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Hormonsystem

Wie wirken endokrine Disruptoren?

Zahlreiche natürliche und synthetische Stoffe greifen in das Hormonsystem von Mensch und Tier ein. Dies kann erwünscht oder unerwünscht sein. Was sind endokrine Disruptoren und was ist über ihre Schadeffekte bekannt?
Eva Gottfried
09.10.2022  08:00 Uhr

Endokrin aktive Substanzen haben viele Namen: Umwelthormone, Phytohormone, Phytoestrogene, hormonaktive Stoffe und andere. Allen gemeinsam ist, dass sie hormonelle Vorgänge im menschlichen Körper beeinflussen und stören können. Je nach Einfluss unterscheidet die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) endokrin aktive Substanzen (EAS), welche die normale Hormonaktivität modulieren, und endokrine Disruptoren (ED), die negative Effekte auf menschliche und tierische Organismen zeigen (1).

Nach ihrem Vorkommen lassen sich die Substanzen einteilen in natürliche Hormone wie 17β-Estradiol (E2), natürliche chemisch definierte Substanzen wie Genistein, synthetisch hergestellte Arzneistoffe unter anderem zur Empfängnisverhütung oder antihormonellen Tumortherapie, und Nebenprodukte der chemischen und landwirtschaftlichen Produktion von Kunststoffen bis Pestiziden (Tabelle 1) (2, 3).

Substanzgruppe Substanzen (Beispiele) Vorkommen (Beispiele)
natürliche Hormone 17β-Estradiol (E2) im Abwasser
natürliche Substanzen wie Phytoestrogene und Toxine Genistein, Coumestrol

Zearalenon
Phytoestrogene

Mykotoxine
synthetisch hergestellte Arzneistoffe 17α-Ethinylestradiol (EE2) Kontrazeption
synthetisch hergestellte Arzneistoffe Tamoxifen Antiestrogen in der Krebstherapie
anthropogene Chemikalien und Nebenprodukte Parabene (4-Hydroxybenzoesäure) Konservierungsstoffe in Kosmetika
anthropogene Chemikalien und Nebenprodukte Pestizide (chlorierte Verbindungen) und Herbizide Pflanzenschutzmittel
anthropogene Chemikalien und Nebenprodukte Bisphenole Kunststoffproduktion, Lebensmittelverpackungen
anthropogene Chemikalien und Nebenprodukte Polychlorierte Biphenyle (PCB) industrielle Chemikalien
anthropogene Chemikalien und Nebenprodukte Nonylphenol aus nicht-ionischen Tensiden Waschmittel
Tabelle 1: Natürliche und anthropogene endokrin aktive Substanzen nach Vorkommen (2, 3)

Dabei ist zu unterscheiden zwischen erwünschten und unerwünschten hormonellen Effekten. Bekannte Beispiele für Substanzen mit erwünschten Effekten im weiblichen Organismus sind Estrogenrezeptor-Agonisten wie 17α-Ethinylestradiol (EE2) zur hormonellen Kontrazeption sowie Antagonisten wie Tamoxifen oder Fulvestrant für die Antiestrogen-Therapie bei Mammakarzinom-Patientinnen. Unerwünscht, weil schädigend, sind zum Beispiel die Auswirkungen von Bisphenolen in Kunststoffen oder von Rückständen der früher häufig eingesetzten polychlorierten Biphenyle (PCB).

Zell- und gewebespezifisch wirkende Agonisten und Antagonisten werden auch als Selektive Estrogen-Rezeptor-Modulatoren (SERM) bezeichnet. Ihre Wirkung hängt von der Expression der angesprochenen Rezeptoren in einzelnen Zielgeweben sowie der Konzentration des endogen vorhandenen Estrogens ab. Zu ihnen zählen unter anderem Clomifen als Antiestrogen und Ovulationsauslöser bei Kinderwunsch, Raloxifen und Bazedoxifen zur Therapie der postmenopausalen Osteoporose sowie Tamoxifen und Toremifen zur Brustkrebstherapie bei Estrogenrezeptor-positivem Mammakarzinom (4).

Auch Phytohormone zählen zu den endokrin aktiven Substanzen, die therapeutisch eingesetzt werden. Ihnen werden schon länger gesundheitsfördernde Effekte zugeschrieben, sei es bei Wechseljahresbeschwerden, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Fettleibigkeit, metabolischem Syndrom oder Typ-2-Diabetes (5). Zu diesen phytogenen Sekundärmetaboliten gehören unter anderem Isoflavon- und Stilben-Derivate, Lignane, Coumestan-Derivate, Triterpenglykoside und pflanzliches Progesteron (Gestagen).

Phytohormone: umstrittene Evidenzlage

Phytohormone zeigen Strukturähnlichkeiten zu verschiedenen Hormonen, weshalb sie in eine ganze Reihe hormoneller Regelsysteme eingreifen können (5). So enthalten Soja und Rotklee die Isoflavonoide Genistein und Daidzein, Rotklee zusätzlich Formononetin und Biochanin A, für die eine Hemmung gonadotroper Hypophysenhormone und die Modulation der Steroidhormon-Biosynthese beschrieben sind (5, 6). Die Traubensilberkerzenwurzel (Actaea racemosa/Cimifuga racemosa) enthält die Triterpenglykoside Actein und Cycloartan-Derivate, die ebenfalls in das Estrogenrezeptorsystem eingreifen können (6).

Neben Modulation der Liganden und/oder der Rezeptorwege werden Phytohormonen auch vielfältige Effekte auf Ebene der intrazellulären Signalwege und der Genregulation zugeschrieben. So sind Effekte auf Zellzyklus regulierende Faktoren wie Cyclin D1 und Cyclin-abhängige Kinase-Inhibitoren (p21, p27 und p57) sowie auf die Expression von Tumorsuppressor-Genen wie APC, PTEN und SERPINB5 beschrieben (7). Und auch die Inhibition von Tyrosinkinasen und von DNA-Topoisomerasen, die an der Replikation und Transkription beteiligt sind, wurde für Isoflavonoide gezeigt (5).

Außerdem können verschiedene Substanzkonzentrationen unterschiedliche Effekte haben. So ist gezeigt, dass manche endokrin aktiven Substanzen in niedrigen Konzentrationen den Estrogenrezeptor aktivieren, in höheren Konzentrationen aber das endogene Estrogen vom Rezeptor verdrängen und damit antiestrogen wirken (3, 5).

Viele Befunde basieren auf In-vitro-Untersuchungen. Bei Anwendung von Phytoestrogenen in vivo sind mögliche positive Effekte den möglichen gesundheitlichen Risiken gegenüberzustellen. Eine abschließende Nutzen-Risiko-Analyse ist bei derzeitiger Datenlage schwierig (2).

Schädliche Wirkung durch endokrine Disruptoren

Etwa tausend chemische Substanzen werden nicht mehr nur als endokrin aktiv, sondern als endokrine Disruptoren (ED) bezeichnet, die per definitionem dem Körper schaden (1, 3). Eine ganze Reihe von Tierstudien, In-vitro-Analysen und epidemiologischen Studien deutet immer wieder auf Zusammenhänge zwischen der Exposition gegenüber endokrinen Disruptoren und dem Auftreten von Entwicklungsstörungen, einem frühen Einsetzen der Pubertät, Störungen der Spermienbildung und Reproduktion, vermehrtem Auftreten hormonabhängiger Tumoren, Stoffwechselerkrankungen wie auch neurologischer Erkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten hin.

Die Substanzen greifen auf der Ebene von Rezeptoren, Liganden oder intrazellulären Signalwegen an. Die Wirkmechanismen sind sehr komplex, weil es sich nicht um die natürlichen Liganden der Rezeptoren handelt und weil ihre Spezifität und Affinität sehr unterschiedlich sind. Außerdem ergeben sich aus den verschiedenen Signalwegen lipophiler und hydrophiler Hormone zahlreiche Angriffspunkte (Grafik) (3, 8).

So sind Steroidhormone wie Estrogene, Androgene und Mineralocorticoide lipophile Moleküle. Diese werden mittels Diffusion von den Zellen aufgenommen und binden intrazellulär an nukleäre Rezeptoren (Kernrezeptoren). Der Rezeptor-Hormon-Komplex induziert im Kern die Transkription von Effektorproteinen, die den Stoffwechsel beeinflussen. Auch Schilddrüsenhormone sind lipophil und binden an einen Kernrezeptor. Peptid- und Proteohormone wie Insulin und die Catecholamine dagegen sind hydrophil. Hier bindet das Hormon an einen Membranrezeptor und das Signal – nicht das Hormon – wird in der Zelle weitergeleitet. Auf diese Weise induziert Insulin beispielsweise die verstärkte Expression von Glucosetransportern auf Muskelzellen und steigert damit deren Aufnahme von Glucose (9).

So wirken endokrine Disruptoren über eine ganze Reihe verschiedener Angriffspunkte. Neben den agonistischen oder antagonistischen Effekten am Rezeptor verändern einige über Rückkopplungseffekte die Rezeptoraktivität oder die Anzahl der Rezeptoren auf den Zielzellen. Dabei beeinflussen sie die Konzentration der endogenen Hormone, indem sie deren Produktion, Freisetzung, Transport oder Abbau modulieren. Darüber hinaus greifen endokrine Disruptoren in zelluläre Signalwege ein, indem sie Signalmoleküle wie MAPK/ERK aktivieren oder blockieren. Außerdem beeinflussen sie die Transkriptionsregulation auf epigenetischer Ebene über die Modulation von Histonmodifikationen und nicht-codierenden RNAs (Tabelle 2) (3).

Wirkungsebene Effekte
Aktivierung von Hormonrezeptoren Rezeptoragonist und -antagonist
Rezeptorexpression gesteigert oder gesenkt
Rezeptorliganden Einfluss auf Hormonsynthese, Hormontransport im Blut (zum Beispiel Bindung/Wegfangen) und/oder in die Zelle, Hormonmetabolismus (Clearance)
Signaltransduktion der Hormonantwort Bindung von Signalmolekülen,
Blockade oder Aktivierung von Signalmolekülen (MAPK/ERK)
epigenetische Regulation auf Rezeptor- und Hormonebene Chromatin-Modifikation, Methylierung und Acetylierung beeinflussen Transkription von Hormon und Hormonrezeptor
Tabelle 2: Mögliche Wirkmechanismen endokriner Disruptoren (3)

Die meisten Kenntnisse zur Wirkung endogener Disruptoren gibt es aus In-vitro- und Tiermodellen zum Estrogen-Androgen-System. So wirken Bisphenol A, Phthalate und polyfluorierte Substanzen als Rezeptoragonisten und -antagonisten und greifen in die Signaltransduktion hormonresponsiver Zellen ein. Hierbei können auch die Signalmoleküle des MAPK/ERK-Signalwegs oder der Transkriptionsregulator PPAR (peroxisome proliferator activated receptor) aktiviert werden.

Diskutiert wird zudem die Aktivierung weiterer Steroidrezeptoren wie Estrogen-Related Receptor gamma (ERR-γ) oder G-Protein-gekoppelter Rezeptors GPR30. Außerdem ist für einige Phthalate gezeigt, dass sie die epigenetischen Regulationsmechanismen der Testosteronsynthese stören (3, 10).

Neben den Geschlechtshormonen können endokrine Disruptoren weitere Hormone negativ beeinflussen, zum Beispiel die der Schilddrüse. Hier werden Effekte auf den T3-Rezeptor, die Verfügbarkeit seiner Liganden, die Schilddrüsenhormon-Transporter und metabolisierende Enzyme diskutiert. So stört beispielsweise Perchlorat die Aufnahme von Iod in Schilddrüsenzellen und greift damit in die physiologische Schilddrüsenhormon-Synthese ein (3, 11).

Wie beeinflussen Obesogene das Körpergewicht?

Im Fettgewebe spielen Estrogen- und Androgenrezeptoren sowie Enzyme wie die Aromatase eine wichtige Rolle. Dabei fördern Estrogene die Proliferation der Präadipozyten und regulieren damit die Anzahl der Adipozyten. Dies geschieht in einem komplexen Regelwerk unter Beteiligung von Glucose, Fettsäuren, Cholesterol, Gallensäure, Insulin-Wachstumsfaktor-1-Rezeptor (IGF1-R), PPAR-γ und anderen Regulatoren. Es wurde gezeigt, dass eine erhöhte Exposition mit dem synthetischen Antiestrogen Diethylstilbestrol (DES) mit einem gesteigerten Risiko für Fettleibigkeit verbunden ist. Auch wenn das in den 1970er-Jahren in den USA häufig in der Gynäkologie eingesetzte Hormon seit mehr als zwanzig Jahren verboten ist, finden sich immer noch Rückstände in der Nahrungskette (10).

Zahlreiche endokrin aktive Substanzen werden auch als Obesogene bezeichnet (10). Es wird diskutiert, inwieweit sie über den Stoffwechsel in die Entwicklung und Funktion von Fettgewebe, Leber, Bauchspeicheldrüse, Magen-Darm-Trakt und sogar des Gehirns eingreifen. Als empfindlichster Zeitpunkt für die Wirkung von Obesogenen werden Schwangerschaft und frühe Kindheit angenommen (10). Darüber hinaus konnte in Langzeitstudien auch beim Menschen bereits ein Zusammenhang von PFAS-Exposition (Per- und Polyfluoroalkyl-Substanzen) und Adipositas, Neigung zu Übergewicht, metabolischem Syndrom und Diabetes gezeigt werden (Tabelle 3) (3).

Stoffe Vorkommen Mögliche Mechanismen
Bisphenol A (BPA) Kunststoffe
Expoxidharze
Verpackungsmaterial
ER-Agonist
ThR-Antagonist
Hemmung PPAR-γ-Signalweg
epigenetische Veränderungen
Phthalate, z.B. Phthalatester Weichmacher in Kunststoffen wie PVC (inzwischen beschränkter Einsatz) schwache ER-Bindung
Induktion von PPAR-β
AR-Bindung
Reduktion der Testosteronsynthese
Verringerung der MR/AR-Expression
epigenetische Veränderungen
Per- und Polyfluoroalkyl-Substanzen (PFAS), z.B. Perfluoroctansäure (PFOA) Kunststoffherstellung, weil wasser- und ölabweisend ER-Bindung
PPAR-Agonist
Benzophenone Abbauprodukt der UV-Filtersubstanz Octocrylen (Sonnenschutzmittel) ER-Rezeptor-Regulation
kanzerogen
photomutagen
17α-Ethinylestradiol (EE2) Einsatz in Kontrazeptiva
Rückstände in Abwasser
ER-Agonist
Tabelle 3: Mögliche Wirkungsmechanismen ausgewählter endokriner Disruptoren (2, 3, 10). AR: Androgenrezeptor (Kernrezeptor); ER: Estrogenrezeptor (Kernrezeptor); MR/AR: Mineralocorticoid-/Aldosteron-Rezeptor; PPAR-β: peroxisome prolife

Ob und auf welchem Weg endokrine Disruptoren die zugrunde liegenden Stoffwechselprozesse beeinflussen und welcher Zusammenhang mit dem metabolischen Syndrom besteht, wird seit 2019 in dem umfassenden EU-Projekt »Metabolische Effekte von Endokrinen Disruptoren: neue Testmethoden und Adverse Outcome Pathways« (EDCMET) untersucht (12). Hier kooperieren das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und elf Partner aus acht Ländern.

Obelix und Obesity

Das EU-finanzierte Projekt »Obelix« (Obesogenic endocrine disrupting chemicals: linking prenatal exposure to the development of obesity later in life) befasste sich schon zwischen 2009 und 2013 mit dem Zusammenhang von endokrinen Disruptoren und Fettleibigkeit (Obesity), speziell für die sechs Hauptklassen Dioxine, polychlorierte Biphenyle (PCB), bromierte Flammschutzmittel, Organochlorpestizide, Phthalate und perfluorierte Alkylsäuren (PFAA). Im epidemiologischen Studienteil wurden Geburtsgewicht, Wachstum und Body-Mass-Index (BMI) bei Kindern betrachtet.

Dabei waren die perinatale Exposition gegenüber PCB 153 mit einem verringerten Geburtsgewicht, die Exposition gegenüber Dichlordiphenyldichlorethen (DDE) mit einem schnellen Wachstum bei Kleinkindern und die Exposition gegenüber Dioxin-ähnlichen Chemikalien mit einem erhöhten BMI assoziiert. Auch in Tierstudien fanden die Wissenschaftler Stoffwechselveränderungen, beispielsweise veränderte Lipidspiegel; allerdings war die Assoziation zum Körpergewicht hier weniger eindeutig (13).

Bisphenol A: nur eines einer ganzen Gruppe

Bisphenol A (BPA) ist das bekannteste Mitglied der Substanzgruppe der Bisphenole, die sich chemisch über zwei Hydroxyphenyl-Gruppen charakterisiert; daher der Trivialname (Tabelle 3). Bisphenol A wurde seit den 1950er-Jahren bei der Produktion verschiedener Gegenstände des täglichen Lebens eingesetzt: in Kunststoffen für Plastikflaschen und Epoxidharzen zur Beschichtung von Bodenbelägen, zur Innenbeschichtung von Getränkedosen, Konserven und Verpackungsmaterial, in CD und DVD, Spielzeug und Plastikgeschirr bis hin zu Farbentwicklern in dem inzwischen verbotenen Thermopapier von Kassenzetteln (3).

BPA wirkt auf vielfältige Organsysteme (Tabelle 4). Es zeigt deutliche Affinität zu Estrogenrezeptoren, wobei die Affinität zu ER-β- stärker ist als zu ER-α-Rezeptoren. Aus Tierstudien ist bekannt, dass BPA die Entwicklung von Gehirn und Reproduktionsorganen sowie Stoffwechselvorgänge stört und zur Adipozyten-Hypertrophie, zu veränderter Anzahl der Fettzellen und einem veränderten Fetteinbau führt. Neben der Schädigung der Betazellfunktion kann BPA auch die PPAR-γ-Signalgebung kompetitiv hemmen und Entzündungsmarker und oxidativen Stress steigern (14, 15).

Organsystem Effekt auf
gesamter Körper Körpergewicht, Fettmasse
Fettgewebe Adipozyten-Differenzierung
Glucoseaufnahme
Entzündung
Gehirn (Hypothalamus) Vermittlung von Hunger und Sättigung über Pro-Opiomelanocortin-(POMC-)Neurone
Bauchspeicheldrüse Insulinsekretion, Betazellstruktur
Leber oxidativer Stress, Entzündung, Adipozyten-Hypertrophie, Hepatotoxizität
Muskel Insulinresistenz
Schilddrüse TSH-Reduktion
Geschlechtsorgane Unfruchtbarkeit, sexuelle Dysfunktion, reduziertes Körpergewicht von Neugeborenen
Tabelle 4: Mögliche Effekte von Bisphenol A auf verschiedene Organsysteme (Tier- und Humanstudien); mod. nach (15)

Epidemiologische Studien zum Einfluss im Menschen beschreiben einen Zusammenhang von BPA und Adipositas, Typ-2-Diabetes mellitus, Unfruchtbarkeit der Frau, sexueller Dysfunktion beim Mann, verringertem Geburtsgewicht und neurologischen Veränderungen beim Kind (3, 16). So zeigt eine Metaanalyse von 16 Studien aus den Jahren 1980 bis 2019 mit insgesamt 41.320 Teilnehmern einen Zusammenhang zwischen Bisphenol-A-Konzentrationen (gemessen in Urin, Serum und Gewebeschnitten) und dem Risiko für Typ-2-Diabetes mellitus (17). Außerdem gibt es erste Hinweise auf einen Einfluss von BPA auf die TSH-Konzentration bei Kindern und damit die Schilddrüsenaktivität (18).

2011 wurde der Einsatz von BPA zumindest in Babyflaschen aus Polycarbonat in der EU verboten. Infolgedessen wurde die Substanz in vielen Verbraucherprodukten durch die Strukturanaloga Bisphenol S (BPS) und Bisphenol F (BPF) ersetzt. Allerdings wurden inzwischen auch für diese Stoffe schädigende Effekte nachgewiesen, neben endokrinen Effekten auch Zyto- und Genotoxizität, Reproduktionstoxizität, Dioxin-ähnliche Wirkungen und Neurotoxizität (14).

Phthalate und allergische Reaktionen

Phthalate werden industriell als sogenannte Weichmacher in Kunststoffen und Verpackungsmaterial sowie in Kosmetika eingesetzt (Tabelle 3). Insbesondere die Phthalatester DEHP, BBP, DBP und DiNP gelten als persistierende und akkumulierende Chemikalien (2).

Aus Tierstudien ist bekannt, dass Phthalate in die Entwicklung und Reifung der Oozyten eingreifen und so die Fertilität beeinflussen können (14). Bei männlichen Tieren können sie die Testosteronsynthese stören und zu Testosteronmangel führen (3). Dabei sind mehrere Angriffspunkte beschrieben, von Bindung an Estrogen- und Androgenrezeptoren, Reduktion der Expression von Mineralocorticoidrezeptoren (Aldosteron-Rezeptoren) und PPAR-β-Induktion bis hin zur epigenetischen Regulation der Genexpression im Hoden (2, 3).

Doch nicht nur das Sexualhormonsystem scheint betroffen zu sein. So wurde auch gezeigt, dass Phthalate als Adjuvanzien wirken und in Gegenwart eines Allergens Atemwegs- und Entzündungsreaktionen fördern können (19).

Neben diesen Untersuchungen im Tier deuten auch epidemiologische Studien zur Wirkung im Menschen auf einen Zusammenhang von Phthalat-Exposition und allergischen Erkrankungen von Atemwegen, Auge und Haut hin (20).

Disruptoren in Backpapier und Sonnenschutzfiltern

Tributylzinnhydrid (TBT) ist eine metallorganische Verbindung des Zinns, die unter anderem zur Beschichtung von Textilien, Backblechen und Backpapier sowie für PVC-Bodenbeläge genutzt wird. Die Substanz führte in Tierstudien zu Fehlbildungen und induzierte im Froschmodell Fettleibigkeit, indem sie die Umwandlung von Hoden- in Fettzellen förderte, was die männliche Fertilität negativ beeinflusste (10).

Auch Benzophenone und 4-Methylbenzylidencamphor (4-MBC) als UV-Filter in Sonnenschutzpräparaten, das Antioxidans Butylhydroxytoluol (BHT) in Kosmetika und als Lebensmittelzusatzstoff (E321) oder Trioctyltrimellitat (TOTM), ein Phthalat-Ersatzstoff in Kunststoffteilen medizinischer Geräte, zeigen endokrine Wirkungen. Deshalb sind einige der Substanzen, zum Beispiel 4-MBC, in der EU für bestimmte Verwendungen nicht mehr zugelassen, andere stehen unter Beobachtung (1, 3).

Daneben sind mehr als zweihundert früher industriell genutzte Substanzen wie polychlorierte Dioxine und Furane sowie polychlorierte Biphenyle (PCB) seit mehr als zwei Jahrzehnten verboten. Rückstände lassen sich jedoch immer noch nachweisen. Sie haben sich insbesondere in Boden und Gewässersedimenten angereichert und gelangen über die Nahrungskette in den Körper. Die früher in der Produktion von Kunststoffen und Lacken eingesetzten Substanzen wurden ursprünglich wegen ihrer humantoxischen Wirkung verboten. Ebenso wurde das Insektizid DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan) wegen des Verdachts auf Kanzerogenität verboten. Inzwischen wurde aber gezeigt, dass viele dieser Substanzen darüber hinaus als endokrine Disruptoren wirken (2, 21).

Belastung der Ökosysteme

Weil sich endokrine Disruptoren in der Umwelt ansammeln, sei es in Form von Produktionsrückständen oder Pestiziden in Abwässern, Boden oder Lebensmitteln, wird häufig auch von Umwelthormonen gesprochen. Dabei ist nicht nur der Mensch, sondern auch die Tierwelt betroffen.

Die stärkste Belastung zeigen die Ökosysteme der Oberflächengewässer, weil endokrine Disruptoren besonders durch Auswaschung, Niederschlag, Oberflächenabfluss und Abwassereinleitung in die Gewässer gelangen. Dort werden sie zum Teil am Sediment gebunden, zum Teil weiter transportiert. So fanden zahlreiche Studien Veränderungen an den Geschlechtsorganen von Fischen, die unterhalb von Klärwerkabflüssen der Kommunen oder von Industrieanlagen lebten. Außerdem konnte gezeigt werden, dass Chemikalien, die mit der Funktion der Schilddrüse interagieren, die Metamorphose von Amphibien beeinträchtigen. Sind Entwicklung und Fortpflanzung der Tiere betroffen, können ganze Populationen gefährdet sein (22).

Die Umwelt ist einer Vielzahl von Chemikalien ausgesetzt, die natürlich nicht alle endokrin aktiv sind. Damit ist es aber schwierig zu belegen, welche der beobachteten Schäden tatsächlich durch endokrine Disruptoren verursacht werden, nicht zuletzt, weil auch Spätschäden zu betrachten sind. Die Entwicklung von schädlichen (adversen) endokrinen Effekten auf verschiedenen biologischen Ebenen wird häufig mithilfe sogenannter »Adverse Outcome Pathways (AOP)« untersucht und erläutert. Diese dienen zur Erklärung der Wirkungsweise von Chemikalien und zeigen kausale Zusammenhänge zwischen der Exposition und den Effekten auf Ebene der Zellen, Organe, Organismen und ganzer Populationen (22).

Risikotestung durch BfR und EFSA

Für die Bewertung möglicher Schädigungen sind europaweit die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und in Deutschland zusätzlich das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zuständig. Ihre Aufgaben bestehen in der Gefahrenabschätzung und Risikobeschreibung anhand von wissenschaftlichen Daten zur akuten und chronischen Wirkung verschiedenster Substanzen. Dabei werden unter anderem die tägliche Aufnahmemenge (TDI), die Benchmark-Dosis (die niedrigste Dosis mit Effekt) und die Äquivalentdosis (Maß für biologische Wirksamkeit) betrachtet (1, 23).

Von der EFSA und der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) wurden inzwischen Leitlinien zur Identifizierung von Substanzen mit endokrin disruptiven Eigenschaften erstellt. Anhand derer sollen die im Jahr 2017 von der EU erstellten Kriterien zu endokrinen Disruptoren umgesetzt werden (1, 22).

Allerdings sind vielfältige Herausforderungen bei der Risikobewertung zu meistern. So haben die Risikobewertungen im Rahmen der Obelix-Studie der EU gezeigt, dass die kritischen Effektkonzentrationen verschiedener endokriner Disruptoren wesentlich niedriger liegen als die bei Toxizitätsbestimmungen der Behörden zurzeit der Studie eingesetzten Mengen der LD50-Bestimmung (13).

Welche Konzentrationen nun relevant sind, ist zwischen Industrie und Verbraucherorganisationen umstritten (24). Außerdem bedarf der Nachweis sehr niedriger Substanzkonzentrationen der weiteren Optimierung der Nachweisverfahren wie LCMS/MS und es müssen Langzeiteffekte bedacht werden, die erst über die Jahre hinweg erfasst werden können. Auch additive und synergistische Effekte (»Cocktail-Effekt«) müssen erforscht und beachtet werden. So wird es nötig sein, über die bestehenden Grenzwerte einzelner Substanzen hinaus Grenzwerte für die Exposition mit mehreren Substanzen festzulegen (23).

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