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BKK-Vorständin Klemm

»Wir müssen das Geld sinnvoller verteilen«

BKK-Vorständin Anne-Kathrin Klemm rechnet mit schneller steigenden Kassenbeiträgen und hofft, dass der finanzielle Druck im System zu einem echten Strukturwandel im Gesundheitswesen führt. Der Austausch mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) scheint dagegen auch für die Kassen schwierig zu sein.
Alexander Müller
23.12.2024  09:30 Uhr

PZ: Was sind derzeit die drängendsten Probleme der Krankenkassen?

Klemm: Die Ausgaben galoppieren davon. Wir haben eine Ausgabendynamik, wie wir sie seit Jahre nicht gesehen haben. Das überrascht nicht nur uns, sondern auch das Bundesgesundheitsministerium. Im stationären Bereich sehen wir mit fast 8 Prozent eine krasse Dynamik – und das auf einem sehr hohen Niveau. Wir sehen es aber auch im Arzneimittelbereich, insbesondere bei den Orphan Drugs. Wir sehen es bei den Heil- und Hilfsmitteln, bei den Fahrkosten. Ich habe den Eindruck, es herrscht eine gewisse »Rette-sich-wer-kann-Mentalität« mit Mitnahmeeffekten. Damit kann die Einnahmenseite einfach nicht Schritt halten.

PZ: Sie befürchten weiter steigende Beiträge?

Klemm: Der Schätzerkreis hat im Oktober 2,5 Prozent Beitragssatzsteigerung für 2025 prognostiziert. Das wird nicht reichen. Wir werden schon zum Jahresanfang Steigerungen sehen, die deutlich über den 2,5 Prozent liegen werden. Und das macht natürlich vielen Kassen große Sorgen.

PZ: Was halten Sie von dem Vorhalt mancher Politiker, es gäbe ohnehin zu viele Krankenkassen?

Klemm: Eine wunderbare polemische Formulierung. In keinem anderen Bereich würde man sagen, der Staat legt fest, wie viele Brauereien es geben darf. Wir sind im Wettbewerb, die Versicherten stimmen mit den Füßen ab. Und man bekommt die Versorgung der Versicherten nicht durch weniger Kassen besser sichergestellt. Die Verwaltungskosten bei den Betriebskrankenkassen sind unterdurchschnittlich im Vergleich zu allen anderen Kassenarten. Und wenn man es mit der PKV vergleicht, dreimal mehr. Wir sind kleine, super effiziente Einheiten. Aber wir werden im nächsten Jahr definitiv Fusionen sehen, nicht nur in unserem Lager. Es werden sich auch größeren Kassen zusammenschließen müssen.

PZ: Die Kassen wollen mehr »Lotse« und »Coach« für die Versicherten sein. Wo ist die Grenze zwischen Unterstützung und Eingriff in die Therapie?

Klemm: Wir stellen nicht die besseren Diagnosen oder Behandlungskonzepte. Wir reklamieren aber für uns, dass wir bei bestimmten Indikationen sehr spezifische Angebote unterbreiten können. Und unsere Möglichkeiten sind mit dem neuen § 25b SGB V (Datengestützte Erkennung individueller Gesundheitsrisiken, Anm. d. Red.) größer geworden. Wir dürfen endlich unsere Daten analysieren und auf dieser Basis im Präventionsbereich, zur Vermeidung von Pflege oder schwerwiegenden Erkrankungen ganz konkrete Angebote machen und die Versicherten gezielt ansprechen. Es geht nicht darum, dass sich die Kassen einmischen. Aber wenn wir gleichzeitig sehen, dass die Gesprächszeit in der Arztpraxis immer weiter reduziert wird, kann eine Kasse viel auffangen.

PZ: Die Krankenkassen haben traditionell einen engen Draht zum Bundesgesundheitsministerium. Wie haben Sie das in der aktuellen Legislatur erlebt?

Klemm: Der Minister hat die Krankenkassen öffentlich als »reine Lobbyisten« beschimpft. Das sind wir tatsächlich: Lobbyisten im besten Sinne für unsere Versicherten. Das ist leider vom Gesundheitsminister – nicht von allen Kolleginnen und Kollegen im BMG – anders gesehen worden. Die Nähe war da viel enger zu selbst gewählten Expertengremien, leider ohne die Akteure einzubinden, die die Gesetze nachher umsetzen sollen. Das haben wir als großes Manko gesehen.

PZ: Also war Minister Lauterbach selbst nicht der beste Lobbyist für die Patientinnen und Patienten?

Klemm: Er war Lobbyist für einzelne Gruppierungen, Lobbyist im eigenen Sinne. Beispiel Gesundes-Herz-Gesetz: Dass ein Minister en detail in ein Gesetz schreibt, wer welche Statine zu verordnen hat, was eigentlich in den Leitlinien geregelt ist und in der Hoheit der Ärzteschaft liegt – dass war schon sehr speziell. Und wenn ein Minister meint, es besser zu wissen als alle anderen, da würde ich eigentlich immer zu großer Vorsicht raten.

PZ: Was erwarten Sie jetzt von der neuen Bundesregierung?

Klemm: Es muss wieder mehr miteinander gesprochen werden. Und wir müssen jetzt wirklich drauf schauen, ob wir uns das aktuelle System, das sich über viele Jahre und in Zeiten des Wohlstandes eingegroovt hat, noch leisten können. Alle sehen, dass der Zugang zur Versorgung immer schwieriger wird und wir sehen massive Versorgungsbrüche. Der Versicherte meandert völlig ziellos und ungesteuert durch das System und trifft dann auf irgendeinen Leistungserbringer – Hauptsache irgendeinen.

PZ: Sie wünschen sich mehr Steuerung?

Klemm: Wir brauchen deutlich mehr Steuerung. Dabei kann zum Beispiel die KI helfen. In der Schweiz ist ein Zugang über telemedizinische Versorgung gang und gäbe. Für eine Erstberatung braucht es auch keine Ärztinnen und Ärzte. In Finnland finden inzwischen 80 Prozent der Versorgung digital statt. Das muss bei uns nicht so extrem sein, aber wir werden einen anderen Mix benötigen als heute.

PZ: Was macht sie zuversichtlich, dass das 2025 gelingen wird?

Klemm: Das klingt jetzt vielleicht etwas krude, aber der Druck im System ist so groß, dass sich alle Akteure etwas mehr aus ihren Gräben herausbewegen und bereit sind für Gespräche. Und daher hoffe ich, dass wir dem finanziellen Druck nicht nur mit platten Einschnitten im Leistungssystem begegnen, sondern es bottom-up schaffen, die Versorgung neu zu strukturieren und das Geld, das im System ist, sinnvoller zu verteilen als bislang.

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