Wirtschaft & Handel
Für das, was die Mühle
produzierte und womit sie Bäckereien und Brotfabriken
belieferte, für das schöne weiße Feinmehl,
interessierte sich der Dr. Grandel überhaupt nicht.
Statt dessen experimentierte er mit den Abfällen, die
die Mühle als Viehfutter verkaufte.
"Was wollen Sie mit den Keimen?"
fragte der Obermüller. "Die schmecken bitter und
werden schnell ranzig. Keime sind allenfalls für Viecher
gut." "Denen geht es gut dabei und den Menschen
immer schlechter", entgegnete Grandel. Das war im
Jahr 1936. Ihm war damals schon klar, daß das
Wertvollste am Weizenkorn der ölhaltige Keim ist. Nur
wurde der zusammen mit den Randschichten in der modernen
Hochmüllerei entfernt.
So beschreibt ein altes Merian-Heft über Augsburg die
Weitsicht und den Scharfsinn des Firmengründers der
heutigen Dr. Grandel GmbH. Mittlerweile schaut das
Unternehmen auf 50 Jahre Firmengeschichte zurück, und
aus dem einstigen Familienbetrieb ist ein
mittelständisches Unternehmen mit 230 Beschäftigten in
mehr als 40 Ländern geworden. Der beste Beweis also,
daß es sich lohnt, an seiner Vision gepaart mit
wissenschaftlichen Erkenntnissen festzuhalten und diese
konsequent durchzuziehen. Die Geschäftsführung liegt
heute in den Händen des Sohnes, Michael Grandel.
Scharfsinn und Weitblick
Dr. Felix Grandel, Chemiker und Diplomlandwirt, war
seiner Zeit voraus: In den 30er Jahren hat noch kein
Mensch von "Denaturierung" gesprochen. Diesen
Begriff hat der Zeitgeist erst Jahre später nach oben
gespült. Grandel war aber bereits überzeugt, daß sich
der Mensch durch den Aufschluß von Nahrungsmitteln, also
der Denaturierung, ernährungs-physiologisch keinen
Gefallen tut. Er wußte, daß im Getreidekeim auf engstem
Raum alle für die werdende Pflanze nötigen Nährstoffe
enthalten sind: fett- und wasserlösliche Vitamine,
Fermente, Pflanzenhormone, Mineralsalze und
Spurenelemente. Kein Grund, die Keime ins Tierfutter
wandern zu lassen. Vielmehr müssen sie für die
menschliche Ernährung erschlossen werden.
In der Pfladermühle in Augsburg, die Grandel 1935 von
seiner Mutter erbte, konnte er seiner Experimentierfreude
nachgehen. Er entwickelte ein spezielles
Fermentierungsverfahren, um den Weizenkeim zu entbittern
und für eine gewisse Zeit haltbar zu machen, ohne seinen
biologischen Wert zu mindern. Außer den Vitaminen der
B-Gruppe ist der Keim randvoll mit Vitamin E. Auch die
zellstoffreichen Randschichten des Weizenkorns, die bei
der Hochmüllerei fortfallen, rettete Grandel:
Weizenkleie liefert Ballaststoffe. Unter der Marke
Keimdiät belieferte Grandel ab 1939 Reformhäuser mit
Aufbaumitteln.
In den Kriegsjahren mußte Grandel seine Arbeit als
Jungunternehmer unterbrechen und konzentrierte sich auf
seine Tätigkeit bei einem Forschungsinstitut in
Emmerich. Dort leitete er ein Großlabor für Fettchemie
und erforschte essentielle Fettsäuren und den
Fettstoffwechsel der Haut. Nach dem Krieg wagte er einen
Neubeginn und gründete 1947 die Keimdiät GmbH, die er
beim Registergericht in Augsburg anmeldete.
Schweinebraten statt Vitamine und Ballaststoffe
Die ersten Jahre gestalteten sich äußerst zäh.
Schließlich träumte man in den 50er Jahren lieber von
Schweinebraten und Eisbein; mit Ballast- und Vitalstoffen
konnte man niemanden so recht locken. Der Aufschwung kam
erst nach Abebben der Freßwelle Mitte der 50er Jahre.
Der Durchbruch gelang dem Augsburger Unternehmen mit dem
Herz-Kreislauf-Tonikum Granoton, einer Emulsion mit
Vitamin E und Weizenkeimvollextrakt zur Steigerung der
Leistungsfähigkeit. Außerdem im Programm: das
Naturheilmittel Phytogran, ein pflanzliches
Beruhigungsmittel, oder das Vitalstoffpräparat Molat mit
Lecithin, Vitamin B1 und E. Eine Kosmetik-Linie mit
Weizenkeimextrakten (Epigran) gesellt sich zum Sortiment.
Um den Absatz der Dr. Grandel-Produkte auf eine breitere
Basis zu stellen, kümmerten sich schon bald
Tochtergesellschaften um den Vertrieb der Produkte über
Apotheken und Kosmetikinstitute. Die Keimdiät wurde
über die neuform-Reformhäuser an den Kunden gebracht.
Wachablösung 1977: Der 72jährige Felix Grandel
verstirbt völlig überraschend. Sein 23 Jahre alter Sohn
Michael hat sein Studium jedoch noch nicht beendet, so
daß zunächst Wegbegleiter des Vaters die Geschicke der
Firma weiterlenken. 1985 wird der Diplom-Ökonom Michael
Grandel zum alleinigen Geschäftsführer benannt. Neuer
Kopf, neues Gedankengut: Die Kosmetik-Linie wird
forciert, 1994 übernimmt Dr. Grandel von der Stada AG
die Apotheken-Kosmetik Shoynear. Die Palette mit
Nahrungsergänzungsmitteln - allen voran Acerola - wird
erweitert.
Heute umfaßt die Fertigproduktpalette circa 650
verschiedene Artikel, für die insgesamt 3000
unterschiedliche Rohstoffe, Wirkstoffe und Komponenten
bereitgehalten oder beschafft werden. Die Logistik wurde
verbessert: Früher wurde viel auf Vorrat produziert,
heute werden nur noch Ausgangsmaterialien bestellt, die
man auch verkauft. Monatlich werden bis zu 100.000
Auftragspositionen abgewickelt und mehr als 10.000
Sendungen verlassen die Werke.
Michael Grandel richtete die Firma international aus: Mit
eigenen Gesellschaften in England, USA, Holland, Italien,
Österreich und Japan versucht der Geschäftsführer nach
eigenen Worten die Risiken zu streuen. Trotzdem setze er
auf den Produktionsstandort Deutschland, weil das Label
"Made in Germany" weltweites Ansehen genieße.
1990 wird die Dr. Grandel-Gruppe neu geordnet, die GmbH
wird zu operativen Holding, was mit einer
Kapitalerhöhung von 5 Millionen auf 7 Millionen DM
einhergeht. 1996 erwirtschaftete die Dr.-Grandel-Gruppe
einen konsolidierten Nettoumsatz von 65 Millionen Mark.
Nach stetigem Umsatzwachstum ist dies zum ersten Mal eine
Stagnation.
PZ-Artikel von Elke Wolf, Oberursel
© 1997 GOVI-Verlag
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