Wirtschaft & Handel
Der Anteil der
Verwender von Naturheilmitteln ist von 52 Prozent 1970
auf 65 Prozent 1997 stark angestiegen. Begünstigt wurde
die Verbreitung von Naturheilmitteln durch den
anhaltenden Trend zur Selbstmedikation, wobei besonders
Frauen (74 Prozent) und Personen mit höherer Bildung (72
Prozent) zu Naturheilmitteln greifen. Das ergab die
Studie "Naturheilmittel 1997", die das Institut
für Demoskopie Allensbach im Auftrag des
Bundesfachverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH)
durchgeführt hat und die jetzt in Bonn vorgestellt
wurde.
Für Professor Dr. Elisabeth Noelle-Neumann,
Leiterin des Instituts für Demoskopie Allensbach, ist
die Verwendung von Naturheilmitteln zu einer
Massenbewegung geworden, weil nicht nur größere Teile
der Bevölkerung zur sanften Medizin greifen, sondern
weil sich auch der Anteil der "Verwender innerhalb
des letzten Vierteljahres" zwischen 1970 und 1997
von 14 auf jetzt 28 Prozent verdoppelt hat.
Nord-Süd-Gefälle
Das Verhalten der Bevölkerung der neuen und
alten Bundesländer unterscheidet sich hier nicht.
Allerdings besteht ein Nord-Süd-Gefälle in Deutschland:
Während sich in Norddeutschland inklusive West-Berlin
nur 57 Prozent der Befragten der Naturheilmittel
bedienen, sind es im Gebiet Rhein-Main/Südwest 72
Prozent und in Bayern 68 Prozent.
Bemerkenswert stellte Noelle-Neumann die Einschätzung
der Gefahr von Nebenwirkungen bei chemischen
Arzneimitteln und Naturheilmitteln dar. Auf einer Skala
von 0 (ganz gering) bis 10 (sehr groß) schätzt die
Bevölkerung die Gefahr von Nebenwirkungen bei chemischen
Arzneimitteln im Durchschnitt auf 6,7 bei
Naturheilmitteln dagegen nur auf 2,3.
In den vergangenen Jahren nahmen immer mehr Menschen auch
Naturheilmittel vorbeugend ein, um die Anfälligkeit für
eine Krankheit zu verringern. Von allen Erwachsenen, die
Medikamente zur Vorbeugung einnehmen, verwenden jetzt 39
Prozent ausschließlich und weitere 45 Prozent unter
anderem Naturheilmittel, so die Studie.
Insgesamt 95 Prozent der Naturheilmittelverwender
berichten, ihnen hätten Naturheilmittel immer oder
manchmal geholfen. Daß ihnen Naturheilmittel "gar
nicht" geholfen haben, meinen nur 3 Prozent. Vor
allem Personen, die ihren Gesundheitszustand als
dauerhaft schlecht beschreiben, haben nach eigenem
Eindruck Naturheilmittel in vergleichsweise hohem Anteil
(60 Prozent) "nicht immer geholfen". Geholfen
haben Naturheilmittel vor allem bei Erkältung (66
Prozent), Grippe (38 Prozent) und bei
Verdauungsbeschwerden, Kopfschmerzen oder Schlaflosigkeit
(jeweils 25 Prozent).
Je mehr zur Dämpfung der Kosten die Therapiefreiheit des
Arztes und dessen Verschreibungsverhalten beeinflußt
wird, desto stärker fordern große Teile der
Bevölkerung, es weiterhin dem Arzt zu überlassen, ob er
ein bestimmtes Arzneimittel auf Kosten der Krankenkasse
verschreiben will oder nicht. Bereits 1984 stimmten 67
Prozent der Bevölkerung dieser Ansicht zu, jetzt sogar
72 Prozent in den alten Bundesländern und 73 Prozent in
Gesamtdeutschland. Die meisten Naturheilmittelverwender
sind bereit, sich durch Zuzahlungen beim Kauf von
Medikamenten zu beteiligen, aber nur bis etwa 10 DM.
BAH: Hoher Stellenwert bewiesen
"Aus Sicht des BAH beweist die Studie den
hohen Stellenwert der Naturheilmittel in der
Bevölkerung. Gleichzeitig zeigt sie ein deutliches
Ansteigen der Akzeptanz der besonderen
Therapierichtungen, zu denen auch die pflanzlichen
Arzneimittel gehören", erklärte Dr. Dieter Zeh,
Vorsitzender des BAH-Ausschusses Phytopharmaka. Der Blick
auf den europäischen Binnenmarkt für Naturheilmittel
("Der Weg ist mit Hindernissen gepflastert")
erfüllt Zeh allerdings wegen des komplizierten
Regelungswerkes mit Sorge. Der BAH setzte sich daher für
ein einheitliches europäisches Regelwerk ein, das das
Anerkennungsverfahren zur Wirksamkeit von
Naturheilmitteln erleichtern soll. Für den
bundesdeutschen Markt bekräftigte Dr. Bernd Eberwein,
BAH-Geschäftsführer Wissenschaft, daß eine Herausnahme
der Naturheilmittel aus der Erstattungsfähigkeit aus
Gründen der Therapiefreiheit abzulehnen sei. Außerdem
gelte nach wie vor die Forderung des BAH, daß jede Form
von Ausgrenzung und Listenmedizin therapeutisch
bedenklich und ordnungspolitisch falsch sei
PZ-Artikel von Gisela Stieve, Bonn
© 1996 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de