Wirtschaft & Handel
Ihre Zahl ging in die Hunderttausende. Sie sorgten in der Zeit des
Hitlerregimes und besonders in den Jahren des Zweiten Weltkrieges dafür,
daß die Versorgung der Bevölkerung weitestgehend funktionierte und der
militärische Nachschub rollte. Zwangsarbeiter aus besiegt geglaubten
Ländern, aber auch aus rassistischen oder politischen Motiven Verfolgte,
auch KZ-Häftlinge, wurden systematisch geknechtet, versklavt, zur Arbeit
gezwungen.
In den vergangenen Monaten schon beschäftigte das Thema immer stärker die
Öffentlichkeit. Seit einigen Tagen hat die Thematik durch die Sammelklage des New
Yorker Staranwalts Ed Fagan gegen 20 deutsche Konzerne an Dynamik und
Brisanz gewonnen. Gegen die Degussa reichte Fagan überdies eine Einzelklage ein.
Hier wird das gesamte Firmenvermögen auf dem Klageweg als Entschädigung
gefordert.
Zu den 20 Unternehmen, gegen die "in einem ersten Schritt", so ein Mitarbeiter der
Kanzlei Fagan & Associates auf Anfrage der PZ, "Klage erhoben werden soll",
gehören keine Nachfolgeunternehmen der früheren IG Farben und keine Betriebe
aus der pharmazeutisch-chemischen Branche. Aus der Kanzlei verlautete allerdings,
daß man derzeit weitere Klagen prüfe. Dies äußerte öffentlich auch der Münchner
Anwalt Michael Witti, der zahlreiche Holocaust-Opfer und deren Erben und
Angehörige vertritt und mit Fagan und dessen Kanzlei im World Trade Center eng
zusammenarbeitet.
Thomas Reinert, Leiter der Information Ausland bei der Bayer AG in Leverkusen,
machte der PZ deutlich, daß der Konzern als eines der Nachfolgeunternehmen der
IG Farben Industrie AG, die sich auch heute noch in Liquidation befindet, juristisch
zweifellos keine Rechtsnachfolgerin sei. Dies stehe außer Frage. Sehr wohl
problematisch sei es, sich hier ausschließlich auf den Rechtsstandpunkt
zurückzuziehen. Nach Angaben des Bayer-Sprechers sei es so, daß die IG Farben
im Rahmen des Wollheim-Verfahrens im Jahr 1957 über 27 Millionen DM
Entschädigungsleistungen zahlen mußte. Seinerzeitwurde zusätzlich der Passus
verfaßt, daß es nach der Leistungserbringung keine weiteren Ansprüche mehr gebe.
Reinert: "Es ist unglaublich schwierig, in irgendeiner Weise Schuld und Pflicht zu
leisten oder zu definieren. Dieses traurige Ende ist eine nationale Angelegenheit."
BASF übersandte ihre Stellungnahme per Fax. Darin heißt es: "Die BASF
Aktiengesellschaft ist 1952/53 als neues Unternehmen aus der Entflechtung der IG
Farben Industrie AG in Liquidation hervorgegangen, die durch die alliierte
Kontrollratsgesetzgebung angeordnet wurde. Nach deren klaren Reglungen, die
auch heute noch Gültigkeit besitzen, können sich Ansprüche ehemaliger in den
Werken der IG Farben beschäftigter Zwangsarbeiter nicht gegen die BASF
Aktiengesellschaft, sondern nur gegen die IG Farben Industrie AG i.L. richten, die
auch heute noch besteht. Diese Gesellschaft hat bereits 1957 in einem Vergleich mit
der Conference on Jewish Material Claims 30 Millionen DM zur Entschädigung von
Zwangsarbeitern bezahlt."
Insgesamt wird wohl die Zulassung und die realistische Einschätzung der
Erfolgsaussichten der ersten Klagen abgewartet, bevor es zu weiteren Schritten
möglicher Kläger und deren Anwälte kommen wird.
PZ-Artikel von Thomas Bellartz, Frankfurt am Main
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