Im Jahr 2024 war in allen Gruppen ein Anstieg der HIV-Neuinfektionen im Vergleich zum Vorjahr zu beobachten. / © Getty Images/Burak Karademir
Geschätzt rund 2300 Menschen in Deutschland haben sich im vergangenen Jahr neu mit dem Immunschwächevirus HIV infiziert. Der Wert liege um etwa 200 Neuinfektionen höher als 2023, erklärte das Robert-Koch-Institut (RKI) in einem neuen Bericht, der im »Epidemiologischen Bulletin« (47/2025) veröffentlicht wurde. Eine Ansteckung mit dem HI-Virus kann unbehandelt die Immunschwäche-Krankheit Aids hervorrufen.
Das RKI schätzt die Zahlen jedes Jahr anhand von Modellrechnungen. Betrachtet werden Neuinfektionen in Deutschland und von Menschen deutscher Herkunft, die sich im Ausland angesteckt haben. Die Behörde ist dabei auf Schätzungen angewiesen, weil die Infektion oft Jahre nach der Ansteckung festgestellt wird. Die Zahl der Neuinfektionen unterscheidet sich daher von der Zahl der Neudiagnosen, die erfasst werden können.
Die Anzahl der geschätzten HIV-Neuinfektionen bei Männern, die Sex mit Männern haben, lag im Jahr 2024 bei etwa 1300 und damit um etwa 100 höher als 2023, meldet das RKI. Nach der Schätzung haben sich im Jahr 2024 etwa 400 Menschen durch das Spritzen von Drogen mit Nadeln neu mit HIV infiziert (60 mehr als 2023). In dieser Gruppe steigen die geschätzten Neuinfektionszahlen dem RKI zufolge seit 2010 langsam, aber kontinuierlich an. Etwa 590 Menschen steckten sich laut der RKI-Schätzung im vergangenen Jahr außerdem bei heterosexuellen Kontakten an (45 mehr als 2023).
Da HIV in der Regel nicht mehr zum Tod führt, stieg bis Ende 2024 die Zahl der Menschen, die mit einer HIV-Infektion in Deutschland leben, laut RKI auf 97.700. Davon seien etwa 8200 HIV-Infektionen noch nicht diagnostiziert, so die Schätzung. Der Bericht zeigt auch, dass Infektionen häufig spät erkannt werden: Im Jahr 2024 wurden etwa 32 Prozent der HIV-Erstdiagnosen (etwa 1100 von 3500) erst mit einem fortgeschrittenen Immundefekt und davon etwas mehr als die Hälfte (18 Prozent) erst im Vollbild AIDS gestellt.
Fast alle Menschen mit bekannter HIV-Infektion erhalten mittlerweile eine antiretrovirale Therapie: Für das Jahr 2024 wird der Anteil auf 98 Prozent geschätzt. Von diesen Therapien verliefen etwa 96 Prozent erfolgreich – HIV ist dann sexuell nicht mehr übertragbar.
Der Anstieg der HIV-Neuinfektionen zeige, dass es weiterer Anstrengungen bedarf, vor allem um die zielgruppenspezifischen Testangebote und den Zugang zu Therapie und Prophylaxe in der Fläche zu verbessern, so das RKI.
Das sieht auch Sylvia Urban vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe (DAH) so: »Der Anstieg ist noch moderat, aber sehr ernst zu nehmen.« Gerade in Ländern und Kommunen müsse mehr statt weniger getan werden. »Wo in Prävention und Drogenhilfe gekürzt wird, sind steigende Infektionszahlen die logische Folge. Kürzungen müssen zurückgenommen, Präventions- und Testangebote verstärkt werden, dann können die Zahlen auch bald wieder sinken«, sagt Urban.
Die DAH fordert daher, die Drogenhilfe finanziell besser auszustatten, um ausreichend saubere Spritzen zur Verfügung zu stellen. Dies schütze auch vor Infektionen mit Hepatitis-C-Viren. Zudem sollte die HIV-PrEP, eine medikamentöse Prophylaxe für Menschen mit erhöhtem Risiko, noch bekannter und leichter verfügbar werden. Dies gelte auch für Menschen ohne Aufenthaltspapiere oder Krankenversicherung, deren Zugang zur HIV-PrEP und zu Therapien nicht immer gewährleistet ist.
Sorgen bereite auch die weiterhin hohe Zahl später Diagnosen und die wachsende Zahl von Menschen, die noch nichts von ihrer HIV-Infektion wissen. HIV sollte so früh wie möglich erkannt und behandelt werden, um die Folgekrankheiten zu vermeiden und weitere Übertragungen zu verhindern. »Wer ungeschützten Sex hatte, sollte sich auf HIV und andere Infektionen testen lassen«, so DAH-Vorstand Urban.