Wirklich nützlich für die Forschung? |
Lukas Brockfeld |
14.01.2025 14:32 Uhr |
Die EPA-Daten sollen in der Forschung genutzt werden. / © IMAGO/ingimage
Am 15. Januar beginnt die Testphase der elektronischen Patientenakte für alle. Die neue Patientenakte wird mit umfangreichen medizinischen Informationen befüllt, die in pseudonymisierter Form auch der Forschung zur Verfügung gestellt werden. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) verspricht sich von der Nutzung der Daten wissenschaftliche Durchbrüche und sprach gar von einem bevorstehenden »goldenen Zeitalter« der Pharmaforschung.
Doch was sagen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu den Daten, die sie bald für ihre Forschung nutzen könnten? Das Science Media Center Germany hat dazu Statements von vier Forschern aus dem deutschsprachigen Raum eingeholt.
Martin Dugas ist Direktor des Instituts für Medizinische Informatik am Universitätsklinikum Heidelberg. Dugas beschreibt die in der EPA gespeicherten Daten als sehr vielfältig, sodass sie in zahlreichen Bereichen der Medizin einsetzbar sind. Doch der Wissenschaftler sieht auch Probleme: »Aufgrund der hohen Zahl von Patienten ist es in der klinischen Routine meist nicht möglich, alle Details der Daten vollständig zu erfassen. Für die Forschung wäre es sehr hilfreich, wenn die klinischen Daten sinnvoll strukturiert wären und gut aus den IT-Systemen exportiert werden könnten«, erklärt Dugas gegenüber dem SMC.
Der Wissenschaftler betont, dass die Arbeit mit IT-Systemen immer auch mit Risiken einhergehe. »Der erwartbare Nutzen ist nach meiner Einschätzung deutlich größer als die Risiken, weil es noch sehr viele Erkrankungen gibt, für die keine optimale Therapie zur Verfügung steht. Der Forschungsbedarf in der Medizin ist weiterhin sehr groß, und dazu braucht man Daten aus der elektronischen Patientenakte«, so Dugas.
Auch Max Geraedts, Direktor des Instituts für Versorgungsforschung und Klinische Epidemiologie der Philipps-Universität Marburg, ist zuversichtlich. »Durch die elektronische Patientenakte gibt es mehr Daten darüber, welche medizinischen Leistungen wie häufig in Anspruch genommen werden. Das wird ergänzt durch klinische Befunddaten wie Labordaten und Bildgebung. All dies ist längsschnittlich verknüpft – also über einen Zeitverlauf dokumentiert und analysierbar – das wäre neu und hoch relevant«, sagt der Wissenschaftler dem SMC.
Für Geraedts überwiegt der Nutzen der Daten deutlich die möglichen Risiken. Doch er sieht potentielle Probleme, die sich ergeben wenn die Daten in der EPA nicht strukturiert und gleichförmig erfasst werden. »Dazu bräuchte es eine Schulung aller Leistungserbringer, also dem Personal im Gesundheitssystem, und regelmäßige unabhängige Überprüfungen, ob die Daten richtig erfasst wurden. Aktuell ist es zum Beispiel so, dass Daten von unterschiedlichen Ärzten zum Teil unterschiedlich codiert werden«, erklärt der Wissenschaftler. Im Augenblick dienten die gespeicherten Daten vor allem der Abrechnung, daher könnten viele für die Forschung relevante Informationen fehlen. Die EPA sei daher ein Fortschritt, aber nicht optimal.
Patrick Rockenschaub, postdoctoral Researcher an der Medizinische Universität Innsbruck, erklärt gegenüber dem SMC, dass die in der EPA verfügbaren Daten vor allem ein Nebenerzeugnis der täglichen Abläufe im Gesundheitswesen sind. »Im Gegensatz zu prospektiv geplanten Studien hat dies den Vorteil, dass die Daten die tatsächlichen Abläufe in der Praxis widerspiegeln. Umgekehrt kann es dadurch aber sein, dass Informationen, die zwar für die Forschung wichtig wären, aber für die Behandlung der Patient:innen nachrangig sind, nicht dokumentiert oder hochgeladen werden«, so der Wissenschaftler.
Diese Limitation könne schlimmstenfalls zu Verzerrungen und falschen Schlussfolgerungen führen. Daher sei es wichtig, dass die Ärztinnen und Ärzte möglichst viele Informationen in der EPA hinterlegen. »Dazu muss zum einen das Vertrauen in der Bevölkerung geschaffen werden, dass ihre Daten sicher verwahrt und verantwortungsvoll genutzt werden. Zum anderen muss das Gesundheitspersonal dabei unterstützt werden, diese Informationen auch ohne stark erhöhten administrativen Aufwand lückenlos zu dokumentieren«, sagt Rockenschaub.
Die sensiblen Patientendaten in der EPA werden für die Forschung nur pseudonymisiert verfügbar sein. Benedikt Brors, Leiter der Abteilung Angewandte Bioinformatik des Deutschen Krebsforschungszentrums, sieht diese Einschränkung im Gespräch mit dem SMC gelassen. »Eine Rekrutierung in klinische Studien würde das ausdrückliche Einverständnis der Patienten voraussetzen, dazu kontaktiert zu werden, und ist in den meisten Fällen nur aussichtsreich, wenn es über ein wohnortnahes Zentrum erfolgt – mit Ausnahme von Studien, die nur Daten abfragen. In der Regel sind auch aktuelle Behandler mit eingebunden«, so der Wissenschaftler.
Die Forschung an pseudonymisierten EPA-Daten sei vor allem ein Instrument, um schnell Hypothesen zu generieren. Diese könnten dann in einer klinischen Studie getestet werden, für die es jedoch ein eigenes Rekrutierungskonzept brauche. Die EPA ist laut Brors vor allem für die Patientinnen und Patienten von Nutzen, da sie den Austausch von Informationen, beispielsweise zwischen einem Krankenhaus und einem niedergelassenen Arzt, erleichtere. »Die Nutzung für Forschungsfragen ist demgegenüber sekundär«, betont der Wissenschaftler.