»Wir brauchen integrative Ansätze« |
Christina Hohmann-Jeddi |
31.05.2024 15:00 Uhr |
Der Mensch ist für den Zustand der Erde verantwortlich, deshalb liegt es auch an ihm, Lösungen zu finden, machte Professor Dr. Klement Tockner, Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, deutlich. / Foto: PZ/Alois Müller
»Das One-Health-Konzept ist ein holistischer Ansatz, dem zufolge die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt eng zusammenhängen«, machte Tockner deutlich. Leidet die Umwelt, leidet auch die Menschheit, und zwar nicht nur gesundheitlich, sondern auch wirtschaftlich. Das verdeutlichten zum Beispiel die Top-10-Risiken für das laufende Jahrzehnt, die das Weltwirtschaftsforum 2023 benannt hat. Unter diesen befinden sich sechs Umweltrisiken, etwa fehlende Anpassung an den Klimawandel, Extremwetterereignisse, Verlust an Biodiversität und Kollaps von Ökosystemen.
Dabei hänge beinahe die Hälfte der gesamten globalen Wirtschaftsleistung unmittelbar von der Vielfalt an Ökosystemen, Arten und Populationen ab, so Tockner. Doch die Biodiversität gehe deutlich zurück. »Bis Ende des Jahrhunderts werden vermutlich zwei Millionen Arten verschwunden sein«, berichtete der Biologe. Viele von ihnen seien noch nicht einmal entdeckt. Pro Jahr würden etwa 10.000 Arten neu beschrieben, während geschätzte 50.000 Arten aussterben. »Das ist Wissen aus der Evolution, das damit verschwindet.«
Die wichtigsten Gründe für diese Entwicklung sind Tockner zufolge landschaftliche Veränderungen etwa durch die Intensivierung der Landwirtschaft, Umweltverschmutzung, die Übernutzung der natürlichen Ressourcen sowie invasive Arten. Diese gebietsfremden, eingeschleppten Spezies, die ansässige Arten verdrängen, seien an 60 Prozent aller Fälle von Artensterben mitbeteiligt und verursachten jährlich Schäden in Milliardenhöhe.
Inzwischen werde schon viel für Umwelt- und Artenschutz getan: So werden in Deutschland pro Jahr etwa 76 Milliarden Euro für Umweltschutzmaßnahmen ausgegeben, wobei 94 Prozent für die Beseitigung von Schäden wie Abfallwirtschaft und Abwasseraufbereitung ausgegeben werden, also quasi für das »Aufräumen«. Dagegen flössen kaum Gelder in Prävention und den Artenschutz. Gleichzeitig würden jährlich 65 Milliarden Euro umweltschädliche Investitionen getätigt. Einige Artenschutzprojekte, wie die Auswilderung von Bibern in Europa und die Wiederansiedlung von Wölfen, seien sehr erfolgreich, dennoch gebe es gleichzeitig einen Rückgang etwa bei Insekten und Vögeln. »Wir brauchen einen holistischen Ansatz zum Artenschutz, einen Schutz der Ökosysteme, nicht eine Fokussierung auf einzelne Arten.«
Auf einen neuen Stressor ging Tockner näher ein: die Lichtverschmutzung. Etwa 20 Prozent des globalen Energieverbrauchs werde dafür verwendet, um die Nacht zu erhellen. Die Folgen für die Tier- und Pflanzenwelt seien noch weitgehend unerforscht. »Wir machen hier quasi einen Selbstversuch«, sagte der Biologe.
Das künstliche Licht in der Nacht kann etwa das Verhalten von Tieren beeinflussen. So sei zum Beispiel bekannt, dass die Lichtverschmutzung die Melatoninbildung bei Fischen unterbricht und auch die Wanderungsbewegung von Plankton in Gewässern stört. Erforscht würden die Auswirkungen der Lichtverschmutzung unter anderem im »Verlust der Nacht«-Projekt des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin.
»Viele durch Umweltverschmutzung und Klimawandel induzierte Veränderungen sind unumkehrbar und prägen die Erde für Jahrtausende bis Jahrmillionen«, machte der Referent abschließend deutlich. Zur Lösung der Probleme bräuchte es einen integrativen Ansatz in der Forschung und der Umsetzung von Maßnahmen. »Die Menschheit ist für den Zustand des Planeten verantwortlich und damit auch für die Lösung der Probleme.«