Wie künstliche Intelligenz das Gedächtnis beeinflusst |
Theo Dingermann |
14.02.2025 13:30 Uhr |
Welchen Einfluss auf die natürliche Intelligenz hat es, wenn Menschen sich zunehmen auf die künstliche Intelligenz verlassen? Dieser Frage geht die Forschung aktuell nach. / © Getty Images/BlackJack3D
Googeln statt nachdenken: Beeinflussen das Internet und die immer populärer werdenden Anwendungen auf Basis künstlicher Intelligenz (KI) das Gedächtnis der Menschen negativ? Dieser Frage geht ein Artikel auf der Nachrichtenseite des Fachjournals »Nature« nach.
Demnach findet man in der wissenschaftlichen Literatur tatsächlich Studien, die zu dem Schluss kommen, dass das Googeln von Informationen bei Menschen zu einem übersteigerten Gefühl des eigenen Wissens führt. Für das Vergessen von Informationen, weil man sich auf digitale Hilfsmittel verlässt, wurde der Begriff »digitale Amnesie« geprägt und Oxford University Press, einer der weltweit führenden Universitätsverlage, wählte im vergangenen Jahr »Brain Rot«, (Gehirnfäule), als Wort des Jahres, um auf die Verschlechterung des geistigen Zustands hinzuweisen, die durch den Konsum trivialer Online-Inhalte verursacht wird.
Informiert man sich allerdings detaillierter, so gibt es keine überzeugenden Beweise dafür, dass die Nutzung digitaler Möglichkeiten eine umfassendere schädliche Wirkung auf das Gedächtnis hat. Frühe Studien, die negative Effekte andeuteten, lassen sich nicht reproduzieren. So sind Behauptungen wie »Google macht uns dumm« bestenfalls »Übertreibungen«, sagt beispielsweise die Psychologin und Neurowissenschaftlerin Professor Dr. Elizabeth Marsh an der Duke University in Durham, North Carolina gegenüber »Nature News«.
Tatsächlich zeichnen verschiedene Studien ein komplizierteres Bild. Es deutet sich ein neuer Mechanismus an, der als kognitives Auslagern (cognitive offloading) bezeichnet wird. Danach geht ein Trend dahin, Informationen nicht mehr aktiv zu speichern, sondern sich darauf zu verlassen, dass externe Speichermedien, wie Suchmaschinen oder GPS-Systeme, diese bereithalten. Offensichtlich erinnern sich Menschen weniger gut an Fakten, wenn sie wissen, dass diese digital gespeichert sind – ein Phänomen, das bereits seit längerem als Google-Effekt bekannt ist. Aber auch diese Annahme bleibt unter Forschenden nicht unwidersprochen.
Insbesondere Studien, bei denen Navigationssysteme eingesetzt wurden, zeigen, dass GPS-Nutzer oft schlechtere räumliche Erinnerungen aufbauen. Vergleichbare Effekte wurden für das Fotografieren von Objekten beobachtet: Das bloße Ablichten kann die Erinnerung an Details verschlechtern. Allerdings haben solche Formen des Offloadings auch adaptive Vorteile, da sie geistige Kapazitäten für andere Aufgaben freisetzen können.
Die Revolution im Bereich der KI wirft eine Vielzahl von Fragen auf. Die große Sprachmodelle (LLM) werden vermehrt in Suchmaschinen und anderer Software integriert, was bedeutet, dass sie für die meisten Menschen zu einem Teil des Alltags werden. Und dies kann das Lernen und das Gedächtnis deutlich relevanter beeinflussen als das herkömmliche Googlen. So befürchten viele, dass die Nutzung von Chatbots und anderen KI-Tools zur kognitiven Trägheit beim Menschen führen könnte. Schlimmer noch wäre es, wenn Gedanken auf faktisch falschen (KI-generierten) Erinnerungen basierten.
Das mag übertrieben klingen. Allerdings können generative KI-Systeme bereits jetzt so genannte »Deadbots« erzeugen, digitale Avatare von Verstorbenen, die unter anderem Dinge sagen, die die lebende Person nie gesagt hat. Hier wird dann eine Erinnerung erzeugt, die faktisch nicht existiert. Daraus entsteht die Gefahr, dass Nutzer solcher Systeme durch die überzeugende Darstellung falscher Informationen eine Art Pseudogedächtnis entwickeln.
Andererseits können generative KI in Suchmaschinen und persönliche Assistenzsysteme auch das Lernen und die Erinnerung durch personalisierte und kontextbezogene Wissensvermittlung fördern. Das wiederum kann dazu führen, dass Menschen nach der Nutzung der Assistenzsysteme ihre eigene Wissensleistung überschätzen – ein Effekt, der durch KI-gestützte Zusammenfassungen noch verstärkt werden könnte.
Hilfsmittel zur Unterstützung des Gedächtnisses nutzen Menschen seit Jahrhunderten, darunter die Druckerpresse, den Fotoapparat und Videokameras. Wie wirkt sich hier das inzwischen immer verfügbare enorme Wissen aus, das im Internet gespeichert ist? Höhlt das Internet das menschliche Gedächtnis aus, begannen Forschende zu fragen? Erste Studien aus dem Jahr 2011 schienen diese Hypothese zu stützen. Danach tendierten Menschen dazu, sich mit schwierigen Fragen zunächst nicht selber zu beschäftigen, sondern diese instinktiv an das Internet und Computer zu delegieren.
Auch deutete sich an, dass die Bereitschaft, sich auch an vermeintlich Ergebnisse einer Recherche zu erinnern, abnahm, wenn ihnen gesagt wurde, dass die Maschine ihre Notizen speichern und nicht löschen würde. Die Testpersonen erinnerten sich oft besser an den Ordner, in dem sie Fakten gespeichert hatten, als an die Informationen selbst. Aber auch diese Ergebnisse ließen sich nicht zuverlässig reproduzieren.
Daher ist es für endgültige Schlüsse zu früh. Trotz erster experimenteller Ansätze gibt es bislang nur wenige belastbare Daten zur langfristigen Wirkung von KI auf das Gedächtnis. Die Geschwindigkeit technologischer Entwicklungen macht es zudem schwierig, stabile Erkenntnisse zu gewinnen. Aus diesem Grund ist die Beschäftigung mit der digitalen Gedächtnisunterstützung sowohl hinsichtlich der neurokognitiven Grundlagen als auch hinsichtlich der sozialen und psychologischen Konsequenzen weiter eine große Herausforderung für die einschlägigen Wissenschaften.