Wie kommt man an das neue Alzheimer-Medikament? |
Daniela Hüttemann |
28.08.2025 18:00 Uhr |
Wer kognitive Defizite bei sich oder einem Angehörigen feststellt, sollte möglichst schnell eine ärztliche Abklärung anstreben. Denn nur im Frühstadium einer Alzheimer-Demenz scheint der Antikörper Lecanemab wirksam zu sein. / © Getty Images/fizkes
Mit Leqembi®, das den monoklonalen Antikörper Lecanemab enthält, wurde erstmals in der EU ein Medikament zur Behandlung der frühen Alzheimer-Demenz zugelassen, das das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen kann. Zum 1. September will Hersteller Eisai das Präparat in Deutschland zur Verfügung stellen.
Es handelt sich um ein Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung. Die Anwendung erfolgt in spezialisierten Ambulanzen und neurologischen Praxen und ist an bestimmte Vorgaben gebunden. Für die Selbstanwendung ist das Präparat nicht geeignet. Allerdings hat Eisai in den USA bereits die Zulassung eines Autoinjektors beantragt.
Apotheken können Leqembi über den Großhandel beziehen. Zudem ist der Direktbezug des Präparats vom Anbieter schon ab einer Packung möglich. 2 ml Konzentrat sind im ABDA-Artikelstamm mit 403,27 Euro Verkaufspreis gelistet, 5 ml Konzentrat mit 788,86 Euro.
Leqembi ist kühlkettenpflichtig. / © Eisai
Leqembi darf nur bei der empfohlenen Patientengruppe angewendet werden. Die Verschreibung ist an ein kontrolliertes Zugangsprogramm geknüpft. Das bedeutet, alle Patienten, die Leqembi erhalten, müssen in einem zentralen, EU-weiten Registrierungssystem erfasst werden. Das erfolgt über die behandelnde Arztpraxis. »Apotheken sind in dieses Programm nicht eingebunden und müssen daher hinsichtlich des Programms für den kontrollierten Zugang nichts Weiteres beachten«, teilte Eisai der PZ auf Nachfrage mit. Zugleich wird eine Sicherheitsstudie durchgeführt.
»Wir gehen davon aus, dass im Regelfall die behandelnden Ärztinnen und Ärzte direkt durch die versorgende Apotheke beliefert werden«, heißt es von Herstellerseite. Zu beachten sei, dass es sich um ein kühlkettenpflichtiges Arzneimittel handelt und Retouren nicht möglich sind.
»Jeder, der in Deutschland die Therapie durchführt, kann grundsätzlich daran teilnehmen«, erklärt Professor Dr. Frank Jessen, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie und Leiter der Arbeitsgruppe Klinische Demenzforschung an der Uniklinik Köln. Dazu gehörten neben klinischen Gedächtnisambulanzen auch neurologische Praxen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) werde allerdings vermutlich festlegen, dass die Behandlung nur von Ärzten durchgeführt werden darf, die in der Behandlung von Alzheimer erfahren sind – also nicht vom Hausarzt.
Laut Zulassung sollte die Behandlung mit Lecanemab von Ärzten eingeleitet und überwacht werden, die Erfahrung in der Diagnose und Behandlung der Alzheimer-Krankheit und Möglichkeiten zur zeitnahen Durchführung einer Magnetresonanztomografie (MRT) haben. Die Infusionen sollten »von qualifiziertem medizinischem Fachpersonal verabreicht werden, das in der Überwachung auf infusionsbedingte Reaktionen sowie in deren Erkennung und Behandlung geschult ist«.
»Die Gedächtnisambulanzen sind gut auf den Einsatz von Lecanemab vorbereitet und können sowohl die Diagnostik als auch die Therapie direkt umsetzen«, sagt Professor Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und niedergelassener Neurologe. »Um wirklich alle Betroffenen zu versorgen und in der Breite das Medikament einsetzen zu können, werden auch neurologische Praxen miteinbezogen werden müssen.« Dazu brauche es eine ausreichende Vergütung für Diagnose, Behandlung und Monitoring.
»Spezialisierte Einrichtungen können die Therapie leisten, dennoch bleibt es eine Engstelle im deutschen Gesundheitssystem«, sagt Professor Dr. Thomas Duning, Chefarzt der Klinik für Neurologie, Klinikum Bremen Ost. »Wir haben als Zentrum schon eine Liste von Patienten, bei denen wir die aufwendige notwendige Diagnostik bereits absolviert haben und die wir direkt auf Therapie nehmen können.«
Für niedergelassene Kollegen, die jetzt schon lange Wartezeiten haben, sei die aufwendige Diagnostik vor der Therapie und die komplexe Infusionstherapie kaum durchführbar, so Duning. »Die ambulante Demenzdiagnostik mit neuropsychologischer Testung, Liquorpunktion, aufwendiger MRT-Bildgebung und genetische Testungen ist aktuell nicht ausreichend refinanziert, sodass sie trotz Zulassung des Medikaments sicher nicht ausreichend angeboten werden wird.«
Lecanemab ist zur Anwendung bei Patienten mit milden kognitiven Einschränkungen (MCI), einem frühen Stadium der Alzheimer-Erkrankung, oder Alzheimer-Demenz im Frühstadium bestimmt. Vor der Anwendung muss ein Gentest gemacht werden. Da bei Patienten mit zwei Kopien des Alzheimer-Risikogens ApoE ε4 das Risiko für schwere Nebenwirkungen erhöht ist, darf das Medikament nur bei Patienten mit nur einer oder keiner Kopie von ApoE ε4 angewendet werden. Zudem sind ein MRT und geeignete Tests auf eine Amyloid-β-(Aβ-)Pathologie vorgeschrieben. Dazu gehört eine Lumbalpunktion.
Das Schulungsmaterial enthält eine Checkliste mit 13 Fragen vor der Erstbehandlung, von denen Frage 1 bis 7 mit Ja beantwortet werden müssen:
Während der Behandlung, die alle zwei Wochen erfolgt, sollen regelmäßig MRT-Untersuchungen stattfinden: vor der 5., 7. und 14. Infusion sowie bei Verdacht auf ARIA (Amyloid-assoziierte Bildgebungsanomalien).
Nach Auswertung des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung (ZI) gab es im Jahr 2023 rund 460.000 Neudiagnosen von Demenz oder MCI. Abzüglich der mit Antikoagulanzien behandelten Personen seien es 303.600 potenziell geeignete Patientinnen und Patienten, für die zunächst eine ausführliche Diagnostik nötig ist.
Die Deutsche Alzheimer-Gesellschaft geht von aktuell etwas mehr als 200.000 Alzheimer-Patienten in Deutschland aus. Doch nur schätzungsweise 73.000 befinden sich im noch im frühen, mit Lecanemab behandelbaren Stadium und haben keine oder nur eine ApoE-ε4-Mutation.
»Diese Zahl ist als optimistische Schätzung zu verstehen: Sie basiert auf festen Ausschlusskriterien und bildet somit das theoretische obere Limit der Behandlungsberechtigten – etwa im Hinblick auf weiterführende Maßnahmen wie Infusionen und MRT-Kontrollen«, heißt es vonseiten des ZI. Das Institut verweist auf den erheblichen Anstieg der benötigten ärztlichen Leistungen. »Im Praxisalltag müssen konkurrierende Ansprüche an die verfügbaren Kapazitäten abgewogen werden«, sagt der ZI-Vorstandsvorsitzende Dr. Dominik von Stillfried.