Wirtschaft & Handel
Im Meinungsbild der Bevölkerung hat die gute Lieferfähigkeit von
Arzneimitteln einen besonderen Stellenwert. Das haben
Imageuntersuchungen ergeben. Die Apotheke hat nur in Ausnahmefällen,
das, was nachgefragt wird, nicht vorrätig. Defekte kommen nur selten vor.
Die meisten Kunden erwarten, bei einem Besuch der Apotheke sofort das
benötigte Arzneimittel zu bekommen.
Wird diese Erwartungshaltung nicht erfüllt, verläßt der Kunde die Apotheke
unzufrieden. Langfristig ist ein Imageverlust unvermeidbar. Viele kennen den
genervten Kunden, der verärgert mit den Worten "Sie haben ja nie was da" seine
Abholnummer entgegennimmt. Aber auch eine andere Erfahrung kann man machen.
Manch sporadischer Kunde wird zum Stammkunden, wenn ihm ein gut sortiertes
Warenlager Mühen erspart. Die Lieferfähigkeit kann also aktiv als
Marketinginstrument genutzt werden, um sich von anderen Apotheken positiv
abzuheben.
In welchem Maß eine Apotheke ihre Kunden zufriedenstellen kann, hängt zum einen
von der Leistung, also Lieferfähigkeit, zum anderen aber auch vom
Anspruchsdenken der Kunden sowie von der Konkurrenzsituation ab. Wann kann
Lieferfähigkeit als gut bezeichnet werden und von welchen Voraussetzungen wird sie
beeinflußt? Allgemeine Richtwerte der Lieferfähigkeit (5 bis 10 Prozent defekte
Verordnungen) in der Fachliteratur bieten nur eine grobe Richtschnur.
Die Treuhand Hannover GmbH hat deshalb 1997 Untersuchungen zur
Lieferfähigkeit durchgeführt. Die teilnehmenden Apotheken haben über einen
bestimmten Zeitraum Erhebungen durchgeführt. Sie erfaßten die auftretenden
Defekte und Totalverluste im GKV-Bereich, die ihnen entstanden waren, weil
Kunden ihre Rezepte wieder mitgenommen haben. Einbezogen wurden
Informationen über das Warenlager, die Anzahl der verordnenden Ärzte und
Angaben über Ortsgröße und -lage.
Ein Untersuchungsergebnis war dieses: In sehr kleinen Orten mit bis zu 5000
Einwohnern ist die Defektquote zwar höher, aber Kunden wandern seltener ab. In
sehr großen Orten mit über 300.000 Einwohnern ist sie ebenfalls tendenziell höher.
Totalverluste sind insbesondere in Großstädten hoch. Die Totalverlustquote weist
aus, wieviele von 100 verordneten Präparaten verloren gingen, weil der Kunde das
Rezept wieder mitgenommen hat. Ursache für hohe Totalverluste bei ansonsten guter
Lieferfähigkeit können zum Beispiel Kunden aus Pendlerströmen sein, die ihr Rezept
nur einlösen, wenn die Apotheke alle verordneten Arzneimittel parat hat. Sie
akzeptieren Nachlieferungen nicht und versuchen es lieber in einer anderen
Apotheke.
Einflußfaktor Ortsgröße
Ob eine Defektquote gut, tolerierbar oder nicht mehr vertretbar ist, hängt nicht allein
von ihrer Höhe ab. Hier ist nach den Standortgegebenheiten und der
Kundentoleranz zu differenzieren. Apotheker in kleinen Orten haben zahlreiche
Kunden, die gerne noch einmal wiederkommen. Für Landapotheken kann eine
höhere Defektquote also durchaus vertretbar sein.
Die Konkurrenzsituation kann desgleichen ausschlaggebend sein. Gibt es nur eine
Apotheke weit und breit, muß der Kunde wohl oder übel eine Besorgung
akzeptieren. Dies sollte allerdings nicht über Gebühr strapaziert werden. Ist die
Lieferfähigkeit einer Apotheke schwach, hat es ein Konkurrent um so leichter.
Außerdem könnten die Patienten, die zu einem Arzt in einem anderen Ort gehen,
sich angewöhnen, ihre Arzneimittel dort in einer Apotheke zu holen.
Fazit: Landapotheken können sich einfach eine höhere Defektquote leisten. In den
Großstädten läßt sich aufgrund der hohen Apothekendichte ein verstärktes
Abwandern von Rezepten nicht verhindern, daher die hohe Totalverlustquote.
Einflußfaktor Arztzahl
Im Durchschnitt hatten die teilnehmenden Apotheken gemäß ihrer Rezeptabrechnung
im Westen insgesamt 204 und im Osten 161 verordnende Ärzte. Jeder Arzt wurde
gezählt, auch wenn von ihm im Abrechnungszeitraum nur ein Rezept in die Apotheke
kam. Das Ergebnis der Untersuchung: Je höher die Arztzahl, desto geringer ist die
Defektquote. Dennoch ist die Totalverlustquote um so höher.
Grund ist auch hier die Lage und somit der Konkurrenzsituation der Apotheke. Ein
hoher Anteil an Laufkundschaft (Innenstadtlage) bringt der Apotheke Rezepte von
vielen Ärzten. Solche Betriebe müssen die Defekte auf ein Mindestmaß reduzieren.
Hierin besteht der Unterschied zu "Dorfapotheken" mit wenigen Verordnern. Dort
kommen die Kunden mitunter gerne wieder oder sie tun dies gezwungenermaßen,
wenn es sich um eine schlecht sortierte Bestellapotheke handelt.
Bei nicht belieferbaren Verordnungen versucht ein Teil der Kundschaft der
"arztreichen" Apotheke, das Rezept in einer der Konkurrenzapotheken komplett
einzulösen. Dies bedingt die erhöhte Totalverlustquote.
Breites Warenlager vermeidet Defektquoten
Keine Apotheke kann es sich leisten, ihr Warenlager so auszubauen, daß nahezu
jeder Kundenwunsch erfüllt wird. Welche Korrelationen lassen sich aus
Lagerkennzahlen und Defektquoten ableiten? Die Untersuchung ergab: Apotheken
mit einem wertmäßig großen Warenlager haben nicht zwangsläufig eine geringere
Defektquote. Am Lagerwert läßt sich demnach eine gute oder schlechte Quote nicht
ohne weiteres festmachen.
Ein breites Warenlager trägt entscheidend zu einer guten Lieferfähigkeit bei. Sowohl
Defekte als auch Totalverluste nehmen kontinuierlich mit steigender Anzahl
Lagerartikel ab. Apotheken mit höheren Umsätzen sind besser lieferfähig. Dies
erreichen sie durch ein breites Warenlager, also eine höhere Anzahl an
Lagerpositionen.
Nicht der reine Wert des Lagers ist entscheidend, sondern Art und Menge der
Lagerpositionen. Will eine Apotheke durch Erhöhung der Posititionszahl ihre
Lieferfähigkeit verbessern und ist dies mit einer Lagerwerterhöhung verbunden, so
sollte sie sich die ökonomische Frage stellen: "Welchen zusätzlichen Mindestumsatz
müßte ich rechnerisch erzielen, um die entstehenden Zinskosten mindestens
auszugleichen?"
Beispiel: Die Apotheke hat einen Nettoumsatz von rund 2 Millionen DM, ein
Warenlager von 200.000 DM (also 10 Prozent vom Umsatz) und verfügt über rund
6.000 Lagerpositionen. Das Warenlager wird dauerhaft wert- beziehungsweise
positionsmäßig um 10 Prozent aufgestockt und steigt um rund 20.000 auf 220.000
DM an. Für den Mehrbetrag werden zusätzlich 8 Prozent Zinskosten fällig (das
wären jährlich 1.600 DM und pro Monat 133 DM). Zusätzliche Raum- oder
Ausstattungskosten fallen nicht an, da genug Platz in den Schüben vorhanden ist.
Als Handelsspanne setzen wir 32,1 Prozent vom Nettoumsatz an. Es entstehen
jährlich 1000 DM und monatlich 83 DM an zusätzlichen Kosten durch mehr
unverkäufliche Artikel (5 Prozent des Warenmehrbestandes). Insgesamt entstehen
also jährlich 2600 DM an Mehrkosten. Kostendeckend wäre ein zusätzlicher
Mindestumsatz pro Jahr von 8100 DM und monatlich 675 DM:Mehrkosten x 100 : Rohgewinn in % = 2600 x 100 :32,1
Dieser Mehrumsatz würde die Kosten für die Erweiterung des Lagers wieder
ausgleichen und könnte zum Beispiel durch monatlich 13 zusätzlich belieferte
Rezepte (Rezeptdurchschnitt 50 DM), die ansonsten verloren gegangen wären,
realisiert werden. Basierend auf unsere Untersuchung ist bei einer durchschnittlichen
Verlustquote von monatlich 34 Rezepten aufgrund ein solcher Zugewinn durchaus
realistisch.
Vor alle ökonomische Betrachtung sei hier aber wiederum die Kundenzufriedenheit
gestellt: Ein Kunde, der durch Sofortbelieferung seines Rezeptes von der
Lieferfähigkeit seiner Apotheke immer wieder überzeugt wird, bleibt dieser treu und
erzählt anderen von seinen positiven Erfahrungen. Dies kann zusätzliche Umsätze
bringen.
Empfehlungen zur Verbesserung der Lieferfähigkeit:
- Analysieren Sie Ihre Defekte auf ihre Ursachen: Was war der Grund für den
Lieferengpaß? Mögliche Gründe können sein: steigende Nachfrage,
wechselhaftes Verschreibungsverhalten, homöopathisches Arzneimittel,
ungewöhnliche Darreichungsform/Packungsgröße, fremder Arzt und Novität.
- Werten Sie Besorgungen (Einmalartikel, Nicht-Lagerartikel) sorgfältig und
zeitnah auf Mehrfachbestellungen hin aus. Viele EDV-Systeme nehmen Ihnen
diese Aufgabe ab. Bei vordefinierten Kriterien schlägt der Rechner dann beim
mehrmaligem Vorkommen vor, diesen Artikel ins Lager aufzunehmen.
- Entwickeln Sie für die Neuaufnahme von Artikeln Ihrer Apotheke ein festes
Raster, das für die Mitarbeiter transparent ist. Manche Apotheken nehmen
bereits beim erstmaligen Verordnen eines Präparates durch eine nahegelegene
Arztpraxis diesen Artikel sofort ins Lager. Handelt es sich um einen
verordnungskonstanten Arzt, kann dies durchaus sinnvoll sein. In vielen Fällen
reicht aber eine Aufnahme bei der zweiten oder dritten Verschreibung aus.
- Falls Sie Ihr Lager um neue Artikel erweitern wollen, sollten Sie ein
"Aufblähen" des Lagers verhindern. Prüfen Sie beispielsweise kritisch die
Mindestbestände Ihrer Renner und fahren Sie diese gegebenenfalls zurück.
So schaffen Sie wert- und platzmäßig "Freiräume" für Ihre Neuaufnahmen.
- Erfassen Sie bei Fällen, in denen der Kunde das Rezept wieder mitnimmt, das
Präparat und den Arzt. Verlustrezepte von auswärtigen Ärzten sind nicht so
gravierend wie die von ortsansässigen.
- Bei Neuaufnahme können Sie einen Artikel zunächst "auf Probe" in ein
Extralager aufnehmen. Bei "unsicheren" Kandidaten ersparen Sie sich
eventuell das Aufrücken in den Schüben. Ist genug Platz da, spricht vieles
dafür, das Präparat gleich ins Alphabet zu räumen. Läuft das Produkt nicht,
fällt es Ihnen ohnehin bei einer Ladenhüterauswertung wieder in die Hände.
PZ-Artikel von Ursula Hasan-Boehme und Jutta Degenhardt, Hannover
© 1997 GOVI-Verlag
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