Wie Insulin die Zellprozesse reguliert |
Theo Dingermann |
06.03.2025 17:00 Uhr |
Wenn Insulin (hellgrün) an seinen Rezeptor (violett) bindet löst dies eine biochemische Kette von Ereignissen innerhalb der Zelle aus. / © Getty Images/selvanegra
Insulin ist nicht nur ein Hormon, das eine entscheidende Rolle bei metabolischen Prozessen spielt. Es ist auch ein Mitogen, also ein Wachstumsfaktor. Es ist an der Modulation des Energiestoffwechsels, der Zelldifferenzierung, des Überlebens und des Wachstums beteilig. Dies setzt komplexe, gewebespezifische Reaktionen auf die Hormonstimulation voraus. Wie Insulin diese vielen Prozesse beeinflussen kann, haben Forschende des Deutschen Diabeteszentrums (DDZ) und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) zusammen mit Kollegen aus Oslo untersucht.
In ihrer Arbeit, deren Ergebnisse jetzt im Fachjournal »Nature Communications« publiziert wurden, zeigen die Forschenden, dass die Bindung von Insulin an seinen Rezeptor ein komplexes Signalkaskadennetzwerk von reversiblen Proteinphosphorylierungen anstößt. Durch diese wird schließlich eine Reihe von Zielproteinen aktiviert. Vor allem die detaillierte zeitliche Regulation dieser intrazellulären Kommunikation war bislang nur unzureichend verstanden.
Mithilfe hochauflösender Massenspektrometrie erstellten die Forschenden das Insulin-abhängige Phosphoproteom in speziellen menschlichen Muskelzellen (Myotuben) über mehrere Zeitpunkte hinweg. Dies bedeutet, sie kartierten die Gesamtheit der Proteine der Zellen, die eine Phosphatgruppe als posttranslationale Modifikation enthalten. Das Anhängen von Phosphatgruppen ist ein bekannter Weg, die Funktion von Proteinen zu regulieren – sie also aus- oder abzuschalten. Das Team identifizierte über 13.000 Phosphopeptide und verfolgte ihre Regulation über die Zeit hinweg.
Insgesamt 2741 Phosphopeptide werden in dem durch Insulin gesteuerten Signaltransduktionsnetzwerk differenziell phosphoryliert. Zeitlich abgestuft stellen Proteinkinasen und -phosphatasen die erforderliche Regulation der Signalvermittlung sicher.
So katalysieren in frühen Phasen (< 5 Minuten nach der Insulin-Rezeptor-Interaktion) Kinasen wie die Phosphoinositid-abhängige Kinase-1 (PDPK1) und die Cyclin-abhängigen Kinasen 1/5/6 (CDK1/5/6) die Phosphorylierung. Zu späteren Zeitpunkten dominieren die Serin/Threonin-Kinasen AKT und mTOR sowie die p70- und p90-ribosomalen S6-Kinasen, berichten die Forschenden.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entdeckten, dass bereits nach wenigen Minuten insgesamt 159 verschiedene Proteinkinasen aktiviert waren, rund ein Drittel aller Mitglieder dieser Enzymfamilie, was wiederum in Folge die Aktivität hunderter weiterer Enzyme des Energiestoffwechsels und Zellaufbaus reguliert.
In genomweite Assoziationsstudien (GWAS) wurden zudem untypische Insulin-Zielproteine identifiziert, die potenziell zur Entwicklung einer Insulinresistenz beitragen könnten, wie die Forschenden spekulieren. Mithilfe netzwerkbasierter Analysen gelang es den Forschenden zudem, interindividuelle Unterschiede der Phosphosignalwege zu identifizieren. Dabei entdeckten sie auch neue mutmaßliche Kandidaten für bisher unbekannte Insulinsignale und wichtige regulatorische Knotenpunkte, die für die Signaltransduktion unerlässlich sein könnten.
Zum ersten Mal wurde entdeckt, dass Insulin Phosphorylierungen des präkatalytischen Spleißosomenkomplexes, einem zentralen Steuerungselement der Genregulation, bewirkt. Das deutet darauf hin, dass Insulin direkt mit der RNA-Prozessierung im Skelettmuskel verbunden ist. Diese Erkenntnis könnte neue Einblicke in die Steuerung der Muskelaktivität und deren Einfluss auf Stoffwechselerkrankungen geben.
»Die Studie liefert wichtige Erkenntnisse über die Mechanismen der Insulinwirkung und könnte entscheidend dazu beitragen, neue und gezieltere Therapien für Menschen mit Insulinresistenz und Diabetes mellitus zu entwickeln«, sagt Professor Dr. Michael Roden, Wissenschaftlicher Geschäftsführer und Sprecher des Vorstands des DDZ, in einer Mitteilung des Zentrums. Die Forschenden hoffen, dass diese Ergebnisse langfristig nicht nur das Verständnis für die Entstehung von Typ-2-Diabetes verbessern, sondern auch neue Behandlungsansätze liefern können.