»Wir können unser Leben kaum finanzieren« |
Lukas Brockfeld |
08.02.2024 17:00 Uhr |
Vor dem Gebäude der Bundesärztekammer versammelten sich etwa 200 Protestierende. / Foto: PZ / Lukas Brockfeld
Vor dem Gebäude der Bundesärztekammer (BÄK) in Berlin versammelten sich am Donnerstagvormittag etwa 200 Menschen. Sie haben Schilder, Trillerpfeifen und Fahnen mitgebracht. Drinnen fand die vierte Runde der Tarifverhandlungen zwischen dem »Verband medizinischer Fachberufe« (vmf) und der »Arbeitsgemeinschaft zur Regelung der Arbeitsbedingungen der Arzthelferinnen/Medizinischen Fachangestellten« (AAA) statt. Draußen traten die MFA lautstark für ihre Interessen ein.
»Wir wollen zeigen, dass wir zur Not die Praxen lahmlegen können«, erklärte Melanie Meißner, kurz nachdem sie mit ihrem Megafon einen Sprechchor angeführt hat. »Wir kämpfen heute für unseren Beruf, für bessere Arbeitsbedingungen und bessere Gehälter.« In den vergangenen Jahren hätten viele Kolleginnen und Kollegen der ambulanten Versorgung den Rücken gekehrt. Meißner will mit ihrem Protest dazu beitragen, dass ihr Beruf wieder attraktiver wird und mehr MFA in die Praxen zurückkehren.
Die Protestierenden riefen daher Losungen wie »überlegt euch gut, was ihr tut« und »heute ist kein Arbeitstag, heute ist ein Streik-Tag« in Richtung des BÄK-Gebäudes. Auf mitgebrachten Schildern war beispielsweise »Wir verdienen mehr als Applaus!« und »Wir retten Leben, können aber kaum unser eigenes Leben finanzieren!« zu lesen.
Der vmf hat zum ersten Mal in seiner Geschichte zu einem eintägigen Warnstreik aufgerufen. Nach Angaben des Verbands haben mindestens 2000 MFA in ganz Deutschland die Arbeit niedergelegt und damit die Abläufe in zahlreichen Praxen durcheinandergewirbelt. Proteste gab es nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch in Dortmund, Hamburg, Marburg und Stuttgart. Der vmf will mit dem Arbeitskampf folgende Forderungen durchsetzen:
»Wenn MFA streiken, werden die Auswirkungen unmittelbar zu spüren sein. Aber nur so gelingt es uns, die Arbeitsbedingungen für die Berufsangehörigen zu verbessern«, erklärte vmf-Präsidentin Hannelore König in einer Mitteilung. Patientinnen und Patienten werden um Verständnis gebeten.
Schon im Januar hatte König betont, dass ein Warnstreik nötig werde. In drei Verhandlungsrunden von Oktober bis Dezember 2023 habe sich die AAA nur »minimal bewegt« und beharre auf ihrem Gesamtpaket von 5,5 Prozent. Das angebotene Einstiegsgehalt sei zu niedrig, kritisiert König. Da zudem die Zuschläge in den Tätigkeitsgruppen reduziert werden sollten, erhielten MFA im 17. Berufsjahr in der höchsten Tätigkeitsgruppe nur eine geringe Steigerung von 0,1 Prozent.
AAA-Vorsitzender Erik Bodendieck hat wenig Verständnis für den Streik: »Wir wollen den MFA-Beruf in Zeiten des Fachkräftemangels attraktiv und wettbewerbsfähig halten. Daher haben wir zweistellige Steigerungsraten in den unteren Tarifgruppen vorgeschlagen. Über alle Tarifgruppen hinweg würde das Angebot der AAA eine Gehaltssteigerung um fast 6 Prozent für ein Jahr bedeuten.« Der geforderten Erhöhung der Ausbildungsvergütung habe die AAA direkt zugestimmt. Die »Blockadehaltung« des vmf sei daher nicht nachvollziehbar.
Außerdem dürfe man die ökonomische Realität nicht aus den Augen verlieren: »Bei aller Wertschätzung für die MFA müssen die Arbeitsplätze finanzierbar bleiben. Die Forderungen des vmf übersteigen die finanziellen Möglichkeiten vieler Praxen, die durch Kostensteigerungen und die Inflation bereits sehr belastet sind«, so Bodendieck.
Der Virchowbund stellte sich dagegen ausdrücklich hinter die Streikenden und rief auch die Ärzteschaft zur Unterstützung auf. »Die Praxen sind chronisch unterfinanziert. Das bekommen auch unsere MFA täglich zu spüren«, sagte Dr. Dirk Heinrich, Bundesvorsitzender des Virchowbundes. »Die mangelnde Wertschätzung der Politik gegenüber den MFA ist nur die Spitze des Eisbergs. Obendrein beschleunigen die Probleme den ohnehin wachsenden Fachkräftemangel. Letztlich ist damit die gesamte unmittelbare, wohnortnahe Versorgung bedroht – und das trifft wiederum alle.«
Am Donnerstagnachmittag verkündete der vmf, dass im Tarifstreit eine Einigung erzielt wurde. Das konkrete Ergebnis könne allerdings erst nach Ende der Erklärungsfrist am 16. Februar bekanntgegeben werden.
Die Verhandlungsführerin Hannelore König zeigt sich zufrieden mit der Resonanz auf den Warnstreik: »MFA sind keine Lokführer. Die Problematik ist um einiges komplizierter und liegt zu einem wichtigen Teil im System der Finanzierung des Gesundheitswesens. In dem Sinne haben wir ein Ziel bereits erreicht: Es wird in der Öffentlichkeit über die Gehalts- und Arbeitssituation der MFA gesprochen. Dieser Druck scheint nicht ohne Auswirkung auf unsere Verhandlungen geblieben zu sein.«