Wie man mit Stift und Papier die mentale Gesundheit stärkt |
Was genau man schreibt, ist eher zweitrangig, Hauptsache mindestens zehn Minuten täglich und mit der Hand. / © Getty Images/Cavan Images
Kreatives oder therapeutisches Schreiben soll dabei helfen, an die eigenen unbewussten Anteile zu gelangen, die nicht so einfach zu benennen oder darzustellen sind. »Es ist der Einstieg in einen Prozess, an dessen Ende man sich selbst etwas besser kennt«, sagt Dr. Adak Pirmorady von der Berliner Charité. Das klingt erst einmal einfach und plakativ, bedeutet aber eventuell auch, schmerzhafte Punkte zu treffen, so die Psychoanalytikerin: »Wir haben alle Anteile in uns, die wir nicht als gewinnbringend empfinden, die uns sogar stören.«
Therapeutisches Schreiben sei daher für alle geeignet, die sich mehr Klarheit erhoffen, sagt Schreibtherapeutin Doris Hönig. Aber auch Menschen in einer Midlife-Crisis, nach einer Krankheitsdiagnose oder Personen, die einen geliebten Menschen verloren haben, könnten sich auf diesem Weg aus der Krise heraus kämpfen. Grundsätzlich eigne sich therapeutisches Schreiben für Personen, die Spaß am Ausdruck, an Sprache haben und für die Schreiben mit der Hand keine Schwierigkeit darstellt.
Patienten mit schwerwiegenderen Störungen wie einer posttraumatischen Belastungsstörung bräuchten parallel auch psychotherapeutische Betreuung. »Dennoch ist das therapeutische Schreiben eine sehr gute Möglichkeit, auch mit solchen Erkrankungen umzugehen«, so Pirmorady. Gerade bei Depressionen oder als Begleitung einer Krebstherapie sei das Schreiben gut einsetzbar.
Also Zettel oder Block schnappen, Stift gezückt und los geht's. Mehr braucht es nicht. Doris Hönig empfiehlt, mit einem Stift zu schreiben. »Man ist in der Regel langsamer als beim Tippen, währenddessen kann das Unterbewusstsein arbeiten«, sagt sie. Und man ist weniger versucht, einen fertigen Text zu produzieren oder Wörter zu korrigieren.
Aber warum funktioniert das so gut? Die Wissenschaft weiß das bis heute trotz Studien noch nicht so genau, sagen die Expertinnen. Der Ursprung liegt im expressiven Schreiben, das James W. Pennebaker etabliert hat, ein mittlerweile emeritierter Professor der Psychologie an der Universität in Austin, Texas. Er hat verschiedene Bücher zum Thema geschrieben, auch mit Tipps und Anleitungen. In seiner Arbeit mit Studierenden stellte er fest, dass das Schreiben über traumatische Erlebnisse entlastet. Zudem fand er heraus, dass das Immunsystem gestärkt wird, weil man entspannter ist, optimistischer und ruhiger.
Das Schreiben lenkt erst einmal ab, erklärt Pirmorady, wir tun etwas, was wir verinnerlicht haben. »Das Hirn ist zunächst beschäftigt, das nutzen wir als Einstieg ins Unbewusste.« Unser Hirn funktioniere im Wachzustand ähnlich wie beim Träumen, es würden ähnliche Areale aktiviert und Bilder generiert. »Wir können also allein durch Imagination Dinge trainieren, und das ist überhaupt nicht esoterisch gemeint«, sagt die Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Spitzensportler nutzen diese Fähigkeit bereits seit Jahren, beispielsweise indem sie sich einen Sprung extrem detailreich vorstellen. Auch beim Schreiben imaginiert man aktiv und kann so sein Leben selbst in die Hand nehmen und gestalten.