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Hamburger Apothekerkammer

»Wir müssen der Politik Lösungen anbieten«

Bei allen berechtigten Forderungen der Apotheken: Ohne konkrete Gegenvorschläge, um Probleme der Politik zu lindern, wird sich nichts bewegen, meint Hamburgs Kammerpräsident Holger Gnekow und hat dabei vor allem die  Lieferengpässe, Hochpreiser und Notfallversorgung im Blick. Seine Ideen erläuterte er bei der ersten Mitgliederversammlung der Hamburger Apothekerkammer, bei der es um nichts weiter als die Zukunft der Apotheken ging. 
Daniela Hüttemann
04.09.2024  17:00 Uhr

»Der Bundesgesundheitsminister hält uns gut auf Trab mit seinen Gesetzesvorhaben«, konstatierte Holger Gnekow, seit diesem Januar Präsident der Hamburger Apothekerkammer, bei der allgemeinen Mitgliederversammlung. Diese fand gestern zum ersten Mal statt, seit die Vollversammlung durch eine Delegiertenversammlung abgelöst wurde. Das Format fand bei den Hamburger Apothekerinnen und Apothekern dank des abwechslungsreichen Programms guten Anklang.

Gnekow erläuterte zunächst ausführlich den aktuellen Stand zum Apotheken-Reformgesetz und der Notfallversorgung – auch die etwas versteckten Fallstricke, die sie bergen. Für ihn weise alles daraufhin, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach entgegen aller Beteuerungen einen Systemwechsel bei den Apotheken anstrebt – hin zu Abgabestellen mit Automat und Beratung nur noch per Bildschirm (»Modell Hüffenhardt«) und Drogeriemarkt-Apotheken. dm habe sogar schon entsprechende Flächen vorgesehen, sollte es soweit kommen.

Honorarerhöhungen sind nicht vorgesehen; die Politik argumentiere mit fehlenden Mitteln und dass die Apotheken durch das E-Rezept so viel Arbeit sparen könnten, dass es stagnierendes Honorar rechtfertige. »Es wird schwierig, zusätzliches Geld ins System zu bekommen«, fürchtet Gnekow. 

Er versicherte aber, dass die ABDA gegen die Pläne Sturm laufe und man auf allen Ebenen mit der Politik zahllose Gespräche führe. Man sollte allen klar und deutlich sagen, dass inhabergeführte Strukturen zerschlagen werden, die sich nie wieder aufbauen lassen – und das zugunsten von Konzernen mit Finanzinvestoren.  »Wir inhabergeführten Apotheken sind ortsverbunden und leistungsfähig. Dabei bieten wir sehr viele qualifizierte, wohnortnahe Teilzeitarbeitsplätze. Das wird aber nicht so wahrgenommen wie bei großen Unternehmen«, sagte Gnekow mit Blick auf die milliardenschwere Rettung der Meyer-Werft.

Arzneimittel abgeben allein reicht nicht

Aber auch die Apotheken müssen sich bewegen, glaubt Gnekow. »Die reine Abgabe kleiner, teurer, eckiger Packungen ist kein USP!« Natürlich bleibe die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln der wichtigste Punkt. Doch das allein reiche nicht. Auf keinen Fall dürften die Apotheken Kompetenzen wie Rezeptur und Notdienste abgeben. Im Gegenteil: Gnekow sieht die Chance der Apotheken in mehr pharmazeutischen Dienstleistungen – und als Problemlöser für die Politik.

Dafür benannte er drei Felder: Lieferengpässe, Notfallversorgung und Hochpreiser. Dazu hatte sich die neue Delegiertenversammlung bereits bei ihrer ersten regulären Sitzung  Ende Februar Gedanken gemacht. Die Apotheken könnten die Lieferengpässe zwar nicht lösen, wenn es die Arzneimittel gar nicht mehr gebe. Aber durch eine Offenlegung der Warenlager aller Apotheken könnte man zu einer besseren Verteilung und Verfügbarkeit für den einzelnen Patienten beitragen. »Wir brauchen hier ein besseres Management. Wie cool wäre es, wenn der Patient aus der Notfallpraxis kommt und in der ApoGuide-App sofort sieht, welche Apotheke sein Arzneimittel vorrätig hat?«, argumentierte Gnekow aus Anwendersicht.

Technisch sei dies möglich; viele Apotheken hätten bereits ein transparentes Warenlager; einige Apps wie Mauve, Effizin und Apozin böten diese Möglichkeit und in anderen Ländern funktioniere es bereits. Wenn man dies dann noch mit cleveren Vorschlägen für alternative Arzneimittel oder Packungsgrößen und einer automatischen Abfrage beim Großhandel verknüpfen könnte, würden die Patienten (und die Politik) es einem danken.

Bessere Versorgung im Notfall

Die Notfallversorgung sei ohnehin ein großes Problem. Derzeit ist vorgesehen, dass Apotheken Abgabestellen an den geplanten Integrierten Notfallzentren (INZ) einrichten sollen. Falls das nicht klappt, droht ein Dispensierrecht für die dortigen Ärzte. Das wiederum könnte jedoch zu einem Pull-Effekt führen, warnt Gnekow. Wieso sollte ein kranker Patient noch in seine normale Arztpraxis gehen, wenn er im INZ sein Medikament in einem Rutsch mitbekommt? Ein Gegenvorschlag könnte zum Beispiel ein ärztlich verordneter Botendienst aus der Apotheke sein.

Auch könnte man in der Apotheke assistierte Telemedizin anbieten, bei der ein diensthabender Arzt hinzugeschaltet werden kann, um zum Beispiel einer Patientin mit Blasenentzündung in der Apotheke direkt ein E-Rezept auszustellen, dass diese sofort einlösen kann. Die Kammer Hamburg hat einen entsprechenden Antrag beim Deutschen Apothekertag eingereicht.

»Apotheken können sehr viel mehr als Logistik«, betonte Gnekow. Sie könnten auch Gesundheitslotse und -notar sein, indem sie wichtige Werte überwachen und dokumentieren. Parallelstrukturen wie Gesundheitskioske, die Lauterbach gern hätte, seien überflüssig. Viele der Aufgaben könnten Apotheken übernehmen oder täten es schon – alles als mögliche vergütete pharmazeutische Dienstleistungen.

»Die Hochpreiser fressen uns auf«

Die größte Gefahr für unser Gesundheitssystem sieht der Hamburger Kammerpräsident in den hochpreisigen Arzneimitteln, deren Absatz und Umsatz in den letzten Jahren steil angestiegen ist. Bereits jetzt verursachen 0,5 Prozent der Packungen mehr als ein Drittel der Arzneimittelkosten.

»Wir können es uns nicht leisten, alle, die dafür infrage kommen, mit Ozempic und CAR-T-Zelltherapie zu versorgen«, so die unbequeme Wahrheit. Entweder müssten die Beiträge drastisch steigen oder es muss demnächst priorisiert werden – beides extrem unpopuläre Maßnahmen.

Auch hier gebe es keine einfachen Lösungen, aber die Apotheken könnten beitragen, indem sie stärker dafür eingesetzt werden, dass die teuren Arzneimittel richtig und konsequent angewendet werden. Die so gesparten Arzneimittelkosten würden locker reichen für eine angemessene Vergütung adhärenzfördernder pharmazeutischer Dienstleistungen.

Zudem bräuchten die Apotheken Unterstützung und Anreize, um die Patienten mit Hochpreisern zu versorgen – zum Beispiel eine Retaxsicherheit durch eine elektronische Vorabgenehmigung der Krankenkasse und eine unverzügliche Erstattung. »Hier sind sehr dicke Bretter zu bohren, aber wir müssen diese Diskussionen führen«, betonte Gnekow. »Wir müssen zeigen: Wir sind nicht nur dagegen, sondern Teil der Lösung.«

Apotheken als »Tankstellen der Gesundheit«

Auch Gesundheitsökonom Professor Dr. David Matusiewicz, Dekan der FOM Hochschule für Ökonomie und Management in Essen, traut den Apotheken deutlich mehr zu. »Wo sonst treffe ich so niederschwellig und ohne Termin einen Akademiker für fachlichen Rat?« Beratung und Einordnung werde immer wichtiger, gerade in Zeiten von Google und ChatGPT, sagte er in seinem Gastvortrag »Apotheke der Zukunft«. Was bedeutet zum Beispiel die Warnung meiner Smartwatch? Wie sind die Werte zu interpretieren?

Der Trend gehe »über die Pille« hinaus und »um den Kunden herum«, um ihm möglichst ganzheitliche Lösungen für seine Gesundheit, insbesondere auch die Prävention zu bieten. Apotheken könnten zum Beispiel Patienten digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) erklären und dafür honoriert werden.

Statt sich vor Digitalisierung und KI zu fürchten, sollte man sie nutzen; zum Beispiel analysieren, welche Patienten den dringendsten Bedarf für eine Intervention haben, Botendienstrouten mit KI planen, Beratungsgespräche aufzeichnen und dokumentieren oder für die Kommunikation nutzen – ob in automatisierten Chats oder als direkte Übersetzungshilfe bei Patienten mit anderer Sprache. Es gebe bereits viele intelligente Lösungsansätze und technische Möglichkeiten. 

Matusiewicz glaubt, dass Apotheken erste Anlaufstellen und Primärquelle für Gesundheit für die Menschen bleiben, zusätzlich aber mit digitalen Möglichkeiten auch zu den Patienten kommen müssen. Nicht zuletzt sei der Apotheker selbst ein potenter Wirkstoff. Matusiewicz konnte in einer Studie nachweisen, dass die apothekerliche Beratung die Chance, dass eine Therapie nicht abgebrochen wird, um den Faktor 9,4 erhöht.

Besondere Ehrung für Kai-Peter Siemsen

Im letzten Part der Veranstaltung ging es um Kai-Peter Siemsen, von 2012 bis Januar 2024 Präsident der Apothekerkammer Hamburg und bereits seit den frühen 1990er-Jahren berufspolitisch aktiv. Die Kammer verlieh ihrem Ehrenpräsidenten nun unter Standing Ovations auch die Ernst-Dietrich Ahlgrimm-Ehrenmedaille für herausragende Verdienste für die Hamburger Apothekerinnen und Apotheker.

Gleich fünf Laudationen wurden gehalten. Der amtierende Präsident Gnekow betonte, Siemsen habe sich schon früh für die Öffentlichkeitsarbeit, Nachwuchsgewinnung und mehr pharmazeutische Leistungen wie Gesundheitschecks eingesetzt.

Als prominente Laudatorin berichtete Aydan Özoğuz, Mitglied des Bundestags (SPD) und stellvertretende Bundestagspräsidentin, von ihrem Kennenlernen mit Siemsen beim »Hamburger Gesundheits-Schnack« und dreistündigem Besuch in seiner Apotheke. Er habe die Entwicklung des Apothekers weg vom Kaufmann hin zu mehr Heilberuf konsequent verfolgt. Sein Engagement sei von Diskussionsfreude, Deutlichkeit und Beständigkeit sowie einer tiefen Liebe für seinen Beruf geprägt.

Auch Ursula Funke, Vizepräsidentin der Bundesapothekerkammer und hessische Kammerpräsidentin, schätzte den offenen Austausch, immer im Dienst der Sache. »Es hat auf fachlicher und menschlicher Ebene geklappt«, so Funke. »Er ist Apotheker durch und durch und steht für die gute Versorgung in seinem Kiez.« Als Hanseat habe er sich auch lange im Haushaltsausschuss engagiert und stets hinterfragt, ob das Geld richtig eingesetzt wird.

Persönliche Worte fand auch Dr. Lutz Schehrer vom Vorstand des Hamburger Apothekertags, der als Pharmaziepraktikant in Siemsens »Neuer Eilbecker Apotheke« seinen Berufsweg begonnen hat und mittlerweile als ehrenamtlicher Pharmazierat für die dortige Inspektion zuständig ist. Auch er honorierte die zahlreichen Themen, die Siemsen auf den Weg gebracht hat, darunter die Neuordnung der Beitragsordnung, einer Annährung der Hamburger Heilberufekammern und Einführung von Social-Media-Formaten der Hamburger Apothekerschaft.

Höchste Anerkennung und Wertschätzung sendete zudem ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening, die aufgrund der anstehenden konstituierenden Delegiertenversammlung ihrer eigenen Kammer Westfalen-Lippe nicht persönlich nach Hamburg kommen konnte. Stellvertretend verlas Hamburgs Kammervizepräsidentin Dr. Dorothee Dartsch die Laudatio, in der Overwiening unter anderem Siemsens besonderen Humor, seine Beharrlichkeit und auch Sachlichkeit selbst bei persönlichen Angriffen lobte.

Siemsen: »Immer einmal mehr aufstehen als hinfallen«

Siemsen freute sich über die Anerkennung seines rund 30-jährigen Engagements. Er hätte gern noch weitergemacht als Kammerpräsident, gab er zu. Dass er nicht wiedergewählt wurde, habe im ersten Moment weh getan, aber das sei Demokratie. Ohnehin sei sein Motto »einmal mehr aufstehen als hinfallen«, ob in der Berufspolitik oder auch gesundheitlich. Er nutze die Zeit nun, um seine Apotheke weiter voranzubringen und sich vor allem auch mehr seiner Familie zu widmen.

Siemsen bedankte sich jedoch nicht nur, sondern nutzte die Gelegenheit auch für scharfe Kritik gegenüber der SPD. »Wir brauchen auch als Heilberuf eine wirtschaftliche Grundlage.« Die Parteigenossen sollten hinterfragen, was ihr Bundesgesundheitsminister derzeit als Wohltaten verkünde, jedoch in Wirklichkeit die Axt an das Apothekensystem lege, was er bereits 2004 an der Seite der damaligen Ministerin Ulla Schmidt begonnen habe. Eine solche Politik mit einer Verschlechterung der Versorgung sei mitverantwortlich für das Wahl- und Umfragedesaster der SPD. »Die Menschen merken, wenn etwas anderes getan als gesagt wird.« 

An die SPD-Abgeordnete Özoğuz gewandt plädierte Siemsen: »Bitte nutzen Sie Ihren Einfluss und stellen Sie sich schützend wenn nicht vor uns, so vor die Patienten.« Er verwies auf andere Parteikollegen, die sich bereits für die Apotheken ausgesprochen haben, unter anderem Dirk Heidenbluth und Daniel Rinkert. »Sie haben verstanden: Wir wollen keine Reichtümer, sondern nur einen Inflationsausgleich nach 20 Jahren Honorarstillstand, um unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besser zu bezahlen.«

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