Woher kommt der Schwindel? |
Christina Hohmann-Jeddi |
27.02.2024 10:30 Uhr |
Schwindelbeschwerden werden mit zunehmendem Alter häufiger. Daran können unter anderem Polyneuropathien, degenerative Veränderungen des Innenohrs und Arzneimittel beteiligt sein. / Foto: Getty Images/Andrey Popov
Gefühle von Schwindel kennen die meisten Menschen. Verschiedene Erkrankungen oder Störungen können dahinterstecken, machte der niedergelassene HNO-Arzt Dr. Rainer Jund aus München auf der Hermann-Hager-Tagung, der Fortbildungsveranstaltung der Landesapothekerkammer Brandenburg, am vergangenen Wochenende deutlich. Bei der Diagnostik komme es vor allem auf die Sprache, also auf eine gute Anamnese, an. Bildgebung oder andere apparative Diagnostik seien nur selten notwendig.
Abgefragt werden sollte in der Anamnese, um welche Art von Schwindel (Dreh-, Schwank- oder Benommenheitsschwindel) es sich handele, wie lange er auftrete und was ihn auslöse. Bei plötzlich auftretendem Drehschwindel, der Sekunden bis Minuten anhalte und durch plötzliche Kopfbewegungen (wie Umdrehen im Bett) ausgelöst werde, handele es sich in der Regel um den gutartigen Lagerungsschwindel. »Dieser häufigste Schwindel ist auch der harmloseste«, sagte Jund. Bei diesem geraten im Gleichgewichtsorgan im Innenohr kleine Kristalle an Stellen, wo sie nicht hingehören, und reizen dort Sinneszellen. Durch Befreiungsmanöver (spezielle Bewegungsabfolgen), die Patienten nach Anleitung auch selbst durchführen könnten, ließen sich die Kristalle wieder zurück an ihren Platz befördern, berichtete der HNO-Arzt.
Ein Gefühl von Schwanken, das Minuten bis Stunden andauert und in stressigen Situationen auftritt, weist auf einen phobischen Schwankschwindel hin, die zweithäufigste Schwindelart. Häufig kann Schwindel aber auch durch Kreislaufprobleme beim Aufstehen oder verschiedene Arzneimittel ausgelöst werden. Dieser zeichne sich eher durch Benommenheit und Gangunsicherheit als durch Drehschwindel aus. Bei dieser Schwindelform sei es sinnvoll, das Herz-Kreislauf-System und die Medikation zu prüfen, riet Jund.
Seltener ist dagegen Morbus Menière, ein anfallsartig auftretender starker Drehschwindel, der mit Hörminderung und Tinnitus einhergeht. Die Attacken können Minuten bis Stunden andauern und von Übelkeit und Erbrechen begleitet sein. Ursache ist eine Störung des Innenohrs, die nicht kausal therapiert werden kann. Die Wirkung von Betahistin sei umstritten, die von Ginkgo biloba nicht belegt, berichtete Jund. Ebenfalls selten sei ein einseitiger Ausfall des Gleichgewichtsorgans, der durch ähnlich starken Drehschwindel wie bei Morbus Menière gekennzeichnet sei, wobei aber keine Hörminderung auftrete. »Das ist quasi wie ein Hörsturz des Geleichgewichtsorgans«, sagte Jund. Behandelt würde er mit Cortison intravenös in hoher Dosierung.
Zudem könnte hinter Schwindel auch eine sogenannte bilaterale Vestibulopathie stecken. Dabei handelt es sich um den Ausfall der Gleichgewichtsorgane auf beiden Seiten, der in der Regel nicht anfallsartig, sondern schleichend und mit zunehmendem Alter häufiger auftritt. Hier seien Gangunsicherheiten und Schwanken die typischen Kennzeichen, die vor allem im Dunkeln oder bei weichem Untergrund zunehmen.
Der Grund hierfür sei, dass für das Gleichgewichtsempfinden die drei Systeme Gleichgewichtsorgan im Innenohr, Augen und Sensoren an Muskeln und Gelenken zusammenarbeiten. Stimmen die Signale zu Bewegung und Position des Organismus im Raum aus diesen drei Systemen nicht überein, entsteht Schwindel. Gerade bei Älteren seien aber alle drei Systeme zunehmend beeinträchtigt, machte der Mediziner deutlich: Das Innenohr könne durch Degeneration, Infektionen oder ototoxische Arzneimittel Schaden nehmen, die Sehkraft nehme mit dem Alter ab und auch die Signale aus den Beinen ließen aufgrund von Polyneuropathie und Muskelschwund nach. Entsprechend häufig komme es bei Älteren zu Schwindel und Gangunsicherheiten.
Da es keine Art Hörgerät für das Gleichgewichtsorgan gebe, sei es wichtig, dieses zu trainieren, sagte Jund. Zu einer vestibulären Rehabilitationstherapie gehörten spezielle Augenübungen, Kopfbewegungen mit und ohne Blickfixierung sowie Gleichgewichts- und Gangübungen. Zudem sei es wichtig, Sport zu treiben und die Muskulatur zu trainieren, um die Signale aus den Beinen zu stärken.
Insgesamt sollten Schwindelbeschwerden von einem Arzt abgeklärt werden, riet Jund. Besonders gelte dies, wenn als besondere Warnzeichen bestimmte Symptome wie ungewöhnlich starke Kopfschmerzen, Doppelbilder, Gangstörungen, Brustschmerzen oder Atemnot hinzukämen.