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Probleme der Statistik

Woran in Deutschland wirklich gestorben wird

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die Todesursache Nummer 1 in Deutschland – das ist immer wieder zu lesen. Doch wie gut sind die zugrunde liegenden Daten für Statistiken hierzulande? Was ist aus den Daten für Prävention und medizinische Versorgung abzuleiten?
Christina Hohmann-Jeddi
03.09.2025  07:00 Uhr

Jedes Jahr sterben in Deutschland etwa 900.000 bis eine Million Menschen. Zu den Todesursachen gibt das Statistische Bundesamt (Destatis) in Wiesbaden - mit etwas Zeitverzug - die offiziellen Zahlen bekannt. Zuletzt war dies im September 2024 der Fall. Da meldete die Behörde, dass im Jahr 2023 rund 1,03 Millionen Menschen gestorben seien. Damit sei die Zahl der Todesfälle erstmals seit 2019 wieder gesunken.

Die Hauptursachen blieben dem Bundesamt zufolge stabil: Herz-Kreislauf-Erkrankungen waren mit knapp 33,9 Prozent aller Sterbefälle die führende Todesursache. An zweiter Stelle folgen bösartige Neubildungen (Krebserkrankungen) mit 22,4 Prozent. Darauf folgen Krankheiten der Atmungssysteme, psychische Krankheiten und Verhaltensstörungen sowie Verletzungen und Vergiftungen.

Totenschein als Ergebnis der Leichenschau

Solche Daten geben wichtige Hinweise darauf, wie hoch die Krankheitslast in der Bevölkerung ist und bei welchen Erkrankungen die medizinische Versorgung oder auch die Prävention noch verbessert werden sollte. Doch die Todesursachenstatistiken stehen seit Jahren in der Kritik. Wie kommen die Daten zustande und wie zuverlässig sind sie? Das Verfahren zur Erhebung der Daten stellt Destatis auf seiner Website vor. Demnach beruht die Statistik auf einer Vollerfassung der amtlichen Todesbescheinigungen, also der Totenscheine, in Deutschland.

Den Totenschein füllt der Arzt aus, der die sogenannte Leichenschau, die ärztliche Untersuchung zum Feststellen des Todes und zur Abklärung der Todesursache und -art (natürlich oder nicht natürlich), vorgenommen hat. Die Leichenschau ist auf Ebene der Bundesländer geregelt, sie folgt aber Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Für die Todesursachenstatistik übermitteln die Gesundheitsämter die vorgesehenen Teile der Todesbescheinigung an die Statistischen Landesämter. Diese ermitteln aus ihnen mithilfe der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD10) das Grundleiden, das als ursächlich für den Tod anzunehmen ist.

Die Todesursachenstatistik kann somit nur so gut sein, wie die Angaben auf den handschriftlich ausgefüllten Todesbescheinigungen. Und hier gibt es einige Fallstricke. Diese führten Dr. Susanne Stolpe von der Ruhr-Universität Bochum und Professor Dr. Bernd Kowall von der Universitätsmedizin Essen in einem Diskussionsbeitrag im »Bundesgesundheitsblatt« (Ausgabe 2/2025) aus.

Ein Problem ist, dass die Todesursache unikausal angegeben wird. Das bedeutet: Nur eine von eventuell mehreren potenziellen Erkrankungen, die die Person zum Zeitpunkt des Todes hatte, wird als Todesursache angegeben. Von der WHO wird hierbei vorgegeben, dass dies das Grundleiden zu sein hat. Ein Beispiel: Aufgrund einer koronaren Herzerkrankung entwickelt ein Patient eine Herzinsuffizienz und stirbt später an einer pneumoniebedingten Sepsis.

Hier wäre das Grundleiden, die koronare Herzerkrankung, die eigentliche Todesursache. Häufig werden die intermediären (Herzinsuffizienz) oder unmittelbaren (Pneumonie, Sepsis) Todesursachen im Totenschein aufgeführt, schreiben die Autoren. Sie stellen aber nicht das Grundleiden dar und werden nicht in die Todesursachenstatistik aufgenommen. »Das WHO-Regelwerk, nach dem das Grundleiden aus möglicherweise mehreren im Totenschein aufgeführten Erkrankungen ausgewählt und ICD-kodiert wird, ist sehr ausführlich und wird regelmäßig aktualisiert«, schreiben die Autoren.

Die Rolle »nichtinformativer Todesursachen«

Demnach dürften intermediäre Erkrankungen und unspezifische Endzustände – wie Pneumonie, Herzstillstand oder Sepsis – nicht in der Statistik vorkommen. Das gilt auch für Symptome wie essenzielle Hypertonie und unbekannte Todesursachen. Solche Angaben werden von der WHO als »ill-defined causes of death« oder »Garbage Codes« bezeichnet. In Deutschland ist von »nichtinformativen Todesursachen« die Rede.

Je kleiner der Anteil dieser Garbage Codes ist, desto besser ist die Qualität der Todesursachenstatistik. Deutschland steht hier nicht gut da: Laut WHO-Daten waren hierzulande zwischen 1998 und 2018 etwa 14 bis 17 Prozent der Todesursachen nichtinformativ. Damit liegt der Anteil deutlich über dem in anderen Ländern wie Finnland (3 Prozent), Irland oder Estland (je 7 Prozent). Herzinsuffizienz käme dort als Todesursache quasi nicht vor, was auch daran liege, dass – zumindest in einigen Ländern – geschultes Personal die Leichenschau vornimmt, schreiben Stolpe und Kowall. Auch innerhalb Deutschlands gibt es Unterschiede: In Sachsen liegt der Anteil bei rund 6 Prozent, in Nordrhein-Westfalen bei 12 Prozent. Neben den regionalen sind auch Unterschiede zwischen den Geschlechtern und den Altersklassen zu beobachten.

Diese Unterschiede der Anteile an Garbage Codes können die Interpretation der Daten und den internationalen Vergleich erschweren. Wenn in einer Region beispielsweise die Herzinfarkt-Mortalität höher ist als in anderen Regionen, dann könne das an einer schlechteren medizinischen Versorgung oder aber an einer »informativeren« Codierung der Todesursachen liegen.

Ein weiteres Problem der Todesursachenstatistik besteht in der Multimorbidität, wenn also mehrere Grundleiden als Todesursache infrage kommen. Welche Erkrankung dann im Totenschein als Grundleiden eingetragen wird, kann je nach Sterbeort, verfügbaren Informationen und Einschätzung der Ärzte stark variieren. Zudem können auch die Vorgaben der WHO zu Verzerrungen führen: So soll seit 2011 Demenz vorrangig codiert werden, was die Zahl der dokumentierten Demenz-Todesfälle in Deutschland deutlich ansteigen ließ. Gleichzeitig gingen dadurch die Raten anderer Erkrankungen rechnerisch zurück, obwohl sich die tatsächliche Krankheitslast nicht in gleichem Maße verändert hat.

Vorschläge zur Verbesserung der Datenqualität

Die Autoren schlagen mehrere Wege vor, die Datenqualität zu verbessern. Eine Möglichkeit wäre die sogenannte qualifizierte Leichenschau, wie sie in manchen Ländern üblich ist, die von speziell geschulten Ärzten vorgenommen wird. Aber selbst die stößt an ihre Grenzen. Die Rate der Obduktionen zu erhöhen, wäre noch hilfreicher, um die korrekte Todesursache zu ermitteln.

Zudem könnten die Fortbildung und Sensibilisierung für die Leichenschau verstärkt werden: Regelmäßige Schulungen könnten verdeutlichen, welche Diagnosen nicht als Grundleiden gelten und worauf beim Ausfüllen von Totenscheinen zu achten ist. Eine Möglichkeit wäre auch die multikausale Erfassung. Würden neben der Grunderkrankung auch Begleiterkrankungen systematisch dokumentiert, ließe sich die tatsächliche Morbidität einer Bevölkerung präziser abbilden. Ein Ansatz, an dem bereits gearbeitet wird, ist die elektronische Todesbescheinigung (eTB). Sie würde Lesbarkeit und Plausibilitätsprüfungen verbessern.

Die Probleme mit der Erhebung der Daten sind dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und dem Statistischen Bundesamt bekannt. Um sie abzustellen, hat das BMG die Behörde gemeinsam mit dem Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte beauftragt, eine bundeseinheitliche eTB zu entwickeln, die inzwischen in einem Pilotprojekt getestet wird. Die eTB soll vor allem dafür sorgen, dass in ganz Deutschland das gleiche WHO-konforme Formular verwendet wird, das die Fehlerrate senken soll. Durch die elektronische Erfassung kann die Lesbarkeit erhöht und Übertragungsfehler minimiert werden. Zudem könnten die Daten deutlich schneller vorliegen.

Im Juni stellte Destatis ein erstes Zwischenergebnis vor. Demnach lagen durch die eTB die Daten innerhalb weniger Minuten in den Gesundheits- und Standesämtern vor, der personelle Aufwand sank und durch die automatische Fehlererkennung wurde die Datenlage verbessert. Die Rate der nichtinformativen Todesursachen sank auf 2,8 Prozent, teilte die Behörde mit. Somit könnte die bundesweite Einführung der eTB die Todesursachenstatistik verbessern und auch helfen, mögliche Gesundheitsgefahren schneller wahrzunehmen, so das Fazit.

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