Wirtschaft & Handel
Muß es den den
Arzneimittelvertrieb in der bewährten Form -
Pharmaindustrie, Pharmagroßhandel, Apotheke - denn
überhaupt noch so geben? Auf der
Handelsblatt-Pharmajahrestagung am 4./5. März in
Frankfurt am Main diskutierten Pharmaindustrie,
Großhandel und Apotheker über Vertriebswege für
Arzneimittel.
So ist für den Arzt und früheren
Apothekerassistenten Dr. Klaus-Jürgen Preuß, der die
Politik für das Dilemma in der nicht mehr bezahlbaren
solidarischen Gesundheitsversorgung verantwortlich macht,
nicht einsichtig, daß auf dem Weg eines Arzneimittels
vom Hersteller zum Patienten in Deutschland so hohe
Kosten anfallen müssen. Sie lägen mit rund 45 Prozent
um 20 Prozent höher als in den USA. Eine Behauptung, die
in der Diskussion dann aber richtiggestellt wurde mit
Verweis auf die in den 45 Prozent enthaltenen 15 Prozent
Mehrwertsteuer und den 5prozentigen Rabatt an die GKV.
Nichts bleibt so wie es ist, die Unternehmen müßten
sich ändern, war die Botschaft der Unternehmensberatung
Roland Berger & Partner. Michael Thiess, durch seine
achtjährige Tätigkeit bei Berger als Leiter des
internationalen Competence Center Healthcare mit
Managementfragen im internationalen Gesundheitswesen
vertraut, plädiert für mehr Kundenorientierung der
Pharmaindustrie. Er beklagt das "Zuviel an
Apotheken" und sieht im künftigen europäischen
Pharmamarkt alternative Vertriebswege, die neue
Wachstumsmöglichkeiten bieten (Mail-Order, Internet,
Apothekenketten, Healthshops und den Supermarkt).
Selbstmedikation nimmt eher moderat zu
Wenig freundlich mit dem Partner Apotheken
sprang auch der Leiter der Region Europa des
Geschäftsbereichs Consumer Care von Bayer,
Diplomkaufmann Burghardt Bruhn, um. Dies wohl auch
deshalb, weil der Boom im Selbstmedikationsmarkt nach wie
vor ausbleibt und die zehn führenden europäischen
Hersteller in diesem Segment nur einen Marktanteil von
28,7 Prozent erreichen. Die Selbstmedikationsmarken haben
meist nur lokale Bedeutung.
Dieses moderate Wachstum (zur Entlastung der GKV) könnte
laut Bruns nur durch eine Liberalisierung der
EU-Gesetzgebung positiv beeinflußt werden, die den
Switch weiterer Arzneimittelgruppen etwa für ältere und
chronisch erkrankte Menschen erlauben und dafür Werbung
zulassen würde. Aufgrund der geringeren Gewinnmarge
gerieten dann allerdings die Unternehmer in eine
Kostenschere. Der Wettbewerb müsse deshalb das
Schmerzmittel aus dem Aldi-Markt zulassen.
Auf dieses Stichwort hatte der Präsident der
Apothekerkammer Nordrhein, Karl Rudolf Mattenklotz,
gewartet. Da die Politik dagegen stehe, lockte er mit dem
Angebot "Puschen Sie uns und die Ärzte" als
Multiplikatoren im Selbstmedikationsmarkt. Über das
Patienten-Apotheker-Gespräch könne eine
Marketingstrategie zum Wohle der Patienten gefahren
werden. Hierzu sei allerdings noch Überzeugungsarbeit zu
leisten.
Bewährte Kette: Hersteller, Großhandel, Apotheke,
Patient
Dr. Bernd Scheifele, Vorstandsvorsitzender des
Phoenix Pharmahandels, stellte fest, daß es noch keinen
gemeinsamen europäischen Arzneimittelmarkt gebe, dies
gelte gleichermaßen für den Großhandelsmarkt. Die
Harmonisierung hinke weit zurück, es gebe nur klassische
lokale Märkte. Für den Juristen ist der Großhandel
volkswirtschaftlich gesehen die sinnvollste
Vertriebsschiene, da die Lagerhaltung in den Apotheken
sonst deutlich teurer würde. Bei der Vielzahl der
Produkte sei dies sogar zwingend. Der Großhandel stelle
für alle Hersteller den Marktzugang sicher - diese
Grundfunktion sei für die gleichfalls mittelständische
Pharmaindustrie äußerst wichtig. 77 Prozent des
Arzneimittelumsatzes erfolge im GKV-Markt - er werde
ebenso von den Ärzten bestimmt wie die Verordnungen für
die Privatversicherten. Eine schnelle, mehrmals tägliche
Anlieferung aus dem 90000 Produkte umfassenden
Großhandelslager in die Apotheken sei daher eine
wichtige Voraussetzung für die Arzneimittelversorgung
der Bevölkerung.
Für Scheifele sind die angedachten alternativen
Vertriebsformen unter dem Qualitätsaspekt nicht
einsichtig. Ihre Einführung in Deutschland würde den
Krankenkassen zudem keine Einsparung bringen. Auch gäbe
es keine gesetzlichen Grundlagen hierfür. Der
Phagro-Verband sei strikt gegen eine Aufhebung des
Verbots von Mehr- und Fremdbesitz in Apotheken, durch die
eine hohe Qualität der Arzneimittelversorgung garantiert
sei.
Eine weitere Vertriebsform, das Direktgeschäft, gebe es
im übrigen schon. Würde es weiter ansteigen, wäre dies
für den Pharmagroßhandel mit seiner Mischkalkulation
ein großes Problem, da meist nur die typischen
Schnelldreher von den Firmen direkt vertrieben werden.
Die Mittel- und Langsamdreher müßten dann teurer
werden. Phoenix sei für die traditionelle Partnerschaft
des Arzneimittelweges Pharmaindustrie, -großhandel,
Apotheke und Patient. Allerdings werde darüber
nachgedacht, ob der Einsatzes von EDV Kosten einsparen
können, hier gebe es Beispiele aus dem
Lebensmittelhandel, die eventuell gemeinsam mit den
Apotheken umgesetzt werden könnten.
PZ-Artikel von Erdmuthe Arnold, Frankfurt
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