Wirtschaft & Handel
Weil wirkungslose Microvlar-Placebos in Brasilien auf den Markt
gelangt sind, muß die brasilianische Tochter des deutschen Pharmakonzerns
Schering mit einer Geldstrafe von umgerechnet 4,55 Millionen DM rechnen.
Das soll ein Sprecher des Sekretariats für Wirtschaftsrecht am 1. Juli in der
Hauptstadt Brasilia bestätigt haben, meldete die Nachrichtenagentur dpa.
Verhängt werde eine Höchststrafe im Rahmen des brasilianischen
Verbraucherschutzgesetzes.
Der Schering-Konzern selbst teilte in einer Presseinformation mit, offiziell von dieser
Entscheidung nicht unterrichtet worden zu sein.Die polizeilichen Ermittlungen seien
noch gar nicht abgeschlossen. Zugleich wurden die erhobenen Vorwürfe
zurückgewiesen. Die Tochtergesellschaft Schering do Brasil habe definitiv keine
Placebos in den Handel gebracht und sei selbst ein Opfer krimineller Handlungen
geworden. Zum Probelauf einer neuen Verpackungsmaschine seien, wie in solchen
Fällen üblich, Packungen mit Placebo-Tabletten hergestellt worden, die Milchzucker
mit einem Überzug aus Zuckerguß enthielten. Diese seien nach dem Probelauf zur
Entsorgung an eine Drittfirma übergeben worden. Die von der Gesundheitsbehörde
in Sao Paulo überprüfte Dokumentation belege eine ordnungsgemäße Abwicklung
der Betriebsabläufe. In Absprache mit der zuständigen Gesundheitsbehörde habe
Schering sofort in den brasilianischen Tageszeitungen Anzeigen geschaltet, um die
leicht identifizierbare Testcharge zu beschreiben und den Verwenderinnen
Gelegenheit zu geben, ihre bereits gekauften Microvlar-Packungen zu überprüfen.
Ihnen sei zugleich dringend empfohlen worden, keinesfalls die Einnahme des
Originalpräparats zu unterbrechen und im Zweifel sich vorsichtshalber durch weitere
Verhütungsmaßnahmen (Kondome) zu schützen. Zusätzlich seien alle im Handel
befindlichen Microvlar-Packungen zurückgerufen worden.
Als absolut überhöht wies Schering Angaben aus Brasilien zurück, wonach 50.000
Packungen mit den Placebos im Umlauf seien. Bisher hätte die Tochtergesellschaft
nur zwei solcher Packungen zurückerhalten, eine dritte sei im Fernsehen gezeigt
worden. Insgesamt fünf Frauen hätten sich gemeldet, die angaben, aufgrund
wirkungsloser Microvlar-Pillen schwanger geworden zu sein. Nach Einzelprüfungen
wolle Schering sich mit den Frauen kulant einigen, wie eine Sprecherin am 2. Juli auf
dpa-Anfrage in Berlin mitteilte.
Aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang zwei Berichte, einmal in der
Frankfurter Rundschau vom 4. Juli von deren Korrespondenten Carl Goerdeler und
zum anderen von Apotheker Udo Ament im Rundbrief des Vereins demokratischer
Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP) Nr. 44/98. Ament hatte während
seines Urlaubs in Brasilien wegen eines harten Kampfes mit einem deutschen
Schäferhund mehr als ihm lieb war mit Krankenhäusern und Apotheken zu tun. Die
Berichte zusammengenommen gibt es in Brasilien 55 000 Apotheken, die von 7000
Großhändlern beliefert werden. Gearbeitet wird meist unkontrolliert. Es haben sich
im Pharmamarkt mafiose Strukturen gebildet, und es ist absolut nicht die Regel, in
einer Apotheke auf einen Pharmazeuten zu treffen. So wie es aussieht, ist Schering
darüber hinaus Opfer neu anstehender Regierungswahlen. Jedenfalls soll der
Gesundheitsminister José Serra die Gunst der Stunde nutzen und sich in dem neuen
Fälschungsskandal als "Mann der kleinen Leute" profilieren.
PZ-Artikel von Ermuthe Arnold, Eschborn
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