Wie viel Protein braucht der Mensch? |
Eiweiß lässt die Muskeln wachsen – diese Sportlerweisheit stimmt nur bedingt. Ganz so einfach ist es nämlich nicht. / Foto: Getty Images/lev dolgachov
Lebensmittel bestehen aus drei Hauptnährstoffen, die auch als Makronährstoffe bezeichnet werden: Fette, Kohlenhydrate und Proteine (Eiweiß). Bei den Proteinen deutet schon der Name auf eine vermutete Sonderrolle hin: Er ist abgeleitet vom griechischen »protos«, was so viel bedeutet wie »der Erste«.
Mehr als 20 verschiedene Aminosäuren benötigt der Körper, um daraus Eiweiße wie Struktur-, Transport- und Rezeptorproteine sowie Immunglobuline, Enzyme, Peptidhormone wie Insulin und schließlich auch DNA und RNA herzustellen. Acht der proteinogenen Aminosäuren sind unentbehrlich; die Bezeichnung »essenziell« gilt als veraltet. Menschen können sie nicht selbst produzieren und müssen sie daher über die Nahrung aufnehmen: Isoleucin, Leucin, Lysin, Methionin, Phenylalanin, Threonin, Tryptophan und Valin, bei Säuglingen zusätzlich Histidin. Bei unzureichender Zufuhr drohen Mangelerscheinungen.
»Eiweiß ist der einzige Makronährstoff, den der Körper nicht in größeren Mengen speichern kann«, sagt Professor Dr. Johannes Georg Wechsler, Arzt für Innere Medizin, Gastroenterologie – Endoskopie, Ernährungsmedizin DGEM/DAEM sowie Präsident des Bundesverbands Deutscher Ernährungsmediziner (BDEM) gegenüber der PZ. Doch wie viel Eiweiß braucht der Körper täglich? Dabei geht es streng genommen nicht um das Protein an sich, sondern um die unentbehrlichen Aminosäuren.
Die empfohlene Zufuhr wird in Protein pro Kilogramm Körpergewicht angegeben. Säuglinge, Schwangere, Stillende sowie ältere Menschen haben einen erhöhten Bedarf. Referenzmengen hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) auf ihrer Website veröffentlicht.
Demnach benötigt ein durchschnittlicher Erwachsener jeden Tag 0,8 bis 1 g/kg Körpergewicht. Menschen, die pro Woche mehr als fünf Stunden Sport treiben, können gemäß einem Positionspapier der DGE abhängig von Trainingszustand und -ziel 1,2 bis 2,0 g/kg Körpergewicht pro Tag aufnehmen.
Um den Bedarf zu decken, ist einiges zu beachten. »Protein ist nicht gleich Protein«, sagt Wechsler. Entscheidend sei eine gute biologische Wertigkeit. »Darunter versteht man, in welchem Ausmaß ein aufgenommenes Nahrungsprotein in körpereigenes Protein umgewandelt werden kann. Je ähnlicher die Aminosäuren-Zusammensetzung, desto besser ist die Umsetzung.«
Proteine aus tierischen Quellen enthalten meist alle proteinogenen einschließlich der unentbehrlichen Aminosäuren, pflanzliche Proteine weisen hingegen zum Teil nicht das volle Spektrum auf und haben daher eine geringere biologische Wertigkeit. Auf Präparaten ist dieses Maß als Zahl angegeben – zum Beispiel 90 oder 100. Je höherwertig ein Protein ist, desto weniger braucht man davon, um den täglichen Bedarf zu decken.
Eine biologische Wertigkeit von 100 hat Hühnervollei, das in diesem System als Referenz dient. Auch eine Wertigkeit über 100 ist möglich, da der Wert 100 dimensionslos ist. Kartoffeln und Vollei ergeben zusammen zum Beispiel eine biologische Wertigkeit von 136. »Wer Nahrungsmittel mit einer relativ geringen biologischen Wertigkeit geschickt kombiniert, kann eine biologisch hochwertige Mahlzeit auch aus rein pflanzlichen Nahrungsmitteln erreichen«, erklärt Wechsler. »Die einzelnen Komponenten ergänzen sich und werten sich gegenseitig auf, etwa Getreide mit Hülsenfrüchten.«
Ambitionierte Sportler hören oft, dass mehr Protein auch mehr Leistung bedeutet. Menschen, die abnehmen wollen, hoffen mit eiweißreicher Ernährung schneller Gewicht zu verlieren. Dem Trend entsprechend finden sich im Supermarkt immer mehr mit Protein angereicherte Produkte. Sind sie der Weg zum gesunden, sportlichen und schlanken Körper?
So einfach ist es nicht, wie Professor Dr. Caroline Stokes, Leiterin der Forschungsgruppe »Nährstoffe und Gesundheit«, Abteilung Molekulare Toxikologie vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) und der Lebenswissenschaftlichen Fakultät der Berliner Humboldt Universität, erklärt: »Es gibt keine schlüssigen Beweise dafür, dass eine Proteinaufnahme, die über die empfohlenen Mengen hinausgeht, gesunden Menschen gesundheitliche Vorteile verschafft.« Eine Gruppe, die von einer höheren Zufuhr profitieren könnte, seien ältere Menschen, die damit ihre Knochen- und Muskelgesundheit schützen könnten.
Eiweißhaltig bedeutet allerdings nicht automatisch gesund, wie Stokes betont: »Einige Produkte, die als proteinreicher oder als gute Proteinquelle vermarktet werden, enthalten auch viel gesättigtes Fett, Salz oder Zucker. Daher muss das Gesamtprodukt berücksichtigt werden, nicht nur der Proteingehalt.«
Auch dass man mit viel Protein leichter abnehmen könnte, ist umstritten. Ein Grund soll der sogenannte Thermic Effect of Food (TEF) sein. Er gibt die Energie an, die in der postprandialen Phase beim Absorbieren, Metabolisieren und Speichern aufgenommener Nährstoffe verbraucht wird.
Ermittelte TEF betragen laut einer älteren Publikation im Fachjournal »Reproduction Nutrition Development« 0 bis 3 Prozent für Fett, 5 bis 10 Prozent für Kohlenhydrate und 20 bis 30 Prozent für Proteine (DOI: 10.1051/rnd:19960405). In der Praxis ist dieser Einfluss aber kaum relevant. Entscheidend für eine Gewichtsabnahme ist immer noch die Kalorienbilanz.
Eine proteinreiche Ernährung kann zwar hilfreich sein, wenn sich Menschen dadurch schneller satt fühlen. Stokes stellt jedoch klar: »Ein Wundermittel ist es nicht und die Studienlage ist unklar.« Oft seien die Erfolge auch nur kurzfristig und ein Teil des erzielten Gewichtsverlusts sei Wassergewicht. Restriktive eiweißreiche Diäten könnten auch zu Nährstoffmängeln führen.
Zudem werden bei übermäßiger Proteinzufuhr die Nieren stärker belastet, sodass langfristig Schäden nicht auszuschließen sind, wie Wechsler warnt: »Vor allem Menschen mit eingeschränkter Nierenfunktion müssen aufpassen.« Die erhöhte Belastung der Nieren kommt dadurch zustande, dass die Leber aus dem überschüssigen Stickstoff, der beim Proteinabbau entsteht, Harnstoff herstellt. Kann dieser nicht vollständig über die Nieren ausgeschieden werden, reichert er sich im Blut an; es entsteht eine Urämie.
Eigenmächtig herunterfahren sollten Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion die Eiweißaufnahme aber auch nicht. Das Apothekenteam sollte vielmehr raten, mit dem Arzt zu besprechen, welche Proteinzufuhr dem Funktionsniveau der Nieren angemessen ist. Betroffene sollten besonders darauf achten, den Bedarf an den unentbehrlichen Aminosäuren zu decken. Eine Ernährungsberatung gibt Tipps zur praktischen Umsetzung.
Generell gilt: Statt auf die Menge des Proteins sollten Verbraucher mehr Wert auf die Art und Qualität legen. Dazu Stokes: »Diäten mit einem hohen Proteingehalt aus Quellen wie rotem Fleisch bedeuten auch, dass mehr gesättigtes Fett konsumiert wird, was das Risiko für Herzkrankheiten und Darmkrebs erhöht. Daher sollten gesündere Optionen wie Lachs, fettarmer Joghurt oder Hülsenfrüchte empfohlen werden.«
Auch Wechsler rät zu einer ausgewogenen Mischkost, die pflanzliche Proteinquellen nicht vernachlässigt. »Eiweiß aus pflanzlichen Lebensmitteln wie Hülsenfrüchten bringt oft weniger ungesunde Zusatzstoffe mit und punktet mit wertvollen Mikronährstoffen.«