Wirtschaft & Handel
Gemeinsamkeiten standen im Mittelpunkt der Reden der Marktpartner
anläßlich der Eröffnung der größten internationalen pharmazeutischen
Fachmesse Expopharm im neuen ICM auf dem alten Münchner
Flughafengelände am 1. Oktober. Mit einem klaren Nein wiesen die Redner
den im Juni 1998 vorgelegten Entwurf neuer Arzneimittelrichtlinien des
Bundesaussschusses Ärzte und Krankenkassen zurück. Einig waren sie sich
darin, daß hier Kompetenzen weit überschritten wurden. Entschieden sprach
man sich gegen eine Trivialisierung des Arzneimittels in der
Selbstmedikation aus.
Wenig Verständnis zeigte der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes
(DAV), Hermann-Stefan Keller für die weiteren Sparbemühungen im
Arzneimittelbereich, zumal die Krankenkassenausgaben für Arzneimittel trotz
gestiegener Einwohnerzahl noch auf dem Niveau von 1992 und die verordneten
Arzneimittelpackungen etwa 15 Prozent unter dem Wert von 1992 liegen. Würde in
den anderen Leistungsbereichen des Gesundheitswesens ebenso stark gespart,
könnten die Krankenkassen heute 60 Milliarden DM Überschuß mit ihren
Beitragseinnahmen erwirtschaften und die Beitragssätze erheblich senken.
Bewährte Systemelemente für die Zukunft stabilisieren
Keller wies zugleich die Behauptungen vom teuren Vertriebsweg zurück. Während
der Wertschöpfungsanteil von Großhandel und Apotheken seit 1978 von fast 38 auf
30 Prozent gesunken sei, sei der der Industrie und des Staats von 62 auf fast 70
Prozent gestiegen. Für den Hochkompetenz-Vertriebsweg Apotheke wendeten die
Krankenkassen nur noch 2,7 Prozent ihrer Gesamtausgaben aus. Das sei nur die
Hälfte der Aufwendungen für die Krankenkassenverwaltung. Keller: "Wir müssen
alles tun, die bewährten Systemelemente für die Zukunft weiter zu stabilisieren."
Der Vorsitzende verwies zugleich auf die seitens der Apothekerschaft durchaus
genutzten vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten zusammen mit den Krankenkassen,
wie etwa die tragfähige, aber für keine Seite zum Jubel Anlaß gebende Novellierung
der Arzneimittelpreisverordnung zum 1. Juli 1998. Damit sei eine politische und
gesellschaftliche Akzeptanz wieder hergestellt. Genutzt werde auch die
neugeschaffene Möglichkeit, bei Spezialrezepturen mit der GKV bei den
Zytostatikarezepturen maßgeschneiderte Preise zu vereinbaren, mit dem Ziel, den
Apotheken Planungsicherheit auf dem Feld pharmazeutisch sehr anspruchsvoller
Rezepturen mit innovativen Stoffen zu geben.
"Wir wollen nicht vorwärts in die Vergangenheit, wie manche Kassen, sondern
gestalten mit unserer Politik die Zukunft und fordern die Kassen auf, sich an
Projekten, wie das elektronische Rezept oder die Nutzung und Honorierung
pharmazeutischer Dienstleistungen, zu beteiligen", so Keller, der die Kassen zugleich
vor neuen, von einigen Spitzenverbänden wieder hervorgeholten Störmanövern
nachdrücklich warnte. Die Apotheker fühlten sich nach wie vor verpflichtet, für eine
qualitativ hohe Arzneimittelversorgung der Patienten einzustehen.
Keine Trivialisierung von Arzneimitteln in der Selbstmedikation
Keller warnte pharmazeutische Unternehmen davor, apothekenpflichtige Präparate
in den Freiverkauf zu überführen. Wer diesen Schritt gehe, habe kein Rückfahrticket
mehr. Die Apotheken "haben zu jedem freiverkäuflichen Produkt qualitativ absolut
hochwertige, apothekenpflichtige Alternativen mit attraktiven Preisen, zu denen wir
stehen und die wir unseren Kunden besten Wissens und Gewissens empfehlen
können", so der DAV-Vorsitzende.
Nachdem nun auch Tankstellen den Markt für freiverkäufliche Arzneimittel
entdeckten und diese "zwischen Süßigkeiten, Zigaretten, Öldosen, Pornoheften und
ähnlichem Autozubehör verhökern wollen, wird klar, daß wir gemeinsam gegen die
Trivialisierung von Arzneimitteln in der Selbstmedikation vorgehen müssen", sagte
Keller unmißverständlich. Zugleich betonte er die Beratungsbedürftigkeit der
Arzneimittel und lud alle Hersteller im Selbstmedikationsbereich zur intensiven
Kooperation mit der Marketinggesellschaft Deutscher Apotheker (MGDA) ein.
VFA: Gemeinsam die richtigen Weichen stellen
Der Vorsitzende des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller (VFA), Dr.Horst
Freisler, konstatierte in seiner Rede "eine weitgehende Übereinstimmung in den
Positionen der Apotheker und der forschenden Arzneimittelhersteller", sowohl bei
dem gefundenen Kompromiß bei der Modifizierung der AMPreisVO sowie
bezüglich des Erhalts der Marktstruktur und einer klaren Trennung des
Offizingeschäfts vom Klinikgeschäft. Ein brisantes Thema, das den Apothekertag
ganz besonders beschäftigten sollte. Freisler sprach sich für gemeinsame Gespräche
aus, um gegen den entstandenen grauen Markt vorzugehen.
Erhebliche Zweifel hat der VFA, so sein Vorsitzender, ob sich der Bundesausschuß
Ärzte und Krankenkassen hinsichtlich der Neufassung der Arzneimittelrichtlinien auf
dem richtigen Weg befindet oder vielmehr seine Kompetenz überzieht. Der
Ausschuß scheine sich sowohl als "Juniorgesetzgeber als auch als Bundeschefarzt" zu
fühlen, Funktionen, die ihm nicht zustünden. Zu hoffen bleibe, daß er vom
Bundesgesundheitsministerium in seine Schranken verwiesen werde.
Wie die nachfolgenden Redner sah Freisler aufgrund des Wechsels in der
Bundesregierung für das deutsche Gesundheitswesen bewegte Zeiten voraus, so
insbesondere hinsichtlich der von der SPD favorisierten Positivliste. Gemeinsam, so
sein Kredo, sollte die Verbände für die richtige Weichenstellung im
Gesundheitswesen eintreten.
Vertriebssystem und Apothekenpflicht erhalten
Für den Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI), der in der Mehrzahl
mittelständische Pharmaunternehmen vertritt, ergriff Vorstandsmitglied Dr. Michael
A. Popp das Wort. Seine Anliegen waren der Erhalt des bewährten
Vertriebssystems sowie der Apothekenpflicht aufgrund der Beratungskompetenz der
Apotheker und die Forderung an die neue Bundesregierung, eine weitere
Herausnahme von Arzneimitteln aus der Erstattungsfähigkeit der GKV und die
Listendiskussionen zu beenden, da dies - wie in den Nachbarländern geschehen - zu
einer Verteuerung des Systems führen würde.
Popp kritisierte ebenfalls den Entwurf neuer Arzneimittelrichtlinien: "Der
Bundesausschuß hat eindeutig seine Befugnisse überschritten, da er keine
ausreichende Rechtsgrundlage hat, um Arzneimittel oder Arzneimittelgruppen von
der Erstattung auszuschließen. Leistungsausschlüsse kann lediglich der
Bundesminister für Gesundheit vornehmen".
Die neue Regierung werde daher vom BPI aufgefordert, sich intenvsiv Gedanken zu
machen, inwieweit Instrumentarien wie die Arzneimittelrichtlinien oder Positivlisten
mittelfristig sozial verträglich seien. Popp forderte für seinen Verband zugleich eine
Halbierung der Mehrwertsteuer, wie in vielen europäischen Ländern praktiziert. Die
GKV könne damit um 3,1 Milliarden DM entlastet werden. Abgelehnt werden
Preisverhandlungen außerhalb des festbetragsfähigen Marktes, da dies zu einem
Preisdiktat der GKV führen und insbesondere mittelständische Unternehmen und die
Sicherung von Arbeitsplätzen tangieren würde.
Als eine gemeinsame Aufgabe von Apotheken und Pharmaunternehmen sieht der
BPI das Aufzeigen des Nutzens der Selbstmedikation gegenüber den Patienten. Es
gelte, ihnen den eigenverantwortlichen Beitrag zur Gesundheitsversorgung und
Prävention zu verdeutlichen. Neue Konzepte eröffne die pharmazeutische
Betreuung.
"Klug oder unklug", jeder Unternehmer muß selbst entscheiden
Der Vorsitzende des Bundesfachverbandes der Arzneimittelhersteller (BAH),
Johannes Burges, skizzierte die Verbandspositionen zur zukünftigen Entwicklung des
Arzneimittelmarktes. So setzt sich der BAH für eine Beitragsrückgewähr oder
-absenkung bei Selbstbehalt in der GKV und eine positive Weiterentwicklung der
Selbstmedikation als therapeutisch interessante Option zu Innovationen ein.
Auch der BAH steht vorbehaltlos zur AMPreisVO. Nach wie vor sollten
pharmazeutische Unternehmen ihren Abgabepreis frei festsetzen und auf einen
einheitlichen Apothekenabgabepreis bestehen können. Sonst würde die
funktionierende Arzneimittelversorgung in Frage gestellt. Sichergestellt werde so,
"daß alle Arzneimittel in der Apotheke unmittelbar verfügbar sind beziehungsweise
über den Großhandel in kürzester Zeit verfügbar gemacht werden". Ausdrücklich, so
Burges, bietet der BAH der Apothekerschaft an, partnerschaftlich Einfluß auf die
Zukunft des deutschen Arzneimittelmarktes zu nehmen.
Einschränkend verwies Burges auf die Entscheidungsfreiheit der BAH-Mitglieder
über den Vertriebsweg ihrer Arzneimittel. Es sei allein Sache eines Unternehmens,
ein freiverkäufliches Produkt auch außerhalb der Apotheken zu vertreiben, "ob klug
oder unklug". Burges fügte in einer persönlichen Anmerkung hinzu, seine Firma
werde an der Apothekenexklusivität festhalten.
"Keine Pilotprojekte gegen den vollsortierten Pharmagroßhandel!"
Vor einem anderen Aspekt der Gefährdung des bewährten Vertriebssystem im
Arzneimittelmarkt warnte der Vorsitzende des Bundesverbandes des
pharmazeutischen Großhandels (Phagro), Dr. Bernd Scheifele, der durch den
Regierungswechsel zusätzliches Ungemach für das deutsche Gesundheitswesen
programmiert sieht.
Mit besonderer Sorge betrachtet der Pharmagroßhandel die Aufweichung einer
klaren Trennung der Preisbildung im Bereich der öffentlichen Apotheken und der
Krankenhausapotheken. Er verwies hierzu auf das niedersächsische
Belieferungspilotprojekt öffentlicher Apotheken mit Medizinprodukten und
Hilfsmitteln aus Krankenhausapotheken. Hier werde "offenbar mit Unterstützung von
Apothekerkammer und Apothekerverband" eine konkurrierende Vertriebsschiene
etabliert, und zwar zu Lasten des Pharmagroßhandels. Diesem Spuk müsse ein
baldiges Ende bereitet werden.
Deutlich sprach sich der Phagro-Vorsitzende darüber hinaus gegen eine
Aufweichung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes von Apotheken aus und plädierte
für eine Abschaffung der Kategorie "freikäufliche Arzneimittel". Der Phagro
unterstütze die Forderung "alle Arzneimittel gehören in die Apotheke".
Die Ausstellung, an der sich 450 Firmen auf einer Fläche von 20.000 Quadratmeter
beteiligten, eröffnete der Bayerische Staatsminister für Wirtschaft, Verkehr und
Technologie, Dr. Otto Wiesheu. Er stellte in seiner Rede die führende Rolle Bayerns
in der Medizintechnik sowie der Bio- und Gentechnik heraus.
PZ-Artikel von Erdmuthe Arnold, München
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