»Wir wollen keine Lauterbach-Filialen« |
»Ohne Kampf wären wir schon verloren«, appellierte Kammerpräsidentin Ursula Funke an den Durchhaltewillen der Apothekerschaft. Die Protestaktionen seien zumindest ein Erfolg fürs Wir-Gefühl. / Foto: PZ/Wolf
Die derzeitige Situation sei katastrophal, noch nie habe es so viele Apothekenschließungen gegeben, sagte Funke . Nach ABDA-Prognosen werden bis Jahresende insgesamt dieses Jahr rund 600 Apotheken für immer geschlossen werden. »Dennoch haben wir immer noch keine Versorgungsmängel, wir arbeiten immer noch flächendeckend und wohnortnah, wir sind schnell und effizient – eben weil wir so kleinteilig sind und jeder für seine Apotheke entscheidet. Was uns fehlt, ist eine angemessene Honorierung.« Die Vorschläge von Gesundheitsminister Karl Lauterbach seien nicht geeignet, um die wohnortnahe Arzneimittelversorgung zu sichern, im Gegenteil zerstörten diese Pläne die wohnortnahe Apothekenstruktur.
Lauterbach sieht reduzierte Auflagen für Filialapotheken vor – ohne Rezeptur, Notdienste und teilweise ohne approbiertes Personal, dafür mit flexiblen Öffnungszeiten. »Das würde eine Zwei-Klassen-Versorgung bedeuten«, warnte Funke. Statt von »Light-Apotheken« möchte sie besser von »Lauterbach-Filialen« sprechen, da diese nichts mit einer Apotheke gemein hätten, sondern eher an eine »Arzneimittelabgabestelle mit Kiosk-Struktur« erinnerten. Nirgendwo sonst in Europa gebe es Apotheken ohne Apotheker.
Funke sieht in den Plänen einen massiven Angriff auf das derzeitige Apothekensystem. Die »Lauterbach-Filialen« würden unter dem Deckmantel der Liberalisierung über Aufweichung und dann Wegfall des Mehrbesitzverbots den Weg für Fremdbesitz, Ketten und Fremdkapital ebnen. Dass die von Lauterbach angedachte Filial-Strategie nicht aufgehe, zeige sich auch daran, dass derzeit die überwiegende Mehrheit der Filialverbünde nur mit einer Filiale arbeite. Nur 348 Apotheker in Deutschland würden das Filialnetz mit drei Filialen voll ausschöpfen. Zudem gebe es hierzulande derzeit nur 11 Zweigapotheken.
Die Kammerpräsidentin bezeichnete es als »perfide, solche Pläne, die grundsätzliche Strukturänderungen zur Folge hätten, als Erleichterungen und Entgegenkommen für die Apothekerschaft zu verkaufen«. Personal- und Zeitmangel sowie Lieferengpässe würden sich schließlich durch Lauterbach-Filialen nicht in Luft auflösen. Vielmehr habe der Gesetzgeber den Apothekern neue zeitaufwändige Aufgaben wie Impfen, pharmazeutische Dienstleistungen (pDL) oder die erweiterte Medikationsanalyse übertragen. Lauterbach kündigte sogar an, weitere Präventionsangebote in die Apotheken zu holen. »Aber wer übernimmt denn das Mehr an pharmazeutischen Aufgaben, wenn nicht wir Apotheker?«
Vielleicht sei dies aber auch genau das Problem, gab Funke zu bedenken. »Wir managen alle Lieferengpässe, stellen uns auf die Hinterbeine und sorgen dann doch für die ordnungsgemäße Versorgung. Die Patienten registrieren zwar, dass alles etwas länger dauert, gehen dann aber letztlich zufrieden aus der Apotheke, weil wir eine Lösung gefunden haben. Der Druck durch die Patienten ist noch nicht so hoch, wie er eigentlich sein müsste.« Dass dies von Ärzteseite genauso gesehen werde, habe ihr der gemeinsame Demonstrationszug mit den Hausärzten und die Kundgebung in Dortmund gezeigt. Das Lieferengpass-Gesetz – welches besser als Alptraumgesetz zu bezeichnen sei – habe die Mangelverwaltung in den Offizinen wahrlich nicht verbessert.
Die Abschlusskundgebung in Dresden könne nicht das Ende des Apotheken-Protests gewesen sein. »Ohne Kampf wären wir schon verloren«, meinte Funke. Die Protestaktionen bezeichnete sie als einen »Erfolg fürs Wir-Gefühl«, die Geschlossenheit und der Schulterschluss mit den Hausärzten in Dortmund seien ein wichtiges Zeichen. Funke bedankte sich ausdrücklich bei ABDA—Präsidentin Gabriele Regina Overwiening für ihr unermüdliches Engagement. Sobald der Referentenentwurf vorliege, müssten weitere Reaktionen folgen, kündigte die Kammerpräsidentin an. »Unsere Strategie muss derzeit die Aufklärung von Journalisten und Politikern auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene sein, dass die angedachten zerstörerischen Pläne zu einem anderen Gesundheitswesen führen würden und dass sie eben nicht Verbesserungen darstellen.«
In Sachen Notdienst-Regelung wird der 1. Januar 2024 ein Zäsurpunkt. Ab dem kommenden Jahr ändert sich nun die Richtlinie für die Dienstbereitschaft. Seit annähernd zwei Jahren erarbeitete die Kammer konkrete Überlegungen, wie die Dienstbereitschaft flächendeckend reformiert werden kann, um einerseits die Apotheker zu entlasten und andererseits die Bevölkerung nicht über Gebühr zu belasten. Die Delegierten diskutierten ausführlich über die sich ergebenden Änderungen, inklusive Tauschapotheken oder Gerechtigkeit per Mehrjahresalgorithmus.
Mit dem Einvernehmen des zuständigen Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration wird sich ab Januar 2024 die Entfernung zwischen zwei dienstbereiten Apotheken von 20 auf 25 Kilometer erhöhen. Gleichzeitig erfolgt die Umstellung auf ein digitales System, das Geodaten basiert die Apotheken zur Dienstbereitschaft einteilt. Beides wird dazu führen, dass vor allem derzeit stark belastete Apotheken eine spürbare Entlastung erfahren werden. »So kommen Apotheken, die 180 Dienste pro Jahr absolvieren mussten, auf unter 40 Notdienste jährlich herunter«, so Funke.