Wirtschaft & Handel
Der Gesundheitsmarkt ist in Bewegung geraten. Die Diskussion über
den Versandhandel wird inzwischen auch von außen nach Deutschland
hereingetragen. Dazu kommt das verstärkte Engagement von SB-Ketten im
Arzneimittelbereich. Tatsachen, die nicht nur für die Apotheken
existenzbedrohend sind, sondern auch den Großhandel tangieren. Im
Gespräch mit Dr. Bernd Scheifele, dem Vorstandsvorsitzenden der Phoenix
Pharmahandel AG & Co, wollte die Pharmazeutische Zeitung wissen, wie der
Großhandel sich auf diese Veränderungen einstellt.
PZ: Herr Dr.Scheifele, im OECD-Bericht ist einmal mehr der Fremd- und
Mehrbesitz sowie der Versandhandel für die Bundesrepublik Deutschland als
Lösung für richtiges Kostenmanagement im Gesundheitswesen empfohlen worden.
Wie stellt sich die Phoenix AG als ein in Europa aktives Unternehmen zu diesen
Empfehlungen?
Dr. Scheifele: Der wichtigste Punkt bei der Beurteilung der OECD-Studie ist die
Frage der wissenschaftlichen Lauterkeit. Wieweit sind die Vorschläge empirisch
belegt? In diesem Punkt bleibt der OECD-Bericht einiges schuldig. Das gilt
besonders für die plakativen Vorschläge Versandhandel und Wettbewerb auf der
Apothekenebene und ebenso für die Begründung, damit Einsparungen im
Gesundheitswesen zu erzielen. Der Beweis, ob damit zum Beispiel in anderen
europäischen Staaten oder den USA Kosten eingespart wurden, wird nicht
erbracht. Wir lehnen den Versandhandel deshalb ab.Was die Forderung nach
Aufhebung des Verbotes von Fremd- und Mehrbesitz anbelangt, ist die Position
unseres Hauses und des Phagro ebenfalls bekannt. Auch das lehnen wir ab. Wir
sehen auch in diesem Bereich nicht, wie dadurch Kosten eingespart werden können.
Das ist übrigens in dem OECD-Bericht auch nicht belegt. Wir glauben, daß es nicht
sinnvoll ist, angloamerikanische Elemente in unser Gesundheitswesen einzubringen,
die dort in einem anderen Zusammenhang stehen und bei uns nur kontraproduktiv
wären.
PZ: Leider gibt es insbesondere in der EU-Kommission durchaus Bestrebungen,
zum Beispiel in der Person Bangemann, auch in Deutschland Fremd- und
Mehrbesitz einzuführen und den Versandhandel für Arzneimittel in Europa
zuzulassen. Glauben Sie, daß es der deutschen Apothekerschaft weiterhin gelingen
wird, das Fremd- und Mehrbesitzverbot für Deutschland zu erhalten, und wie sieht
die Unterstützung des Großhandels aus ?
Dr. Scheifele: Vor einem Jahr war ich noch sehr zuversichtlich, daß sich Fremd-
und Mehrbesitz in Deutschland mit hoher Wahrscheinlichkeit dauerhaft verhindern
lassen. Aber die Zeichen der Zeit haben sich in den letzten 12 bis 15 Monaten
geändert. In unseren Nachbarländern gibt es entsprechende Bewegungen. In
England haben wir traditionell Fremd- und Mehrbesitz. Die dort tätigen
Großhandlungen investieren weiter mit zweistelligen Millionenbeträgen in die
Erweiterung ihrer Ketten. Das scheint für sie lukrativ zu sein. Wir müssen feststellen,
daß in Holland zum Jahreswechsel das Fremd- und Mehrbesitzverbot fallen wird
und wir haben auch klare Erkenntnisse, daß insbesondere englische Großhandlungen
in Holland tätig sind und Apotheken eröffnen. Dritter Punkt ist die Schweiz, wo es in
Solaturn den Versandhandel gibt, der von einer Versicherungsgesellschaft eröffnet
wurde. Damit wurde ebenfalls das Verbot von Fremd- und Mehrbesitz ausgehebelt.
Gerade diese Entwicklungen in den unmittelbar angrenzenden Nachbarstaaten sehe
ich als sehr problematisch an, insbesondere bezogen auf die möglichen
Ausstrahlungen nach Deutschland. Deshalb bin ich etwas skeptischer geworden.
Dennoch wird sich die Phoenix für das bewährte System einsetzen, denn unsere
Kundschaft ist ausschließlich die Individual-Apotheke.
PZ: Diese Strukturveränderungen würden für Deutschland Gesetzesänderungen
bedeuten. Diese müssen durch Impulse angestoßen werden, oder das geltende
Gesetz muß in Frage gestellt werden. Sehen Sie in Deutschland Bestrebungen in
Richtung Versandhandel oder Fremd- und Mehrbesitz irgendwelcher Gruppen aktiv
zu werden ?
Dr. Scheifele: In Deutschland sehe ich auf der politischen Ebene keine politischen
Mehrheiten für Fremd- und Mehrbesitz. Fremd- und Mehrbesitz ist hier nicht
konsensfähig, da Deutschland wirtschaftlich von einer Mittelstandsstruktur
wirtschaftlich geprägt ist. Es besteht keine Bereitschaft, Familienbetriebe dem
ungezügelten Wettbewerb von Handelsketten auszusetzen und damit
mittelstandsfeindliche Politik zu betreiben. Das gilt auch für eine
Rot-Grüne-Koalition. Andererseits ist die Politik sehr wetterfühlig.
PZ: Sind Ihnen Aktivitäten bekannt, dies über ein Verfahren beim europäischen
Gerichtshof zu erreichen?
Dr. Scheifele: Soweit ich informiert bin, liegt die Frage des Fremd- und
Mehrbesitzes in der Kompetenz der einzelnen Staaten. Es ist also nicht möglich,
über Brüssel einen Zwang zur Harmonisierung auf englischem Niveau zu erzwingen.
Das gilt ja auch für den Versandhandel. Es gibt kein einheitliches Verbot in Europa,
jeder einzelne Staat muß das für sich regeln. Mit der 8. AMG-Novelle hat der
Bundesgesundheitsminister bezüglich des Versandhandels sein klares Nein noch
einmal verstärkt.
PZ: Stichwort Versandhandel: Er wird inzwischen nicht nur national oder europäisch
versucht sondern durch Internet auch global organisiert. Welche Strategien
entwickelt der Großhandel und inbesondere auch Ihre Firma gegen den
Versandhandel, denn auch Ihre Umsätze werden dadurch tangiert?
Dr. Scheifele : Ausgangpunkt der Strategie gegen Versandhandel über Internet
muß die Arzneimittelsicherheit sein, um in der politischen Diskussion deutlich zu
machen, daß Arzneimittel Waren besonderer Art sind und nicht mit Lebensmitteln
oder Konsumgütern gleichzusetzen sind. Internet kann sicherlich in vielen Branchen
zur Verkürzung der Vertriebskanäle und zu einer Verbilligung des Endproduktes für
den Verbraucher führen. Beim Arzneimittel ist das nicht sinnvoll. Ich wage einmal die
Prognose, daß die Euphorie um Versandhandel und Internet sehr schnell umschlagen
wird, wenn es den ersten Fall gibt, daß bei einem Verbraucher aufgrund eines
Arzneimittels, das über Internet oder illegalen Versandhandel bezogen wurde,
schwerste gesundheitliche Schäden aufgetreten sind. Das würde dazu führen, daß
der Ortholiberalismus in diesem Bereich durch eine in Deutschland übliche
Überreglementierung abgelöst wird. Wir sind zur Zeit dabei, zusammen mit dem
Phagro und den Apotheken, juristisch gegen Bestellungen über Internet vorzugehen.
Es gibt eine Arbeitsgruppe, die sich damit beschäftigt.
PZ: Eine weitere Bedrohung des etablierten Arzneimittelversorgungssystems wird in
dem Engagement der SB-Kette Aldi, ein eigenes Arzneimittelsortiment anzubieten,
gesehen. Wie bewerten Sie diese Aktivitäten? Und welche Auswirkungen wird das
auf den Großhandel haben?
Dr. Scheifele: Ich glaube diese Aktivitäten muß man in einem größeren
Zusammenhang sehen. Zunächst muß einem klar werden, über welches Volumen wir
dabei reden. Dieser Markt der freiverkäuflichen Arzneimittel beläuft sich nach
meiner Kenntnis auf circa 2 Milliarden DM, davon werden ungefähr 1,2 Milliarden
DM außerhalb der Apotheke und der Rest innerhalb der Apotheke realisiert, wobei
das Wachstum dieser Märkte außerhalb der Apotheken deutlich größer ist als in den
Apotheken. Deshalb aber von einer Gefährdung der Apotheke oder des
Großhandels zu reden, ist zu pauschal. Wir müssen uns die einzelne Apotheke
anschauen und mit dem einzelnen Apotheker darüber sprechen, inwieweit er durch
diese Aldi-Aktivität tangiert ist. Die Apotheken, die wenig GKV-Anteil haben,
werden sich einer ganz anderen Bedrohung ausgesetzt sehen, als die Apotheken mit
hohem GKV-Anteil. Deshalb wird es für Phoenix wichtig sein, individuell mit den
Apothekern zu sprechen und ihnen Hilfen anzubieten. Wir werden dies auf jeden Fall
machen. Es gibt aus meiner Sicht zwei Möglichkeiten zu reagieren. Entweder man
geht auf den Preiswettbewerb ein, dann ist man gefordert, ihm entsprechende
Konditionen zu bieten, oder man läßt sich nicht auf den Preiswettbewerb ein,
sondern versucht über die pharmazeutische Kompetenz und Beratung den Kunden
an seine Apotheke zu binden. Ich bin der Meinung, jeder Apotheker als
Unternehmer muß für sich selbst entscheiden, welche Strategie für ihn richtig ist. Wir
fühlen uns in dieser Sache so angegriffen, wie unsere Kunden sich angegriffen fühlen.
PZ: Herr Dr. Scheifele, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
PZ-Interview von Hartmut Morck, Mannheim
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