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Wo bleiben die Medikamente gegen Long Covid?

Für Patienten mit Post Covid gibt es kaum Therapiemöglichkeiten. Experten forderten jetzt im Gesundheitsausschuss des Bundestags mehr Forschung und Aufklärung zur Ausprägung ME/CFS. Die Liste der Medikamente, die off Label erstattungsfähig werden sollen, lässt weiter auf sich warten.
AutorKontaktDaniela Hüttemann
Datum 16.10.2025  18:00 Uhr

Fachsprachlich spricht man von Long Covid, wenn Symptome einer akuten Corona-Infektion länger als vier Wochen bis zu drei Monaten bestehen. Halten sie noch länger an, spricht man von Post Covid. Gebräuchlicher ist jedoch auch hier der Begriff Long Covid. Zu den vielfältigen Ausprägungen gehören vor allem Müdigkeit, Erschöpfung und eingeschränkte Belastbarkeit, Kopfschmerzen, Atembeschwerden und Kurzatmigkeit, anhaltende Geruchs- und Geschmacksstörungen, Konzentrations- und Gedächtnisprobleme (»Brain Fog«) sowie depressive Symptome, Angst- und Schlafstörungen. 

Eine extreme Ausprägung mit starker körperlicher und psychischer Erschöpfung, Konzentrationsstörungen, Schmerzen und weiteren Symptomen ist ME/CFS. Die Abkürzung steht für Myalgische Enzephalomyelitis/ Chronisches Fatigue-Syndrom. Es kann nach viralen Infektionen wie einer Grippe oder Covid-19 auftreten. Bekannt, aber wenig erforscht war ME/CFS schon vor der Corona-Pandemie

Therapie-Kompass für In-Label- und Positiv-Liste für Off-Label-Use

Im September vergangenen Jahres veröffentlichte die Expertengruppe Long Covid am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erstmals einen Therapie-Kompass mit Empfehlungen zur symptomorientierten Arzneimitteltherapie im Rahmen des In-Label-Use. Darin finden sich unter anderem Therapieempfehlungen bei Angstzuständen, Depressionen und Schmerzen, nicht aber ME/CFS.

Seit Ende 2023 arbeitet die Expertengruppe zudem an einer Liste von Arzneistoffen, die bei Post Covid auch außerhalb der Zulassung verwendet und erstattet werden können. Erste positive Empfehlungen legte die Gruppe in diesem Mai vor. Nach einer Kommentierungsphase sollte diese (überschaubare) Liste voraussichtlich im September finalisiert und an den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) als Empfehlung zur Beschlussfassung weitergeleitet werden. Neben der Erstattungsfähigkeit zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung soll auch die Haftungsübernahme der Pharmaunternehmen geklärt werden. Die Liste positiver Empfehlung umfasste zuletzt nur fünf Positionen:

  • Agomelatin bei Fatigue und voraussichtlich bei postviralem ME/CFS
  • Ivabradin bei POTS (posturales orthostatisches Tachykardie-Syndrom)
  • Naltrexon (Low Dose) bei Fatigue
  • Vortioxetin bei kognitiven Defiziten
  • Metformin zur Prophylaxe von Long Covid innerhalb von drei Tagen nach Diagnosestellung einer akuten SARS-CoV-2-Infektion bei Patienten mit dem Risikofaktor Übergewicht/Adipositas.

Auf Nachfrage teilte das BfArM der Pharmazeutischen Zeitung mit, dass die Finalisierungsphase »nahezu abgeschlossen« sei. Die Übermittlung an den G-BA soll noch im Oktober erfolgen. »Im nächsten Schritt wird dort der zuständige Unterausschuss Arzneimittel – auf Grundlage dieser wissenschaftlichen Ausarbeitungen – für jeden einzelnen Wirkstoff entscheiden, ob der darin enthaltenen Empfehlung der Expertengruppe für die Anwendung im Off-Label-Use bei Long Covid gefolgt werden kann«, so die Arzneimittelbehörde. »Mit einem entsprechenden Beschluss nimmt der G-BA den Wirkstoff dann in die Anlage VI der Arzneimittel-​Richtlinie auf. Je nach Ergebnis der Empfehlungen der Expertengruppe wird der Wirkstoff hier als im Off-​Label-Use ›verordnungsfähig‹ (Teil A der Anlage) oder als ›nicht verordnungsfähig‹ (Teil B) eingestuft.«

BfArM und G-BA nennen keinen genauen Zeitplan

Auf die Frage nach dem Zeithorizont verwies das BfArM an den G-BA, der keinen konkreten Zeitpunkt benennen konnte. »Wenn die Informationen vom BfArM bei uns angekommen sind, beginnt ein normales Beratungsverfahren (wie bei Off-Label-Use-Empfehlungen auch) entsprechend unserer Verfahrensordnung:

  • Beratung zur Umsetzung der Empfehlung(en) und Vorbereitung eines Beschlussentwurfs,
  • Einleitung des Stellungnahme-Verfahrens zum Entwurf (Stellungnahmefrist in der Regel vier Wochen),
  • Auswertung der schriftlichen Stellungnahmen und danach
  • Einladung der Stellungnahmeberechtigten zu einer mündlichen Anhörung.«

Nach abschließender Beratung der eingegangenen Stellungnahmen im Unterausschuss werde der Beschlussentwurf dem Plenum vorgelegt, das abschließend berät und entscheidet. Der Beschluss werde dann dem Bundesministerium für Gesundheit zur rechtlichen Prüfung vorgelegt, das zwei Monate Zeit hat, zu entscheiden. Inkrafttreten würde eine entsprechende Regelung nach Veröffentlichung des Beschlusses im Bundesanzeiger.

Der Zeitrahmen insgesamt sei abhängig vom Beratungsbedarf sowohl in Bezug auf die Umsetzung der Empfehlungen als auch bedingt durch die Anzahl und Umfang der Stellungnahmen. Deshalb seien hier Zeitangaben sehr schwierig vorherzusagen.

Auf Nachfrage der PZ teilte der Verband forschender Pharmaunternehmen (vfa) mit, dass es zur Behandlung des Post-Covid-Syndroms mehrere Projekte zum Repurposing von Medikamenten mit anderen Anwendungsgebieten gibt. Die meisten dieser Medikamente seien schon für ihre Erstindikation zugelassen, aber manche auch noch nicht. Projekte mit eigens gegen Post Covid entwickelten Wirkstoffen sind dem vfa bislang nicht bekannt.

Gesundheitsausschuss hört ME/CFS-Experten an

Derweil fand am 15. Oktober im Gesundheitsausschuss des Bundestages ein Fachgespräch zu postviralen Erkrankungen wie Long Covid und ME/CFS statt. »Die Versorgungslage sei alarmierend schlecht, die Wege zur Diagnose extrem lang«, kritisierte Sebastian Musch, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS, einem gemeinnützigen Verein, der seit 2016 die Rechte und Bedürfnisse von Menschen mit ME/CFS vertritt.

Die meisten Ärzte wüssten nicht, wie sie mit dem Krankheitsbild umgehen sollen. Die Versorgungslücke sei das Ergebnis jahrzehntelanger Vernachlässigung und fehlender Aufklärung. Es mangele an spezialisierten Anlaufstellen und stationären Behandlungsmöglichkeiten. Leistungsansprüche würden oft abgelehnt, was zu Armut bei Betroffenen führe.  Musch forderte eine umfassende Aufklärungskampagne zu ME/CFS sowie mehr Forschung nach medikamentösen Therapien.

Die Medikamentenforschung im Off-Label-Bereich und an neuen Präparaten sei das erfolgversprechendste Mittel gegen Long Covid und ME/CFS, sagte Simon Schöning von der Patientenorganisation »Long Covid Deutschland« und forderte eine Finanzierung für Grundlagen- und Therapieforschung. 

1,5 Millionen Betroffene, die nur schwer an Hilfe kommen

Er sprach von schätzungsweise rund 1,5 Millionen Menschen in Deutschland, die daran erkrankt seien. Es bestünden unverändert Barrieren, die einer flächendeckenden medizinischen und sozialen Versorgung im Wege stehen. Schöning forderte Kompetenzzentren oder Schwerpunktpraxen sowie strukturierte und standardisierte Behandlungsprogramme für die Betroffenen. Die Versorgung mit Hilfsmitteln und die Anerkennung von Pflegebedürftigkeit, notwendiger Assistenz oder Schwerbehinderung sei oft erst durch Widerspruch oder Klage zu erreichen.

Doch selbst an der Diagnose hapere es weiterhin, denn Post Covid ist kein einheitliches Krankheitsbild. Hier wird an Biomarkern und Biosignaturen geforscht. Das Ziel sei, von der zeit- und kostenaufwendigen Ausschlussdiagnostik wegzukommen, sagte Privatdozentin Dr. Bettina Hohberger, Molekularmedizinerin und Oberärztin am Universitätsklinikum Erlangen. 

Professor Dr. Carmen Scheibenbogen von der Charité Berlin, die bereits vor der Pandemie an CFS geforscht hat, kritisierte die oft fehlende Anerkennung, dass es sich um eine schwere chronische Erkrankung handele, die durch Psychotherapie und psychosomatische Rehabilitation nicht behandelbar sei. Derzeit gebe es keine Medikamente, die bei ME/CFS oder Long Covid ursächlich wirksam seien. Zwar werde die symptomorientierte Behandlung einschließlich einer spezialisierten Rehabilitation von Patienten als hilfreich angesehen, sie ändere aber nichts an der Krankheitsschwere, so Scheibenbogen. Eine Heilung ist derzeit nicht möglich.

Patienten nicht stigmatisieren

Rückendeckung gab es am heutigen Donnerstag von Hessens Gesundheitsministerin Diana Stolz (CDU): »Wir dürfen die Betroffenen nicht allein lassen und es braucht viele Stellen, um das Krankheitsbild erforschen, erkennen und effektiver behandeln zu können.« Zudem brauche es auch in der Gesellschaft ein größeres Verständnis für dieses vielschichtige Krankheitsbild. »Die Menschen mit ihren Einzelschicksalen dürfen nicht stigmatisiert werden«, so Stolz.

Die Ministerin verwies bei der Gelegenheit auf die Post-Covid-Koordinierungsstelle am Uniklinikum Gießen und Marburg und ein Projekt im Lahn-Dill-Kreis namens AmRe-LoCO (Digital unterstützte ambulant-medizinische Rehabilitation bei Long-Covid-Syndrom).

Aktuell habe das Bundesgesundheitsministerium einen Förderschwerpunkt zum Thema »Erforschung und Stärkung einer bedarfsgerechten Versorgung rund um die Langzeitfolgen von Covid-19« eingerichtet. Der G-BA habe zudem eine neue Richtlinie beschlossen, um die Versorgung von Long Covid- und ME/CFS-Betroffenen zu verbessern.

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