Wir alle lächeln gleich |
| Jennifer Evans |
| 02.04.2021 16:00 Uhr |
Viele Gesichtsausdrücke wie Freude, Ärger oder Staunen sind rund um den Globus in fast allen Kulturen ähnlich. / Foto: Adobe Stock/Djomas
Das menschliche Gesicht besitzt 43 unterschiedliche Muskeln, um damit Tausende unterschiedliche Emotionen auszudrücken. Unabhängig von der Kultur scheinen einige Gesichtsausdrücke universell zu sein. Das haben Wissenschaftler um Alan Cowen von der Universität von Kalifornien, Berkeley in Zusammenarbeit mit Google Research herausgefunden.
Für seine Untersuchung nutzte der Emotionsforscher nicht nur Fotos von Menschen unterschiedlicher Nationalitäten, wie es Experten vor ihm bereits taten, sondern machte zudem vom sogenannten maschinellen Lernen Gebrauch. Dieses künstliche System leitet aus Übungsdaten später Muster oder Gesetzmäßigkeiten ab. Den entsprechenden Algorithmus fütterte Cowen dann mit sechs Millionen YouTube-Videos aus 144 Ländern. Seine Ergebnisse, die das Fachjournal Nature kürzlich publizierte, zeigen: Ähnliche Gesichtsausdrücke kommen in ähnlichen Alltagssituationen auf der gesamten Welt vor.
Zum Beispiel ist der Ausdruck von Staunen beim Anblick eines Feuerwerks, Zufriedenheit bei Hochzeiten sowie Triumph bei einer Sportveranstaltung über alle Kulturen hinweg ähnlich. Außerdem tauchten alle 16 analysierten Gesichtsausdrücke – nämlich Freude, Ärger, Staunen, Konzentration, Verwirrung, Verachtung, Zufriedenheit, Verlangen, Enttäuschung, Zweifel, Begeisterung, Interesse, Schmerz, Trauer, Überraschung und Triumph – rund um den Globus in etwa denselben Lebenssituationen auf.
Das könnte dem Forscher zufolge daraufhin deuten, dass zumindest einige von ihnen bereits biologisch verankert sind. Die Studien-Ergebnisse belegen nämlich auch, dass sich die Korrelationen von Mimik und Situation in 70 Prozent der Fälle, egal auf welchem Kontinent deckt. Allerdings gibt Cowen zu Bedenken, dass alle Kulturen, die Teil seiner Untersuchung waren, einen Zugang zum Internet besaßen und sich womöglich durch die Globalisierung die Mimik kulturell vermischt haben könnte. Nichtdestotrotz geht sein Wissenschaftsteam davon aus, dass die Erkenntnisse insgesamt für einen universalen mimischen Ausdruck sprechen, der hauptsächlich biologisch gesteuert ist. Unter anderem deshalb, weil zum Beispiel andere Untersuchungen belegen, dass Skulpturen aus der alten Maya-Kultur gewisse Gesichtsausdrücke reflektieren, die ebenfalls in Westeuropa vorkommen. Und das betrifft Cowen zufolge eine Zeit, in der ein Austausch zwischen den Kulturen nicht hätte stattfinden können.
Und noch eine weitere interessante Entdeckung machten die Forscher bei der Analyse der Videos: Die Mimik von Menschen aus Indonesien und von den Philippinen ähnelte sich in den realen sozialen Kontexten stärker als die von US-Amerikanern und Westeuropäern. Grundsätzlich hoffen die Autoren, dass ihre Studie-Ergebnisse sich als nützlich für jene Menschen erweisen, die Probleme beim Lesen von Emotionen in den Gesichtern anderer haben wie etwa Autisten.
Fest steht: Können Menschen die Gesichtsausdrücke ihres Gegenübers nicht deuten, erschwert dies das Miteinander. Mit diesem Problem hat sich auch der australische Künstler Vic McEwan auseinandergesetzt und Werke geschaffen, die Kunst und Medizin verbinden. Ausgangspunkt für sein Projekt was die sogenannte Fazialisparese. Bei dieser Schädigung des Fazialisnervs oder auch Gesichtsnervs kommt es beispielsweise zu Lähmungen im Bereich verschiedener Gesichtsmuskeln, die für die Bewegung von Augen, Wangen, Stirn, Nase oder Mund zuständig sind. Häufig ist nur eine Gesichtshälfte betroffen. Weil sich durch die Krankheit die Art und Weise verändert, wie Betroffene ihre Emotionen im Gesicht zum Ausdruck bringen, wird der Umgang mit anderen Menschen oft schwierig.
Per 3D-Scanner hat Vic McEwan die Gesichter solcher Patienten erfasst und sie dreidimensional ausgedruckt. Die daraus entstandenen Werke hatte er im Kunstmuseum Tate Liverpool bereits im vergangenen Jahr ausgestellt. Eines davon hieß »Gesichtsnervenharfe«. Dazu montierte er auf dem Modell des Patientengesichts eine Harfe, um den Nerven, die sich nicht mehr äußern können, eine Stimme zu verleihen.
McEwan kam dazu, weil er sich angesichts seiner Promotion an der Universität Sydney mit Gesichtslähmung und deren Einfluss auf die Betroffenen beschäftigte. »Fazialisparese ist eine Erkrankung, die sowohl große physische als auch psychische Auswirkungen für die Patienten hat. Forschungen belegen, dass Menschen mit Lähmungen der Gesichtsnerven bis zu fünf Mal häufiger an Depressionen leiden als der Rest der Bevölkerung«, sagte McEwan gegenüber dem Wirtschaftsmagazin Forbes. Mit seinem Projekt, das in Zusammenarbeit Gesundheitsexperten und Patienten der Gesichtsnerven Klinik in Sydney entstand ist, wollte der Künstler jene emotionalen Aspekte und Gefühle einfangen, die oft übersehen werden.
In der zweiten Hälfte des Jahres 2021 plant er wieder eine Ausstellung samt Interviews mit Betroffenen – dieses Mal soll es ein reines Online-Format sein. Ein Datum steht allerdings noch nicht. McEwans will mit seiner Arbeit über die Erkrankung aufklären und so Diskriminierung und Stigma entgegenwirken sowie mehr Empathie schaffen. Und vor allem will er auch die Ähnlichkeiten in den Gesichtsausdrücken von gesunden Menschen und jenen mit einer Gesichtslähmung aufzeigen.