Wirtschaft & Handel
Der Selbstmedikationsmarkt boomt. Die Apotheker merken nur wenig
davon, da die Umsatzzuwächse außerhalb der Apotheke stärker als in den
Offizinen sind. Die Befürchtung, daß sich der Selbstmedikationsmarkt an
der Apotheke vorbeientwickeln könnte, bewegt nicht nur die Apotheker,
sondern auch die Pharmaindustrie, die auf Apothekenexklusivität setzt.
Ratiopharm möchte in diese Entwicklung eingreifen und mit dem Konzept
"Pharmadies" "paradiesische Zustände" in den Apotheken schaffen. In einem
Gespräch mit der Pharmazeutischen Zeitung stellte Andreas Kierndorfer,
Geschäftsführer Marketing und Vertrieb bei Ratiopharm, das Konzept vor.
Vor gut einem Jahr machte Ratiopharm auf sich aufmerksam, weil Warenzeichen wie
ratio-shop oder ratiopharm-Apotheke eingetragen werden sollten. Die Apotheker
befürchteten den Einstieg des Generikaherstellers in das System der
Kettenapotheken. Inzwischen ist aus den damaligen beantragten Warenzeichen das
Pharmadies-Konzept geworden, mit dem Ratiopharm sich laut Aussage ihres
Geschäftsführers offensiv für den Erhalt der individuellen Apotheken einsetzen will.
Motivation für dieses Konzept ist die Sorge, daß andere Vertriebskanäle mit eigenen
Strategien den Verbraucher vom Einkauf in den Apotheken fernhalten möchte.
Neueste Spekulationen gehen dahin, daß Kaufhausketten Pharmazeuten einstellen,
um ihre Gesundheitsabteilungen mit pharmazeutischer Kompetenz auszustatten.
Solche Entwicklungen, so Kierndorfer, treffen nicht nur die Apotheken, sondern
auch die apothekenexklusiven Arzneimittelhersteller wie Ratiopharm. "Wir wollen
apothekenexklusiv bleiben, deshalb müssen wir überlegen, wie wir den Kunden
dorthin bekommen, wo es unsere Waren gibt, also in die Apotheken, und wie wir
ihn überzeugen können, daß er in der Apotheke am richtigen Platz ist."
Die Antwort von Ratiopharm auf diese Frage ist Pharmadies, ein Aktionskonzept,
das im Oktober 1998 starten wird. Der Name wurde abgeleitet vom Wort Paradies.
Dieser Begriff soll nach Wunsch der Initiatoren dem Kunden das Gefühl suggerieren,
daß er in der Apotheke die paradiesischen Zustände des Gesundheitswesens
erleben kann, in Form guter Arzneimittel und guter Artikel aus dem
Ergänzungssortiment sowie gute und fachkompetente Beratung.
Das Konzept wird getragen von der Grundidee, die Apotheke nicht zum Ort des
Preisdumpings verkommen zu lassen. Pharmadies soll dem Kunden zeigen, daß die
Apotheke neben den Waren noch mehr anbietet: pharmazeutische Kompetenz,
Sachverstand und Beratung.
Mittel zum Zweck sollen apothekenübliche Waren nach § 25 der
Apothekenbetriebsordnung werden. Kierndorfer: "Aus diesem Bereich wollen wir
interessante Artikel auswählen und diese mit Aktionen dem Endverbraucher
näherbringen. Mit entsprechender Werbung soll der Kunde in die Apotheke geholt
werden und dort erfahren, daß er hier mehr bekommt als in Selbstbedienungs- oder
Drogeriemärkten. Die Artikel sollen mit Informationsqualität kombiniert werden."
In diesem Dachmarkenkonzept werden Monat für Monat sechs bis acht
verschiedene Artikel in einer Aktion zusammengefaßt und groß beworben.
Ratiopharm hat allein für die Bewerbung des Pharmadies-Konzeptes pro Jahr 40
Millionen Mark bereit gestellt. In der zweiten Septemberhälfte wird die Aktion mit
TV-Spots vorangekündigt. Gleichzeitig startet eine bundesweite Plakataktion. Zu
Beginn jedes Monats wird im Fernsehen für die Monatsaktion geworben.
In Anlehnung an ähnliche Aktionen in anderen Bereichen sollen die Apotheken nicht
mit Ware zugeschüttet werden. Es wird vielmehr das Prinzip der künstlichen
Verknappung verfolgt. Die Apotheken sollen gerade mit soviel Ware bestückt sein,
daß die Artikel nach zwei Wochen abverkauft sind. Kierndorfer: "Der Verbraucher
soll sich schnell entscheiden müssen, den interessanten Artikel aus der Apotheke zu
kaufen. Ansonsten läuft er Gefahr, daß der Artikel ausverkauft ist."
Die Einschränkung durch den § 25 empfindet Kierndorfer als positiv: "Wir können
es uns nicht leisten, mit fragwürdigen Artikeln die Kompetenz der Apotheken im
Gesundheitswesen zu verlassen. Wir wollen nicht zu Eduscho oder Tschibo
verkommen. Wir haben den großen Vorteil, daß wir mit jedem Artikel des § 25
einen direkten Bezug zum Stammsortiment der Apotheke schaffen können." Über
die Artikel selbst wollte Kierndorfer noch keine Angaben machen, da die Gefahr
bestünde, daß die gleichen Artikel zum gleichem Zeitpunkt in anderen
Vertriebskanälen auftauchen könnten. In den Aktionen werden allerdings keine
Arzneimittel und nur selten Nahrungsergänzungsmittel aufgenommen. Soviel verriet
Kierndorfer schon der Pharmazeutischen Zeitung.
Die Apotheken werden inzwischen vom Außendienst über die Aktion informiert.
Der Gesamteinkaufswert eines Monatspakets wird zwischen 500 und 700 DM
liegen. Dieses Paket umfaßt fünf bis acht Artikel aus den Bereichen
Schnellmitnahmeartikel, Artikel mittlerer Preisklasse zwischen 10 und 50 DM und
dem Preisbereich zwischen 50 und 250 DM. Zu den Monatsaktionen werden die
Apotheken mit zusätzlichen Informationsmaterialien zu den einzelnen Artikeln
ausgestattet, um kompetent beraten zu können. Darin unterscheidet sich Pharmadies
von Konzept anderer Vertriebskanäle.
Kiemdorfer betonte, daß alle Apotheken mitmachen können und daß es sich nicht
um ein Franchiseprogramm handelt. Jeder kann jederzeit anfangen und auch wieder
aufhören. Da es sich um Aktionsware handelt, wird ein Rückgaberecht nicht
eingeräumt. Damit hoffe man, daß sich die Apotheken nicht mit zuviel Ware
eindecken. Das Prinzip der Aktion sei eben nicht, Umsatz um jeden Preis, sondern
die Apotheke für den Endverbraucher interessanter zu machen.
PZ-Artikel von Hartmut Morck, Eschborn
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