Wirtschaft & Handel
Der Blick über den Tellerrand
in die Zukunft
Die Stuttgarter Bürger
entschieden sich am vergangenen Wochenende für einen
neuen Bürgermeister; 200 Apothekerinnen und Apotheker
aus Baden-Württemberg entschieden sich für einen Blick
über den Tellerrand und machten sich bei "Apotheken
Zukunft Live" Gedanken über die Zukunft des
Berufsstandes. In seiner Eröffnungsrede forderte der
stellvertretende Präsident der Landesapothekerkammer
Baden-Württemberg, Fritz Becker, die Apothekerinnen und
Apotheker auf, sich den Veränderungen im
Gesundheitswesen zu stellen.
Aufzuhalten sei die Entwicklung ohnehin nicht, so der
LAV-Vize. "Der Sturm wird kommen, egal ob wir bei
den ersten dunklen Wolken den Kopf in den Sand stecken
oder nicht. Wer sich nicht bewegt, wird bewegt." Den
Vorwurf, mit dieser Veranstaltung negative Entwicklung
erst herbei zu reden, ließ er deshalb nicht gelten.
"Der böse Wolf läßt sich nicht wegdiskutieren,
wenn er bereits in der Tür steht." Auf der Suche
nach der neuen Rolle der Apotheker, müsse sich der
Berufsstand von der starken GKV-Abhängigkeit lösen. Die
Probleme mit der Finanzierbarkeit der optimalen
Arzneimittelversorgung und den Budgetüberschreitungen
zeigten, daß die gesetzlichen Krankenkassen den
Apothekern langfristig keine sichere Zukunft
garantierten.
Becker sieht den Apotheker des 21. Jahrhunderts vor allem
als Dienstleister mit Spürsinn für die Wünsche seiner
Kunden. Prävention, Selbstmedikation und
Arzneimittelauswahl seien die Schlagworte, mit denen sich
die apothekerlichen Aufgaben charakterisieren ließen.
Dazu sei es notwendig, "über den Tellerrand des
Apothekenwesens hinaus in die Töpfe anderer
Berufsgruppen zu blicken".
Die eigene Freiheit für den Patienten einsetzen
Bei seinen Bestrebungen, sich neu im Gesundheitswesen zu
positionieren, dürfe der Apotheker jedoch nicht seine
soziale Verantwortung aus den Augen verlieren, mahnte der
Pariser Politologe und Publizist Professor Dr. Alfred
Grosser. Die sozialen Errungenschaften der europäischen
Staaten hätten die Lebensqualität vieler Menschen
verbessert, ihr Preis sei aber hoch. Keine Berufsgruppe
dürfe sich deshalb der Solidargemeinschaft entziehen.
"Die Berufung eines Menschen darf er nicht nur im
Beruf finden."
Schließlich habe es der Apotheker der gesetzlichen
Krankenversicherung zu verdanken, daß er in den
vergangenen Jahrzehnten über ein relativ sicheres
Einkommen verfügen konnte. Ohne die GKV könnten viele
Menschen ihre Behandlungs- und Medikationskosten nicht
bezahlen, so die Argumentation des Politologen. Sie mache
den Apotheker unabhängig von kurzfristigen
profitorientierten Entscheidungen und gebe ihm die
notwendige Freiheit für sein Handeln.
In das hohe Lied von der Eigenverantwortung des Patienten
will Grosser nicht vorbehaltlos einstimmen. Der Kranke
sei auf Medikamente angewiesen, deren Wirkung er oft
nicht beurteilen könne, Werbeanzeigen in Frauen- und
Gesundheitszeitschriften versuchen, ihn zu manipulieren.
In dieser Situation sei kaum ein Patient in der Lage,
tatsächlich die Verantwortung für sich selbst zu
übernehmen.
Aus diesem Grund betrachtet Grosser auch die
Selbstmedikation mit Skepsis. Viele Menschen mit
Problemen nehmen Medikamente, die sie nicht benötigen.
Medikamente dürften aber kein Ersatz für menschlichen
Kontakt sein. Hier sei der Apotheker in der
Verantwortung, vom Medikament abzuraten. Der Politologe
zweifelt aber am Willen zumindest der französischen
Apotheker dazu. So habe ein französischer
Verbraucherverband in 100 Apotheken eine fingierte
Verordnung von mehreren Medikamenten vorgelegt, deren
Kombination schwerste Nebenwirkungen hervorrufe. 97
Apotheken hätten die Medikamente trotzdem kommentarlos
abgegeben.
Die Apotheker sollten ihre Freiheit vor allem für ihre
Patienten einsetzen. Wer seine Aufgabe darin sehe, soviel
wie möglich zu verkaufen, zerstöre die Schönheit
seines Berufes, denn er opfere seine Verantwortung der
Profitgier. Nur wenn die Apotheker ihre Freiheit in den
Dienst des Kunden stellten, sei dieser frei, die
richtigen Entscheidungen für seine Gesundheit zu
treffen.
Wer ist der "Smart Shopper" und in
welche Apotheke geht er?
Wer kundenorientiert arbeiten will, muß seine Klientel
gut kennen. Der "Smart Shopper" verkörpert
eine neue Generation von Kunden, die sowohl preis- als
auch qualitätsbewußt einkauft. Der Smart Shopper
will Markenware zum niedrigen Preis",
charakterisierte Professor Dr. Claudius Schmitz von der
Fachhochschule in Düsseldorf einen Kundentypus, der nach
seiner Meinung auf dem Vormarsch ist.
Der Smart Shopper ist in der Regel zwischen 20 und 39
Jahre alt und verfügt über ein Einkommen unter 4000 DM.
Er hat von der Rezession gelernt und blickt deshalb
skeptisch in die Zukunft. Da sein Haushaltsbudget
begrenzt ist, managt er seine Ausgaben professionell.
Smart Shopper haben in der Regel viel zu tun, deshalb
kaufen sie nach der Devise Qualität gegen Preis und Zeit
ein. Bedienung und Service müssen deshalb stimmen.
Prinzipiell bedeuten ihm materielle Werte weniger als
immaterielle. Beim Einkauf bevorzugt er deshalb Marken
von Herstellern, deren Verhalten politisch korrekt ist.
Das Erscheinungsbild einer heutigen Apotheke entspricht
nach Schmitz Erkenntnissen nicht den Vorstellungen der
Smart Shopper. Von ihm befragte Studenten verbanden mit
der Apotheke vornehmlich negative Attribute wie
altmodisch, autokratisch, uniform oder klinisch. Weiße
Kittel als Arbeitskleidung lehnten sie ab.
Apotheker, die diesen Kundenkreis für sich gewinnen
wollen, sollten ihrer Apotheke zuerst ein modernes und
unverwechselbares Erscheinungsbild verleihen. Das
Schaufenster muß als Kundenfang Schlüsselreize
ausstrahlen, die den Kunden in die Offizin locken.
Die Sonnencremewerbung aus den siebziger Jahren
bringt niemanden in die Apotheke, denken Sie sich etwas
ganz Neues, Ungewöhnliches aus." Über ein gezielt
ausgewähltes Randsortiment seien die jungen Kunden
ebenfalls anzusprechen. Kosmetika, Ernährungs- oder
Impfberatung seien attraktive Angebote für diese
Zielgruppe.
PZ-Artikel von Daniel Rücker,
Stuttgart
© 1996 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de