Woher kommt der aktuelle Anstieg? |
Derzeit infizieren sich viele Kinder und Jugendliche mit Mykoplasmen. Die Infektionen äußern sich meist durch Fieber, Müdigkeit und Husten. / Foto: Getty Images/Milorad Kravic
Der Erreger mit dem lateinischen Namen Mycoplasma pneumoniae ist ein parasitär lebendes Bakterium. »Mykoplasmen sind im Wesentlichen auf den Wirt angewiesen, und das ist ausschließlich der Mensch«, erklärt der Biologe Dr. Roger Dumke, der am Institut für Medizinische Mikrobiologie und Virologie am Uniklinikum Dresden das Konsiliarlabor des Robert-Koch-Instituts (RKI) für Mykoplasmen leitet.
Die Erreger unterscheiden sich von anderen Bakterien darin, dass sie keine Zellwände haben und daher nicht mit zellwandaktiven Antibiotika wie Penicillin bekämpft werden können. Mycoplasma pneumoniae wurde bereits 1938 beobachtet. Er gehört zur Bakterienklasse der Mollicutes (auf deutsch: Weichhäutige).
Infektionen mit Mycoplasma pneumoniae verlaufen im Allgemeinen mild, können aber manchmal auch schwerwiegend sein. Die meisten Menschen erholen sich ohne Medikamente. »Patienten mit intaktem Immunsystem können mit dem Erreger relativ gut umgehen«, sagt Dumke im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.
Manche Infizierte benötigen jedoch eine medikamentöse Therapie. Makrolide wie Azithromycin werden am häufigsten bei Mykoplasmeninfektionen eingesetzt, alternativ stehen Ketolide, Fluorchinolone sowie Tetracycline (zum Beispiel Doxycyclin) zur Verfügung. »Die entsprechenden Antibiotika wirken gut«, sagt der Wissenschaftler. Resistente Erreger seien in Deutschland selten.
»Wir haben aktuell wesentlich mehr Fälle und damit auch einen höheren Prozentsatz an schweren Erkrankungen«, erklärt Dumke. »Die Welle ist unbestritten.« Im Vergleich zu vor der Coronapandemie gebe es einen Anstieg der Infektionen um das 10- bis 20-Fache.
In seiner Gemeinschaftspraxis mit dem Schwerpunkt Lungenheilkunde in München hat der Facharzt Dr. Frank Powitz seit Sommer weit mehr Lungenentzündungen festgestellt als in den vergangenen Jahren, darunter viele durch Mykoplasmen. Sein Leverkusener Kollege Norbert Mülleneisen wiederum kann in seiner Praxis aktuell keinen Anstieg von Mykoplasmen-Pneumonien feststellen.
Eine flächendeckende Untersuchung, ob Infektionen mit Mykoplasmen vorliegen, gibt es hierzulande nicht. Eine Meldepflicht, sollte der Erreger über einen Abstrich aus Nase oder Rachen oder einer Messung im Blut festgestellt werden, hat in Deutschland nur Sachsen. Nach Angaben der Landesuntersuchungsanstalt für das Gesundheits- und Veterinärwesen gab es in dem Freistaat in diesem Jahr bis Mitte September mehr als 12.000 Meldungen für eine Infektion.
Darunter fallen zwar auch andere Mykoplasmen-Arten als Mycoplasma pneumoniae, aber dennoch ist der Lungen-Erreger dem Dresdner Mikrobiologen Dumke zufolge hauptverantwortlich für den Anstieg. Zum Vergleich: 2023 lag die Zahl der Mykoplasmen-Meldungen zu diesem Zeitpunkt bei rund 2000, im Vorpandemiejahr 2019 bei knapp 1200.
Dumke spricht von einem späten Nachholeffekt nach der Pandemie. Einerseits könne dieser mit Untertypen des Erregers zusammenhängen. Alle paar Jahre gibt es dort leichte Veränderungen, wodurch es auch früher schon zu Anstiegen der Infektionszahlen kam. Nach dem Wegfall der Corona-Schutzmaßnahmen könnten mögliche Veränderungen der Verteilung der Untertypen diesmal besonders ausgeprägt sein – und so das Immunsystem von mehr Menschen umgehen.
Andererseits hatten nach Dumkes Auffassung die Menschen durch die Hygienemaßnahmen während der Pandemie wenig Kontakt mit dem Erreger. Die spezifische Immunantwort in der Bevölkerung in Deutschland auf Mycoplasma pneumoniae müsse erst wieder aufgebaut werden. »Die Welle wird sicherlich wieder abebben«, sagt er. »Wann sie das tut, ist noch nicht klar.«
Der US-Gesundheitsbehörde CDC zufolge kann es zwischen ein und vier Wochen dauern, bis nach Kontakt mit den Bakterien Symptome auftreten. Am häufigsten ähneln sie einer Erkältung: Husten, Müdigkeit, leichtes Fieber oder Halsschmerzen. Bei Jüngeren können Durchfall, Erbrechen oder Keuchen auftreten. Als Komplikationen können auch Asthmaanfälle oder schwere Lungenentzündungen dazukommen.
Die Krankheit beginnt eher schleichend und wird nicht unbedingt sofort erkannt. Auch weil sie anders als bei einer typischen Lungenentzündung – die unter anderem mit hohem Fieber, Schüttelfrost und starkem Husten einhergeht – eher leichtes Fieber, trockenen Husten und Kurzatmigkeit hervorruft. Nach Angaben des Münchner Mediziners Powitz können Lungenentzündungen, die durch Mykoplasmen entstehen, schwerer verlaufen und länger dauern als bei sonstigen Erregern.