Wird der mRNA-Impfstoff in DNA umgeschrieben? |
Theo Dingermann |
03.03.2022 16:00 Uhr |
Nicht überraschend kursiert die Publikation sehr weit in Kreisen der Impfskeptiker und Impfgegner, wobei zu betonen ist, dass die Autoren der Studie selbst weder Daten liefern noch andeuten, dass durch die Applikation eines mRNA-Impfstoffs konkrete gesundheitliche Probleme auftreten können.
Impfgegner (hier bei einer Demonstration in Stuttgart am 5. Februar 2022) sind mRNA-Impfstoffen gegenüber meist besonders kritisch eingestellt. / Foto: Imago Images/Arnulf Hettrich
Dennoch liefert die Arbeit natürlich eine Basis für Spekulationen und Extrapolationen. Denn für gegenüber genbasierten Impfstoffen skeptisch eingestellte Personen scheint mit der Studie eine Argumentationslinie zu fallen, nach der RNA keine Chance hat, ein Genom zu verändern. In Wirklichkeit liefert aber auch diese Publikation keinerlei Hinweise, geschweige denn Beweise, dass das Umschreiben der Impf-mRNA in DNA tatsächlich von biologischer Relevanz ist.
Es ist auch nicht die erste Studie, in der gezeigt wird, dass die mRNA für das Spike-Protein von SARS-CoV-2 in DNA umgeschrieben werden kann. Die prominenteste Studie wurde im Mai letzten Jahres von der Arbeitsgruppe von Professor Dr. Rudolf Jaenisch vom Department of Biology am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, USA, in den »Proceedings of the National Academy of Sciences« publiziert. Anders als die schwedischen Wissenschaftler verwendete die Gruppe aus Cambridge nicht etwa eine in Lipidnanopartikel verpackte isolierte RNA (BNT162b2), sondern infektiöse SARS-Coronaviren-2. Allerdings wurden die Schlüsse dieser Arbeit von Teilen der wissenschaftlichen Öffentlichkeit mehrfach infrage gestellt.
Auch zu der aktuellen schwedischen Studie finden sich viele Kritiker, besonders auf Twitter. Sie zweifeln in der Regel nicht die Korrektheit der publizierten Daten an. Vielmehr kritisieren sie das experimentelle Design der Studie an mehreren Stellen.
Ein Einwand betrifft die in der Studie eingesetzten RNA-Konzentrationen. Da heißt es, dass etwa 200.000 Huh7-Zellen mit 0,15 bis 0,6 µg in Lipidnanopartikel verpackter mRNA behandelt wurden. Geht man davon aus, dass circa 20 Prozent einer 30-µg-Dosis in der Leber auftauchen, wie das toxikologische Studien an Ratten gezeigt haben, und dass eine menschliche Leber etwa 170 Milliarden Hepatozyten enthält, wird deutlich, wie unrealistisch hoch dosiert werden müsste, um beim Menschen vergleichbare Dosen einzusetzen, wie sie in vitro in der schwedischen Studie verwendet wurden.
Zudem wird besonders die Verwendung der Huh7-Zelllinie kritisiert. Dies ist eine extrem aneuploide Zelllinie – die Zellen besitzen also eine ungewöhnliche Chromosomenausstattung. Es ist gut dokumentiert, dass Huh7-Zellen eine deutlich andere Gen- und Proteinexpression aufweisen als normale Hepatozyten und der Karyotyp so instabil ist, dass er nicht einmal von einem Klon zum nächsten identisch ist. Dies stellt nicht die ermittelten Daten infrage, wohl aber deren Übertragbarkeit auf andere Zelltypen.
Hinzu kommt, dass in der Huh7-Zelllinie, wie in anderen Tumorzellen auch, L1-Elemente besonders aktiv sind, die in normalen somatischen Zellen abgeschaltet sind. Um generelle Rückschlüsse zu ziehen, müssten ähnliche Experimente in mindestens zwei weiteren Zelltypen, idealerweise auch in primären Leberzellen, wiederholt werden.
Ein weiterer Kritikpunkt an der Arbeit ist, dass der Nachweis der in den Zellen entstandenen Spike-DNA nur über einen sehr kleinen Sequenzbereich erfolgte. Das hier verwendete Amplikon umfasste nur 444 Nukleotide der 4284 Basen der BNT162b2-RNA.
Fazit: Aus dieser Studie kann man maximal schließen, dass in der speziellen Krebszelllinie Huh7 zumindest ein Teil von BNT162b2 revers transkribiert werden kann. Ob sich die gebildete DNA in das Erbgut der Zellen integrieren kann, wurde nicht untersucht und damit ebenso wenig die potenziellen biologischen Konsequenzen, die aus einer solchen Integration resultieren könnten.
Obwohl die Arbeit von Marcus Aldén und Kollegen handwerklich in Ordnung zu sein scheint, kann man sie eigentlich als überflüssig bezeichnen. Zu diesem harten Urteil kommt man, da sich aus ihr keine biologisch relevanten Schlüsse ableiten lassen. Viel zu artifiziell war das Zellsystem, das die Autoren verwendeten, und in keiner Weise biologisch relevant waren die eingesetzten Impfstoffkonzentrationen. Stattdessen wurde die Publikation von interessierten Kreisen, die sich ein Urteil nicht auf Basis von Fakten, sondern ausgehend von Extrapolationen und Spekulationen bilden, ideologisch vereinnahmt. So befeuert die Arbeit, sicherlich gegen die Intention der Autoren, mehr Unsicherheit und Angst, als dass durch sie eine wichtige biologische Frage beantwortet wird.
Professor Dr. Theo Dingermann, Senior Editor