Wirtschaft & Handel
Der pharmazeutische Großhandel ist ein Teil des deutschen
Gesundheitswesens, der bei der Arzneimittelversorgung als Mittler
zwischen Industrie und Apotheke eine wichtige Rolle spielt. In den letzten
zwanzig Jahren hat sich die Landschaft dieses Wirtschaftszweigs
grundlegend gewandelt. Über seine Zukunft sprach die Pharmazeutische
Zeitung mit dem Vorsitzenden des in Frankfurt am Main ansässigen
Bundesverbandes des pharmazeutischen Großhandels - Phagro e. V., Herrn
Lothar Jenne.
PZ: Herr Jenne, der pharmazeutische Großhandel hat sich in den letzten zwanzig
Jahren grundlegend gewandelt. Ist der Konzentrationsprozeß jetzt abgeschlossen?
Jenne: Wir müssen die Frage vor dem Hintergrund dessen sehen, was beim
Großhandel in den letzten zwanzig Jahren geschehen ist: Er hat sich vom rein
nachfragebestimmten Händler zum Dienstleister gewandelt. Es gibt eine zweite
Entwicklung, die vor allem in der Technik begründet liegt. Für die
Datenverarbeitung, Kommunikation und Lagerorganisation standen vor 20 Jahren
bestimmte Techniken nur den großen Anbietern zur Verfügung. Heute können auch
kleinere Anbieter diese Techniken kostengünstig nutzen. Der Konzentrationsprozeß,
das ist meine Überzeugung, ist abgeschlossen, weil sich die Bedingungen zugunsten
der mittelständischen Unternehmen verbessert haben.
PZ: Sie haben das Stichwort "mittelständisches Unternehmen" gegeben, und Sie sind
Repräsentant eines solchen privatwirtschaftlich organisierten Großhandels, nämlich
Max Jenne in Kiel. Welche Rolle spielen die Privaten in der Landschaft der vom
harten Wettbewerb geprägten Pharmagroßhandlungen?
Jenne: Vor allem müssen wir folgendes festhalten: Die Privaten spielen exakt die
gleiche Rolle wie jeder andere Anbieter auch, denn im Tagesgeschäft leisten wir
genau das gleiche. Man kann die Stellung des mittelständischen Großhandels auch
von seinen Marktanteilen ableiten, denn dieser ist seit Jahren gleichgeblieben. Das
heißt also, unser Angebot wird honoriert. Außerdem: Das Geschäft des
pharmazeutischen Großhandels ist vor allem ein regionales. Und in der Region sind
die Familienunternehmen nicht selten Marktführer. Regional gesehen sind sie
durchaus ein Markenregulativ.
PZ: Verstehe ich das richtig? Sie sehen auch in der Zukunft, also bis in das nächste
Jahrtausend hinein, eine relativ sichere Basis für den privatwirtschaftlich organisierten
Großhandel?
Jenne: Das ist richtig. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, daß in den letzten
Jahrzehnten pharmazeutische Großhandlungen nie aus dem Markt ausgeschieden
sind, weil dies durch Rahmenbedingungen erzwungen wurde, die entweder der
Gesetzgeber gesetzt oder der Wettbewerb verursacht hat. Wenn Großhandlungen
aus dem Markt ausgeschieden sind, dann weil es den Inhabern nicht gelungen ist, die
Nachfolge zu regeln. Diesbezüglich bin ich sehr optimistisch, denn diese Klippe ist in
den am Markt verbliebenen Unternehmen bekannt. Sie haben entsprechend
Vorsorge getroffen.
PZ: Wieviele privatwirtschaftlich organisierte pharmazeutische
Großhandelsunternehmen gibt es in Deutschland noch?
Jenne: Es sind elf Unternehmen. Sie sind vorwiegend regional aktiv. Zehn dieser
Unternehmen haben sich im übrigen in der Kooperationsgesellschaft
Pharma-Marketing & Logistik GmbH zusammengeschlossen, die bei den
Apothekern besser unter dem Namen "Pharma Privat" bekannt ist. Zusammen
kommen diese zehn Großhandlungen auf eine bundesweite Abdeckung, wie andere
große Unternehmen auch.
PZ: Die Kapitalgesellschaften und auch die Genossenschaften haben ihre
Expansionspolitik auf Europa ausgedehnt. Wird es unter den privaten
Großhandlungen gleichfalls eine Europäisierung geben?
Jenne: Es besteht unverändert eine große Unsicherheit, wie ein europäisches
Geschäft, bezogen auf Arzneimittelgroßhandel, aussehen kann. Doch auch unter dem
Zeichen eines vereinten Europa hat der pharmazeutische Großhandel die Aufgabe,
Apotheken mit Arzneimitteln zu versorgen. Und das ist vor Ort ein regionales
Geschäft. Das möchte ich nochmals ausdrücklich betonen. Europa kann nur
Rahmenbedingungen setzen. Wir haben natürlich auch Kontakte zu gleichgearteten
Großhändlern in anderen europäischen Ländern geknüpft, pflegen diese Kontakte
und stehen damit Gewehr bei Fuß für den Tag, an dem möglicherweise ein
europaweiter Handel möglich wird.
PZ: Mit dem europaweiten Handel haben Sie ein Risiko für den pharmazeutischen
Großhandel angedeutet. Wo sehen Sie die größten Gefahren in der Zukunft und wo
sehen Sie Chancen?
Jenne: Aktuell sehe ich die größte Bedrohung für den pharmazeutischen
Großhandel in dem Ausbluten des mittleren Preissegmentes unseres Sortimentes.
Wir müssen hier zwischen niedrig-, mittel- und hochpreisigen Arzneimitteln
differenzieren. Das Segment der mittelpreisigen Arzneimittel blutet aus, weil ein Teil
der Arzneimittel aus dem Patentschutz entlassen wurde und damit dem
Generikawettbewerb mit vollem Preisverfall ausgesetzt ist. Was übrig bleibt ist ein
Markt, der zum einen von billigen Generika bestimmt wird, die nicht geeignet sind,
dem pharmazeutischen Großhandel im Rahmen seiner Mischkalkulation ausreichend
Marge zu verschaffen. Auf der anderen Seite rangieren die hochpreisigen Produkte,
die zu einem nicht unwesentlichen Teil von der pharmazeutischen Industrie direkt an
die Apotheke geliefert werden. Der Pharmagroßhandel muß hier eine neue Position
suchen. Er wird gegen den Generikamarkt nichts ausrichten können, aber in diesem
Markt seine Kostenstruktur überprüfen müssen. Zusehen muß er auch, daß er in den
Handel der hochpreisigen innovativen Produkte vollständig eingebunden bleibt. Das
ist die Herausforderung für die Zukunft.
Zur Chance: Der Apotheker hat noch ein Entwicklungspotential vor sich. Das ist
unsere feste Überzeugung. Er kann in der Zukunft einer der wesentlichen
Mittelpunkte bei der Sorge um den Patienten werden. In dem Maße, in dem der
Apotheker sich gegenüber dem Patienten nicht nur als Arzneimittelfachmann,
sondern im Rahmen von Managed Care auch als Betreuer definiert, haben wir als
Großhändler auch weiterhin einen starken Kunden. Also wird es auch einen starken
Arzneimittelgroßhändler geben.
PZ: Sie haben die hochpreisigen Arzneimittel angesprochen. Die neue
Arzneimittelpreisverordnung, die wahrscheinlich zum 1. Juli 1998 in Kraft treten
wird, sieht gerade für diesen Bereich eine Kappung auch beim
Großhandelsaufschlag vor, so daß Marge verlorengeht. Glauben Sie, dies durch
zusätzliches Engagement wieder auffangen zu können?
Jenne: Wie bereits gesagt, der Großhandel wird bezogen auf den Generikamarkt
nicht aus seiner Pflicht entlassen, Kostenmanagement zu betreiben. Das gilt natürlich
auch für den Hintergrund Ihrer Frage. Andererseits expandiert der Markt der
hochpreisigen Produkte enorm. Dies könnte für den Pharmagroßhandel
Kompensation bedeuten.
PZ: Sie erwähnten eben Managed-Care-Systeme. Welche Rolle könnte nach Ihrer
Meinung der pharmazeutische Großhandel in solchen neuen Strukturen übernehmen?
Jenne: Ich möchte die rhetorische Gegenfrage stellen, was wir unter einem
Managed-Care-System in Deutschland verstehen sollen? Mir ist der Begriff noch
nicht nachhaltig genug definiert. Ich unterstelle einmal, daß darunter die verstärkte
Hinwendung zum Patienten und die gleichzeitige Kostenoptimierung seiner
Behandlung verstanden werden soll. Vor einem solchen Hintergrund erwachsen dem
Apotheker neue Aufgaben, wie die Betreuung der Patienten. Diese Aufgabe wird
der Apotheker nur ausfahren können, wenn ihm auch neue Sortimente zugängig
gemacht werden. Eine Reihe von Apothekern hat hier erfolgreiche Initiativen
ergriffen. Sie haben die Bemühung des pharmazeutischen Großhandels,
entsprechende Sortimente zur Verfügung zu stellen, ausgebaut und stabilisiert. Die
Rolle des Großhandels im Managed-Care-System ist in der Ausweitung und Pflege
des Sortiments und in der Zurverfügungstellung der Logistik zu sehen.
PZ: Zur Zeit wird kontrovers über die Arzneimittelversorgung der Krankenhäuser
diskutiert, die hauptsächlich im Direktgeschäft Industrie - Apotheke organisiert ist.
Sehen Sie da eine Möglichkeit für den pharmazeutischen Großhandel, seine Logistik
zur Verfügung zu stellen?
Jenne: Es ist sicher nicht Aufgabe des Großhandels, gewachsene Beziehungen
zwischen Industrie und der Apothekerschaft, die Krankenhäuser versorgt, zu stören.
Auf der anderen Seite bin ich davon überzeugt, daß der Kostendruck dafür sorgen
wird, die bisherige Handlungsweise zu überprüfen. Der Pharmagroßhandel kann
einen Beitrag zur Kostenminderung der Krankenhausapotheken liefern; das wird
man über kurz oder lang erkennen. Als Logistiker ist ihm die Aufgabe auf den Leib
geschrieben. Mit dem Begriff Logistiker möchte ich folgendes deutlich machen: Es
kann und darf nicht Aufgabe des Großhandels sein, in die Vertragsbeziehung
zwischen Industrie und Krankenhausapotheke einzugreifen. Die Preisbildung soll
nach wie vor zwischen Apotheke und Industrie verhandelt werden. Transport,
Lagerung und Sortimentsbildung könnte Aufgabe des Logistikers werden.
PZ: Der Wahlkampf hat zur Zeit die Gesundheitspolitik lahmgelegt. Nach den
Wahlen, egal wer gewinnt, werden nach meinen Erwartungen neue Veränderungen
auf die Beteiligten im Gesundheitswesen zukommen. Wie sehen Ihre Erwartungen für
den pharmazeutischen Großhandel für die Zeit nach dem 27. September aus?
Jenne: Es gibt einen erheblichen Kostendruck im Gesundheitswesen. Damit werden
wir unverändert zu tun haben. Er leitet sich schon allein aus dem Fortschritt der
Behandlungsmöglichkeiten von Krankheiten ab. Und wir werden weiterhin einen
Verteilungskampf zwischen den Leistungserbringern haben. Wir sind deshalb
regelrecht darauf angewiesen, daß der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen
weiterentwickelt. Auch der Focus wird sich weiterentwickeln. Am Anfang stand der
Patient im Focus als Kostenauslöser, anschließend standen und stehen noch die
Leistungserbringer im Mittelpunkt der Betrachtung als Kostentreiber
beziehungsweise Kostenmanager.
In der Zukunft wird sich der Focus weiter auf die Krankheit verschieben müssen.
Davon gehe ich aus. Mehr noch als in der Vergangenheit, muß ein Konsens
entwickelt werden, wie eine Krankheit optimal zu behandeln ist. Optimal heißt,
hilfreich und kostensparend für den Patienten und kostensparend für die
Solidargemeinschaft. Dieser Focuswechsel muß nach meiner Meinung künftig noch
deutlicher machen, daß das Arzneimittel in vielen Fällen das wirksamste und
kostensparendste Mittel ist, einen Patienten erfolgreich zu behandeln. Deshalb sehe
ich auch einer Diskussion nach der Bundestagswahl optimistisch entgegen. Mit
diesem neuen Focus können Apotheker und Großhandel auch in der Zukunft
erfolgreich operieren.
PZ: Sehen Sie die Institution Apotheke, wie sie sich heute darstellt, auch in der
Zukunft gesichert?
Jenne: Ja. Lassen Sie mich das einfach begründen. Wir leben in einer Zeit, wo allen
immer bewußter wird, wie sehr wir nach Dienstleistungen und wie sehr wir nach
Beratung und persönlicher Betreuung verlangen. In vielerlei Hinsicht wird uns die
amerikanische Dienstleistungsgesellschaft als positiv und erstrebenswert vorgestellt,
weil Kern der Botschaft die Zuwendung zum Mitmenschen ist. Jeder von uns will
diese Zuwendung. Deshalb glaube ich auch, daß die alteingesessene Apotheke eine
sehr moderne Einrichtung ist, weil sie genau dies im Rahmen der Beratung der
Patienten leisten kann. Die Apotheke muß sich allerdings dieser Aufgabe vor dem
moderner gewordenen gesellschaftlichen Hintergrund selbständig zum Ziel machen.
PZ: Wie kann der Großhandel dabei helfen?
Jenne: Der Großhandel kann dafür sorgen, daß dem Apotheker für diese Tätigkeit
am Patienten möglichst viel Zeit bleibt. Er stellt die Ware, die der Apotheker dafür
braucht, korrekt und zur rechten Zeit zur Verfügung und er hilft ihm darüber hinaus
mit einem Kranz von Dienstleistungen, seine Apotheke optimal zu führen.
PZ: Herr Jenne, mit welcher Botschaft an die Apotheker möchten Sie unser
Gespräch, für das ich Ihnen herzlich danke, schließen?
Jenne: Das Arzneimittel und die Einrichtung der Apotheke waren noch nie so
modern wie heute. Da bin ich wirklich optimistisch. Diese Botschaft hat allerdings
noch nicht jedermann erreicht, die Kritiker der Apothekerschaft sicherlich am
wenigsten, aber auch noch nicht jeden Apotheker. Man mag zur Imagekampagne
der ABDA stehen wie man will, aber in der Kampagne steckt eine unglaubliche
Chance, die Apotheke und den Apotheker zu positionieren. Nachdenklich stimmt
mich, wenn ich höre, Apotheker würden die zur Verfügung gestellten Materialien der
Imagekampagne gar nicht einsetzen. Im Kern sind uns doch alle darin einig: Es gilt,
gegenüber der Bevölkerung, der Politik und gegenüber den Krankenkassen folgende
Botschaft zu kommunizieren: Die Apotheke ist eine Institution zur Betreuung der
Patienten mit der besonderen Aufgabenstellung, Arzneimittel abzugeben. Wer diese
Botschaft nicht kommuniziert, der versäumt etwas. Das bedauere ich, denn alle, die
an der Arzneimitteldistribution beteiligt sind, leisten eine gute Arbeit. Das
Arzneimittel ist ein Segen für die Menschheit.
PZ-Interview von Hartmut Morck, Frankfurt am Main
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