Pharmazeutische Zeitung online
BPI-Interview

Wie lösen wir das Hochpreiser-Problem?

Die neue Regierung will Pharma zu einer Leitindustrie in Deutschland machen. Gleichzeitig wird angesichts klammer Krankenkassen über Sparmaßnahmen nachgedacht. Die PZ sprach mit dem BPI-Vorstandsvorsitzenden Oliver Kirst und Hauptgeschäftsführer Kai Joachimsen über die Angst vor Sparpaketen und das Verhältnis der Hersteller zu den Apotheken.
Alexander Müller
19.05.2025  10:30 Uhr

PZ: Schauen Sie morgens als Erstes nach, ob US-Präsident Trump neue Zölle angekündigt oder durchgesetzt hat?

KIRST: Zum aktuellen Zeitpunkt ist die pharmazeutische Industrie zwar noch nicht direkt betroffen, aber es ist schon tragisch, wenn Handelskonflikte auf dem Rücken von Patientinnen und Patienten ausgetragen werden. Und natürlich haben unsere Mitglieder das im Blick. Etwa ein Viertel der Pharmaexporte von insgesamt rund 115 Milliarden Euro geht in die USA. Da ist schon eine sehr große Abhängigkeit und umgekehrt bewirkt diese Politik natürlich einen negativen Effekt auch für das amerikanische System. Medizinprodukte sind schon betroffen und die Zölle auf Stahl wirken sich auf die Produktion aus. Das kann indirekt auch die Arzneimittelversorgung treffen in der Kombination, etwa bei Pens.

PZ: Im schwarz-roten Koalitionsvertrag ist im Kapitel Gesundheit von Kostenreduktion die Rede. Wie groß ist bei Ihnen im Verband die Angst vor einem Sparpaket?

JOACHIMSEN: Das ist der pathologische Reflex, erstmal die Kostenschraube anzuziehen. Herstellerzwangsrabatte und andere Maßnahmen nach dem Zufallsprinzip – unter kompletter Nichtbeachtung der Fakten. Die Arzneimittelkosten stellen 11 Prozent der Gesamtkosten im Gesundheitssystem dar. Und wenn immer wieder bei den Arzneimittelausgaben gespart wird, werden die Krankheitskosten eher steigen.

PZ: Was müsste stattdessen passieren?

KIRST: Wir haben viele Ineffizienzen im System, getrieben durch Fehlanreize, angefangen bei der strikten Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung. Unser Digitalisierungsgrad ist inakzeptabel. Wir tun viel zu wenig für Prävention in diesem Land. Wir tun viel zu wenig für Patientensteuerung. Immerhin wird im Koalitionsvertrag die Gesundheitsversorgung jetzt als Leitindustrie proklamiert. Das hätte uns schon früher geholfen, um die Produktion im Land zu halten.

JOACHIMSEN: Aber man muss die Dinge auch bis zu Ende denken und das honorieren, was aus der Forschung und Entwicklung herauskommt. Die Marktzugangsbedingungen müssen verbessert werden. Die bestehenden Preis- und Mengenregulierungen erzeugen oft sehr hohen bürokratischen Aufwand, bringen aber finanziell gar nichts.

PZ: Die Politik muss gleichzeitig das Hochpreiser-Problem lösen. Ist das Innovative zu teuer und das Etablierte viel zu billig?

KIRST: Man muss immer die Patientenzahlen sehen. Bei Orphan Drugs gibt es vielleicht 150 oder 200 Patienten. Trotzdem entwickeln wir entsprechende Produkte, die ihnen wirklich helfen, weil sie das gleiche Recht darauf haben wie alle anderen Patienten auch. Das ist nicht vergleichbar mit chronischen Erkrankungen, wo wir im Bereich Diabetes, Hypertonie, Lipidstoffwechselstörung Millionen von Menschen versorgen.

PZ: Aber es gibt ja Neuentwicklungen, von denen eine größere Anzahl an Patienten betroffen ist. Kommen wir an die medizinethische Frage, dass nicht mehr jeder jede Behandlung bekommen kann?

KIRST: Nein, das geht ja gar nicht. Der Trend geht vielmehr in Richtung Targeted Therapy, personalisierte Medizin, bei Impfungen, aber auch bei neuen Therapieansätzen.

PZ: Ihr Lösungsansatz ist nicht, die Einzeltherapiekosten runterzukriegen, sondern sie zielen auf die Systemineffizienzen?

KIRST: Die Preise müssen gerechtfertigt sein in Bezug auf ihren therapeutischen Nutzen. Dazu gibt es ein Evaluierungsverfahren, die Arzneimittel bekommen einen erheblichen, beträchtlichen, geringen oder auch gar keinen Nutzen zugesprochen und auf dieser Grundlage beginnen die Preisverhandlungen. Es gibt aber auch Produkte, wo das schwierig zu beurteilen ist und da müssen wir über neue Ansätze wie Pay-for-Performance nachdenken. Im Rahmen eines definierten Zeitabschnittes werden Einmalgaben evaluiert. Ist das Mittel wirksam, wird es honoriert. Das wäre aus meiner Sicht eine sehr vernünftige Lösung.

JOACHIMSEN: Und gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass es auskömmlich ist, in hochriskante Forschung zu investieren – mit der Chance auf behandelbare Therapien für Erkrankungen, an denen man früher gestorben wäre. Mukoviszidose ist ein sehr gutes Beispiel.

PZ: Sind Generika auf der anderen Seite nicht viel zu billig?

JOACHIMSEN: Wir haben 30 verschiedene Preismechanismen. Es ist praktisch unmöglich, Basistherapeutika wie Antihypertensiva, Diuretika, Schmerzmittel noch in Deutschland zu produzieren. Da haben wir überreguliert und das führt ja dann in Folge zu Lieferengpässen, aktuell sind wieder 500 Arzneimittel nicht verfügbar.

PZ: Lassen sich die Rabattverträge reformieren?

KIRST: Wir haben klare Vorschläge gemacht: Ausschreibungen sollte es erst ab vier Marktteilnehmern geben, bei einer zwingenden Mehrfachvergabe an mindestens drei Firmen und einer Berücksichtigung des Pharma-Standortes Europa. Und alle Medikamente, die von einer Versorgungsengpass-Situation betroffen sind, sollten gar nicht ausgeschrieben werden dürfen. Das wird unter dem Strich vielleicht etwas teurer, aber die geopolitische Lage könnte ein Weckruf für Europa sein. Penicillin, Schmerzmittel, gewisse onkologische Produkte, das sind systemrelevante Arzneimittel, bei denen wir uns Abhängigkeiten nicht leisten können.

PZ: Aktuell drängen Handelsketten ins OTC-Geschäft. Wie bewerten Sie den Angriff auf die Apothekenpflicht?

KIRST: Es gibt einen Grund dafür, warum es Apotheken gibt und warum es ein Pharmaziestudium gibt. Und deshalb unterstützen wir alles, um die Vor-Ort-Apotheken zu unterstützen. Ein Großteil der Erkrankungen kann mit Medikamenten aus dem Selbstmedikationsbereich therapiert werden. Und diese Gesundheitsberatungen kann nur eine voll ausgestattete Apotheke leisten.

PZ: Warum zieht aus Ihrer Sicht das Argument nicht, die Verbraucher seien heute viel informierter?

KIRST: Es wäre gut, wenn Gesundheitsbildung ein Schulfach wäre wie Deutsch, Mathematik oder Geschichte. Viele Zivilisationserkrankungen wären vermeidbar, wenn die Leute nur wüssten, wie sie sich besser ernähren und dass sie regelmäßig Sport treiben müssen. Aber heute landet die erste Anfrage häufig bei Dr. Google mit dem Ergebnis eines gediegenen Halbwissens beim Nutzer. Im Gespräch mit Apothekerinnen und Apothekern kann ich als Patient sicher sein, dass die erkennen können, wie dringend es ist, ob ein OTC-Medikament ausreicht oder ob ich dringend zu meinem Arzt muss. Die Beratung vor Ort ist durch das beste Internet nicht zu ersetzen.

PZ: Warum suchen dann immer mehr Hersteller online die direkte Kommunikation zu den Patienten?

KIRST: Ich sehe das nur als zusätzliche Information für die Patienten. Der Hersteller ist ja auch Fachmann für sein Produkt, wovon die Apothekenteams in fachspezifischen Schulungen profitieren.

PZ: Welche Rolle spielt der Versandhandel?

JOACHIMSEN: Also die Prognosen gingen vor einigen Jahren noch von einem erheblich höheren Anteil aus, als wir heute tatsächlich sehen. Passiert da was? Ja. Können wir die Weiterentwicklung von Vertriebskanälen und die Globalisierung verhindern? Nein. Ist das für Medikamente der bevorzugte Kanal? Aus meiner persönlichen Sicht, vor dem Hintergrund des eben Gesagten, sicherlich nicht.

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