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Diskussionsrunde

Wie wird die Arzneimittelversorgung nachhaltiger?

Die Arzneimittelversorgung muss nachhaltiger werden – darüber waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Diskussionsrunde auf Einladung der AOK Baden-Württemberg einig. Deutlich wurde auch, dass dabei noch viele »Zielkonflikte« zu überwinden sind.
Anne Orth
13.10.2023  10:30 Uhr

Was macht eine nachhaltige Arzneimittelversorgung aus? Wie ist die aktuelle Situation? Wie viel lassen wir uns Nachhaltigkeit kosten? Über diese und weitere Fragen tauschten sich Akteure aus Politik, Wissenschaft, Industrie sowie Kassenvertreter am Mittwochabend bei der Online-Veranstaltung »#AgendaGesundheit Forum« aus. Eingeladen hatte die AOK Baden-Württemberg. Es diskutierten Malgorzata Debiak vom Umweltbundesamt, Michael Hennrich, Geschäftsführer Politik beim Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) und der Europaabgeordnete Peter Liese (CDU). Die Positionen der AOK Baden-Württemberg vertraten der Vorstandsvorsitzende Johannes Bauernfeind, Vorstandsvize Alexander Stütz sowie die alternierenden Verwaltungsratsvorsitzenden Maren Diebel-Ebers und Peer-Michael Dick.

»Es ist fünf vor zwölf«

Dass dringend etwas passieren muss, machte Malgorzata Debiak deutlich. »Es ist fünf vor zwölf«, sagte die wissenschaftliche Mitarbeiterin des Umweltbundesamts. Zu spät sei erkannt worden, dass Arzneimittel ein Problem für die Umwelt darstellten. Bereits rund 440 Wirkstoffe seien unter anderem in Böden und im Trinkwasser gemessen worden. »Wir müssen die Einträge in die Umwelt verringern. Und wir brauchen ein Umweltmanagement von Arzneimitteln«, forderte sie. Die bisherigen Anstrengungen reichten nicht aus. Beim Pharmapaket sei eine große Chance vertan worden, einheitliche Standards etwa für die Antibiotikaproduktion und auch für andere Wirkstoffe zu schaffen. Hier sei die Politik gefragt: »Wir freuen uns, wenn Umweltverträglichkeit bei der Novelle des Pharmapakets als Kriterium bleibt.« Weiterhin sei der Zugang zu Daten wichtig, um Risiken abschätzen zu können. Hierfür seien weitere Gesetze nötig, sagte Debiak.

Der Europaabgeordnete Peter Liese informierte über den aktuellen Stand bei der Novelle der Europäischen Richtlinie zur Behandlung von kommunalem Abwasser. Die vierte Reinigungsstufe in Kläranlagen sei mit erheblichen Kosten verbunden und werde nicht so schnell kommen. Dazu habe es in der vergangenen Woche einen Kompromiss gegeben. Mühsam sei auch der Einsatz für globale Umweltstandards. »Hier stoßen wir an Grenzen«, räumte Liese ein. So sei es nicht einfach, Regelungen mit Drittstaaten zu vereinbaren. »Am besten ist es, wenn giftige Stoffe gar nichts erst ins Abwasser gelangen«, sagte der Europaabgeordnete. Hier sieht er die Hersteller in der Pflicht. Jeder, der Arzneimittel produziere, müsse einen Beitrag leisten. Wer weniger verursache, müsse dann auch weniger zahlen. Der Abgeordnete sprach sich zudem dafür aus, Medikamente, die die Umwelt schädigten, vom Markt zu nehmen, wenn es Alternativen gebe. Auch Werbeverbote hält er für denkbar. »Es gibt viele Möglichkeiten, aber man muss die Leute mitnehmen«, betonte er. Dazu sei viel Kommunikation notwendig.

»Es ist allen bewusst, dass wir besser werden müssen«, sagte Michael Hennrich, Geschäftsführer Politik beim BAH. Aber schon jetzt engagierten sich die Unternehmen, zum Teil auch in freiwilligen Initiativen. Seiner Ansicht nach werde in Deutschland bereits nachhaltig produziert. Beispielsweise verfügten viele Hersteller über eigene Kläranlagen. »Wenn Hersteller hohe Standards einhalten, schlägt sich das aber auch auf den Preis nieder. Dann sind wir nicht mehr wettbewerbsfähig«, gab er zu bedenken. Auch die erweiterte Beteiligung der Hersteller an der vierten Reinigungsstufe in Klärwerken belaste die Hersteller. »Das kann dazu führen, dass Unternehmer woanders produzieren«, warnte er und forderte Planungssicherheit für die Industrie: »Es müssen Standards definiert werden, die im Voraus bekannt sind, damit die Unternehmen sich darauf einstellen können.«

Umweltkriterien in Rabattverträge einbezogen

Johannes Bauernfeind informierte, dass die AOK Baden-Württemberg bei der Ausschreibung von fünf antibiotischen Wirkstoffen auch Umweltkriterien einbezogen habe. Die Anbieter mussten unter anderem nachweisen, dass sie bei Abwässern bestimmte Grenzwerte einhalten, zudem mussten sie Kontrollen erlauben. Weitere Zuschlagskriterien waren die Länge der Lieferkette und die Einhaltung örtlicher Arbeitsschutz-Vorgaben. Die AOK habe ein Institut beauftragt, die Verträge, die von Juni 2021 bis Mai 2023 liefen, auszuwerten. Für die Zuschlagskriterien musste sich die Kasse vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf verantworten. Das Gericht untersagte in zweiter Instanz die Anwendung eines qualitativen Zuschlagskriteriums für robuste Lieferketten. »Bei Ausschreibungen brauchen wir die Garantie, dass wir Kriterien rechtssicher durchsetzen können«, forderte Bauernfeind. Die Verwaltungsratsvorsitzende Maren Diebel-Ebers wies darauf hin, dass die »Ausschreibung nur nach dem günstigsten Preis an Grenzen« komme. »Das müssen wir ausloten«, sagte sie.

Aus Sicht von Bauernfeind spielen bei einer nachhaltigen Arzneimittelversorgung ökologische, ökonomische und soziale Aspekte gleichermaßen eine Rolle. Bestimmte Darreichungsformen und die Vielfalt von Packungsgrößen bei Arzneimitteln seien überflüssig. Der Vorstandschef forderte, das Arzneimittelrecht bei diesem Punkt anzupassen. Zudem müsse die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel gesenkt werden.

Versicherte noch mehr aufklären

Aus Sicht von Vorstandsvize Alexander Stütz sind weitere Gesetze sowie globale Standards notwendig, um die Versorgung nachhaltiger zu gestalten. Das EU-Vergaberecht müsse abbilden, dass die Kriterien Lieferfähigkeit und Nachhaltigkeit berücksichtig werden. Der Rechtsrahmen sei derzeit noch zu eng. Die AOK Baden-Württemberg versuche dennoch, Spielräume zu nutzen. Aufklärung sei ebenfalls wichtig. »Das übernehmen Ärzte und Apotheker. Auch wir informieren unsere Versicherten auf allen Kanälen«, sagte Stütz.

Der langjährige alternierende Verwaltungsratsvorsitzende Peer-Michael Dick appellierte an Ärzte und an Versicherte, Arzneimittel sparsamer zu verordnen beziehungsweise anzuwenden. Abgelaufene Medikamente gehörten in den Hausmüll und nicht in die Toilette. Aber auch die AOK müsse Versicherte über den Umgang mit Arzneimitteln besser aufklären. Darüber hinaus forderte er, bei umweltschädigenden Präparaten die Werbung einzuschränken. Dazu solle sich die Industrie selbst verpflichten, forderte er. Insgesamt gebe es »unglaubliche Zielkonflikte« zwischen Ökologie, Ökonomie und der sozialen Dimension, also der Verfügbarkeit. »Ich habe nicht den Eindruck, dass wir das unter einen Hut bekommen«, resümierte Dick.

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