»Wir werden Lieferengpässe in den Griff bekommen« |
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach war schon häufiger bei Markus Lanz zu Gast. Gestern Abend verteidigte er unter anderem das Lieferengpass-Gesetz. / Foto: Imago/teutopress
Bei der Bekämpfung der Arzneimittel-Lieferengpässe brauche es kurzfristige und langfristige Lösungen, erläuterte Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) am gestrigen Donnerstagabend in der Talksendung »Markus Lanz«. Ein Grund für die Engpässe sei, dass »wir bei Generika vorgehen wie beim Discounter«. Der Preis sei »gedrückt worden bis zum Gehtnichtmehr«. Bei teuren Arzneimitteln könne hingegen zum Teil gespart werden. »Wir werden das Problem aber in den Griff bekommen«, versprach er. Auf die Frage von Talkmaster Markus Lanz, wann die Lösung zu erwarten sei, antwortete Lauterbach: »Jetzt schon. Bei Kinderarzneimitteln werden wir einen besseren Winter haben als im letzten Jahr«. Er führte an, dass bei Medikamenten für Kinder durch das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungs-Gesetz (ALBVVG) Festbeträge und Rabattverträge ausgesetzt werden. Zudem berichte das Bundesinstitut für Arzneimittel (BfArM) ihm direkt über die Lage.
Ulrike Holzgrabe, Seniorprofessorin Pharmazeutische und Medizinische Chemie, teilte Lauterbachs Optimismus nicht. »Mir macht der Winter Angst«, sagte sie. Sie befürchte in der kalten Jahreszeit vor allem Engpässe bei Antibiotika. Schon jetzt seien viele Arzneimittel nicht verfügbar. »Wenn ich in die Apotheke gehe, sehe ich leere Regale«, sagte Holzgrabe. Als einen Grund der Misere sieht sie ebenfalls, dass zu wenig Geld für Generika ausgegeben werde. Außerdem werde zu viel in China hergestellt. »Wir müssen davon wegkommen, dass ein Land so große Macht bei der Produktion hat«, betonte die frühere Professorin an der Universität Würzburg. Nötig sei eine Gesetzgebung, die langfristig wirke und den Herstellern eine Perspektive verschaffe.
Das forderte auch Kai Joachimsen, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der pharmazeutischen Industrie (BPI). »Das ALBVVG ist nur ein erster Schritt«, sagte er. Preismoratorien, Festbeträge und Rabattverträge hätten dazu geführt, dass eine generische Therapie im Schnitt mit 6 Cent am Tag vergütet werde. Kinderarzneimittel, bei denen im Zuge des Gesetzes die Preisschraube gelockert worden sei, machten lediglich 1 Prozent der Arzneimittel aus. »Wir müssen weitergehen, es ist ein Standort-Thema. Wir müssen geopolitisch unabhängiger werden«, forderte Joachimsen.
Lauterbach verteidigte hingegen das ALBVVG und erläuterte, dass es kurzfristig wirke. Um einen Vertrag mit einer Krankenkasse zu bekommen, müssten Hersteller nun sechs Monate Lagerhaltung garantieren. »Das ist natürlich etwas teurer, aber das wirkt kurzfristig.« Generika seien wegen des niedrigen Preises in Deutschland bisher knapper als in anderen europäischen Ländern. »Wenn wir innerhalb Europas nicht die Dümmsten sein wollen, dann muss das kommen.«
Zudem müssten Hersteller von Antibiotika garantieren, dass sie 50 Prozent der Produktion in Europa hätten, führte der Minister weiter aus. Nur dann könnten sie den Zuschlag bei einem Rabattvertrag erhalten. In diesem Winter könne diese Regelung noch nicht ihre volle Wirkung entfalten, da die alten, »schlechten« Verträge rechtlich noch gültig seien. Aber in der »nächsten Runde« gälten die neuen Regeln. »Wir werden das Problem lösen, auch mit europäischer Hilfe«, bekräftigte der SPD-Politiker.
Lauterbach informierte auch, dass er gemeinsam mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundesforschungsministerin Bettina Starck-Watzinger (FDP) seit Monaten an einer Pharmastrategie arbeite. Ziel der Strategie sei es, Pharmaproduktion wieder nach Deutschland zurückzuholen und insbesondere neue Produktionsanlagen für die Antibiotikaherstellung zu fördern. Dazu werde ein »großes Gesetz« vorbereitet. Darin enthalten sei ein Medizinforschungsgesetz, das innovative Arzneimittel in Deutschland schneller zur Zulassung bringen solle. »Die Strategie und das Medizinforschungsgesetz werden wir noch im November vorstellen«, kündigte der Minister an. »Wir gehen auch an dieses Thema ran.«
Kein gutes Zeugnis stellte Lauterbach dem deutschen Gesundheitssystem aus, sondern bezeichnete es als teuer und ineffizient. »Wir müssen immer wieder bedenken: Kein Land in Europa gibt so viel für Gesundheit aus wie wir. Niemand! Und wir haben halt nicht die tolle Behandlungsqualität.« Das führe dazu, dass die Lebenserwartung der Deutschen geringer sei als die der Bürger einiger anderer europäischer Länder. »Somit muss ich auch dafür sorgen, dass die Qualität besser wird«, versprach der SPD-Politiker.