, auch zu wenig mit seinen eigenen Leuten im BMG. Er erscheint auch weiterhin nicht zu den regulären Sitzungen des Gesundheitsausschusses, weil er immer wieder angibt, bei anderen Terminen unabkömmlich zu sein. Stattdessen müssen dann außerordentliche Sitzungen abgehalten werden, damit der Minister überhaupt einmal teilnehmen kann. Gerade zu Zeiten einer Pandemie ist das aus meiner Sicht eine Missachtung des Parlaments. Uns als Oppositionsfraktion werden auf Arbeitsebene dann digitale Termine in den Wahlkreiswochen angeboten – also dann, wenn die meisten Abgeordneten oft vor Ort gebunden sind.
PZ: Sie werfen dem Minister auch Zögerlichkeit und Unproduktivität vor. Wichtige Themen würden vom BMG derzeit nicht bearbeitet, was zu Versorgungsproblemen führen könnte, heißt es sinngemäß in Ihrem Brief. Woran genau machen Sie das fest?
Sorge: Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Auf EU-Ebene wird derzeit an einer Modernisierung der Vorgaben zur Zulassung für Medizinprodukte gearbeitet. Unter anderem sind Umstellungen bei den sogenannten »Benannten Stellen« geplant, die die Produkte bewerten. Dieser Reformprozess zieht sich nun aber in die Länge. Viele Länder in Europa meinen darum, dass Deutschland vorangehen sollte, um eine Fristverlängerung für die derzeitigen Regelungen zu fordern, damit die Versorgung gesichert bleibt. Aus dem BMG hört man aber seit Wochen nichts zu diesem Thema. Die Verbände berichten mir, dass man keine Termine im Haus erhalte, keiner dringe zum Minister durch.
PZ: Kommen wir zu einem für die Apotheker wichtigem Thema – das E-Rezept. In die Einführung des E-Rezeptes kam in den vergangenen Jahren Bewegung. Der Minister hat nun aber für das zweite Halbjahr einen Reformprozess für eine Digitalreform angekündigt – unter anderem soll sich ein Expertenkreis bilden, um Ideen für diese Reform zu erarbeiten. Droht der Digitalisierungsprozess dadurch ausgebremst zu werden?
Sorge: Ja, definitiv. Der Digitalisierungsprozess ist schon viel zu weit fortgeschritten, um ihn jetzt wieder anzuhalten oder zu verlangsamen – die Märkte sind teilweise auf Umstellungen vorbereitet, Unternehmen stehen mit neuen Produkten in den Startlöchern. Unser Vorschlag wäre, dass die Gematik künftig nur noch Standards und Prozesse vorgibt, aber keine technischen Lösungen mehr selbst entwirft. Die müssen aus dem Markt kommen.
PZ: Droht dem Gesundheitswesen nicht sehr viel Unheil, wenn man Unternehmen die Technologien von morgen einfach so unreguliert und ohne Leitplanken entwickeln lässt?
Sorge: Gerade die kontrollierende Rolle müssen die Gematik und der Gesetzgeber weiterhin innehaben. Es muss klar geregelt sein, dass beispielsweise eine Krankenkasse und eine Online-Apotheke nicht einfach eine E-Rezept-App entwickeln können, um Patienten aus den Vor-Ort-Apotheken in den Versandhandel zu lotsen. Trotzdem bin ich überzeugt, dass Innovation nur im Markt, im möglichst freien Wettbewerb, möglich ist.
PZ: Zurück zur Lauterbach’schen Gesetzgebung. Vor mehreren Wochen wurde ein erster Entwurf für ein GKV-Finanzstabilisierungsgesetz bekannt. Insbesondere bei der Pharmaindustrie und bei den Apotheken soll gespart werden, um die Finanzlücke der Krankenkassen zu stopfen. Ist dies nach zwei Jahren Pandemie, dem Einsatz der Apotheken und teils instabilen Lieferketten im Pharmabereich aus Ihrer Sicht das richtige Signal?
Sorge: Nein, absolut nicht. Setzt sich dieser Vorschlag durch, würde man zahlreichen Akteuren im Gesundheitswesen einen Bärendienst erweisen. Man kann sich nicht einerseits den Apotheken für ihren einmaligen Einsatz danken und eine verstärkte Arzneimittel-Herstellung in Deutschland fordern, aber gleichzeitig Rabatte erhöhen und Honorare senken. Gerade bei den Apotheken wäre die vorgesehene Sparsumme ohnehin nur ein Tropfen auf den heißen Stein der Milliarden-Lücke. Wir sollten vielmehr eine mutige Debatte über die langfristige Finanzierung des GKV-Systems führen und auch unbequeme Themen wie Beitragserhöhungen und Leistungseinschränkungen ansprechen.
Das Papier-Rezept ist ein Auslaufmodell. Mit dem E-Rezept sollen alle Arzneimittel-Verordnungen über die Telematikinfrastruktur abgewickelt werden. Wir berichten über alle Entwicklungen bei der Einführung des E-Rezeptes. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite E-Rezept.