Wie die EDV in die Apotheke kam |
Abbildung 1: Kleinkartenleser der ersten Generation: der 1969 eingeführte Transdata K 36 von Siemens mit geradem Schlitten für Lochkärtchen (Inv.-Nr. III S 7) und der 1970 von SEL entwickelte KKL 300 mit Karussellmagazin (Inv.-Nr. III S 32) / Foto: DAM
In den letzten zwölf Monaten kamen mehr als 300 Objekte aus drei Jahrhunderten neu in den Bestand des Apothekenmuseums in Heidelberg. Eine relativ junge Sammlungsgruppe darunter wurde seit 2021 um rund 30 technikgeschichtlich bemerkenswerte Objekte erweitert: frühe EDV-Gerätschaften aus den 1970er- und 1980er-Jahren. Die Suche danach gestaltete sich seit Langem schwierig. Die rasche Entwicklung der Hard- und Software und daraus folgend die schnelle Ablösung durch neue Komponenten machte deren Aufbewahrung für spätere Zeitpunkte überflüssig. Obschon erst vor einiger Zeit aus den Apotheken ausgemustert, sind »EDV-Urgesteine« daher sehr selten.
Die neu aufgenommenen Gerätschaften geben einen guten Überblick vom Beginn der elektronisch unterstützten Apotheken-Bestell- und Lagerwirtschaft von Ende der 1960er- bis in die 1980er-Jahre. Die Entwicklung war eng mit der Einführung der ABDA-Lochkarte im Jahr 1969 verbunden, und diese steht wiederum in unmittelbarem Zusammenhang mit der kurz zuvor etablierten Pharmazentralnummer (PZN).
Apotheker Paul Schaber (1915 bis 1997), ehemals Inhaber der Spitzholz-Apotheke in Sindelfingen und Pionier der frühen EDV in der Apotheke, formulierte den durch diese eindeutige Schlüsselnummer erst möglichen Quantensprung in der Rationalisierung 1972 so: »Die Pharma-Zentralnummer… ist für jede einzelne Arzneispezialitätenpackung spezifisch… Der Gedanke, Lochkarten für die Bestellung von Arzneimitteln in der Apotheke zu verwenden, lag auf der Hand…« (Schaber, 1972, 9).
Die Entwicklung der ABDA-Lochkarten gelang durch ein hervorragendes Zusammenspiel aller damals wichtigen Akteure. Dazu Paul Schaber: »Im Januar 1969 haben ABDA, DATEG (Datenfernübertragungsgerätegesellschaft mbH, ein Zusammenschluss von Großhandelsseite) sowie die Firmen IBM, SEL, Siemens und die Apothekeneinrichter einheitliche Maße [für die ABDA-Lochkarte] festgelegt … Die DATEG veranlaßte nun Hersteller aus der elektrotechnischen Industrie (IBM – SEL – Siemens), Kleinkartenleser zu entwickeln. Die Firmen Siemens und SEL entwickelten Kleinkartenleser mit Magazinführung. Der von IBM entwickelte Prototyp … kam jedoch leider nie zur Auslieferung.«
Ohne einen weiteren Meilenstein 1969 wären die ersten elektronischen Bestellungen dennoch unmöglich gewesen. Der DATEG gelang es in dem Jahr auch, bei der Deutschen Bundespost die Einführung des Parallelmodems durchzusetzen. Mit dessen Hilfe konnte die Apotheke das vorhandene Telefonnetz für die Datenübermittlung an den Großhandel überhaupt erst nutzen (Schaber 1972, S.10).
Siemens brachte 1969 mit dem »Transdata K36« den ersten Kleinkartenleser auf den Markt (Schaber 1972, S.10). Die Lochkärtchen wurden mechanisch in einem beweglichen Schlitten an einer optischen Lesestation vorbeibewegt. Ein Gerät befand sich schon im Museum (Inv.-Nr. III S 7, Abbildung 1), ein weiteres (Inv.-Nr. III S 25) kam nun mit der 13Geräte umfassenden EDV-Sammlung des Apothekers Hans-Joachim Schoenemann (1934 bis 2020, letzter Besitzer der Kron-Apotheke Ulm) als Schenkung an das Museum.
Seine Sammlung enthielt auch zwei Belege für den zweiten, 1970 eingeführten Kleinkartenleser KKL 300 der Firma Standard-Elektrik Lorenz SEL (Inv.-Nr. III S 31, 32). Hier wurden die ABDA-Kärtchen in einem runden »Karussellmagazin« bewegt und von einem mechanischen Abtaster eingelesen (Abbildung 1, rechts). Der Transdata K36 wie auch der KKL300 und seine Nachfolgermodelle blieben bis 1976 die einzigen Kleinkartenleser – sie sind die Vertreter der ersten Generation dieses Gerätetyps.
1976 stellte die Firma LOS das Datenterminal »T10« vor, ein mit vielen wegweisenden Innovationen ausgestattetes Gerät (Abbildung 2, links). Einen Beleg aus dem Jahr circa 1980 gab es in der Sammlung bereits (T10/17 A03, um 1980, Inv.-Nr. III S 22); ein Nachfolgemodell aus der Sammlung Schoenemann (T 10/37 A03, Inv.-Nr. III S 29) ergänzt nun den Bestand.
Neben der Bestellübermittlung konnte man damit auch artikelbezogene Bestelldaten speichern, da es über einen RAM-Speicher/Mikroprozessor für 400 bis 800 Artikelnummern verfügte. Erstmals kam hier eine optische Leseeinrichtung für einzelne Kärtchen zum Einsatz. Es ließ sich zudem mit den neu aufgekommenen mobilen Handlesern oder OCR-Lesern kombinieren. Neu war auch ein großes Display zur Visualisierung der Eingaben. Zwei Tastaturblöcke mit Befehlstasten sowie eine numerische Tastatur für die Handeingabe der PZN-Nummer vereinfachten die Speicherung von Bestellungen und deren Korrekturen. Auch eine kleine Druckeinheit war integriert.
Abbildung 2: Kleinkartenleser der zweiten Generation: Ein Quantensprung im Vergleich zum Siemens Transdata K 36 und dem KKL 300 waren der T 10 der Firma LOS (Inv.-Nr. III S 29) und der SEL-Pharmadat, hier das Modell 880, um 1980 (Inv.-Nr. III S 20) mit RAM-Speicher, Display, Tastatur, Druckeinheit und Einzelsteckplatz für ABDA-Lockkarte / Foto: DAM
Ein Jahr später stellte SEL als Nachfolger der KKL-Geräte das erste »Pharmadat«-Bestellterminal vor (Abbildung 2, rechts). Ebenfalls vollelektronisch und mit den gleichen Ausstattungselementen versehen (Display, drei Tastaturblöcke, Einzelkartenschlitz, numerische Tastatur, Druckeinheit et cetera) gehört es wie der »T10« von LOS zur zweiten Generation der Kartenleser. Sechs Geräte dieser Reihe aus der Zeit von 1976 (ohne Typenbezeichnung) bis etwa 1983 (Pharmadat 1500) aus der Sammlung Schoenemann (Inv.-Nr. III S16-21) sind nun im Museumsbestand.
1978 tritt mit Pharmatechnik ein neuer Akteur auf. Der ehemalige Siemens-Mitarbeiter Dr. Detlef D. Graessner machte sich mit der Übernahme des zuvor als unrentabel eingestellten Siemens-Terminals Transdata K36 unter diesem Firmennamen selbstständig.
Abbildung 3: Aus dem Siemens Transdata K36 wurde der 1979 von Pharmatechnik eingeführte Kleinkartenleser PT 220 entwickelt (Inv.-Nr. III S 26). Rechts daneben das Nachfolgemodell PT 230, noch mit Lochkartenschlitten, aber nun auch RAM-Speicher, Display, Tastatur und Einzelsteckkartenplatz (Inv.-Nr. III S 27). In dunkelgrauem Design: das neu konzipierte Modell des Kleinkartenlesers PT 210 ohne Schlitten, um 1982 (Inv.-Nr. III S 22). / Foto: DAM
Mit dem optimierten Kartenleser PT 220 bot er eine weniger störanfällige Weiterentwicklung des Transdata-Geräts an (Abbildung 3, links oben, Inv.-Nr. III S26). Das etwa 1980 eingeführte Nachfolgemodell PT230 kombinierte den vom Transdata K36 übernommenen Schlitten für die ABDA-Lochkärtchen mit Elementen von Kartenlesern der zweiten Generation: einem RAM-Speicher, drei Tastaturblöcken mit Einzelbefehlstasten und einem Block für numerische Eingaben sowie einem Leseschlitz für einzelne Lochkarten (Abbildung 3, rechts oben, Inv.-Nr. III S27).
Eine Abkehr von der mechanischen Nutzung der ABDA-Lochkärtchen stellte das 1982 von Pharmatechnik entwickelte Terminal PT210 in modernem dunklen Design mit transparentem Display und drei Tastenblöcken dar (Abbildung 3, vorne). Zwei Geräte dieser Serie in der Sammlung Schoenemann aus den Jahren 1985 und 1987 ergänzen den vorhandenen Bestand (Inv.-Nr. III S23–25).
Die vorgestellten »Meilensteine« aus der Frühzeit der EDV werden Mitte der 1980er-Jahre von den ersten kleinen Apothekencomputern abgelöst. Exemplarisch dafür ist der »Lauer2 in 1« aus dem Jahr 1986, auch bekannt als »Lauer Frosch«.
Das von der Firma Pharma Daig und Lauer KG (Fürth, heute CGM Lauer) in Zusammenarbeit mit verschiedenen Elektronikfirmen entwickelte Computersystem eroberte ab 1986 als eines der ersten Tischgeräte mit integriertem Bildschirm und ausziehbarer Tastatur den Markt. Es war ein speziell für die Lauer-Taxe entwickeltes System, das noch 1990 als schnellstes System in der Branche galt (Schaber, 1990, S. 24).
Abbildung 4 (von links): Andreas Weidmann (Standortadministrator CGM Lauer Fürth), Museumsdirektorin Dr. Elisabeth Huwer und Wolfgang Haag (Softwareentwicklungsleiter CGM Lauer Fürth) bei der Übergabe des Lauer 2 in 1 »Frosch« im März 2023 am Standort in Fürth / Foto: CGM Lauer
Lange suchte das Museum nach diesem kompakt designten Technikdenkmal. Der direkte Kontakt zu CGM Lauer, Fürth, führte schließlich zum Ziel. Bei einem Besuch der Museumsdirektorin Dr. Elisabeth Huwer am Firmenstandort in Fürth im März 2023 wurde ein »Lauer Frosch« als Schenkung an das Deutsche Apotheken-Museum übergeben (Inv.-Nr. III S 14, Abbildung 4).
Mit 8 Bit stellt er ein Übergangsmodell zum Nachfolger mit 16 Bit dar und wurde in der Firma als sogenannte »Mutter« verwendet. Von diesem Gerät aus wurden die auszuliefernden Lauer-Frösche mit aktuellen Daten bestückt. Ausgestattet mit einem 3,5-Zoll-Diskettenlaufwerk für 512 KB steht es auch für die angebrochene neue Ära der Datenspeicherung auf kleinen Disketten. Mit einem Leseschlitz am Bildschirmrand ist die Nutzung der ABDA-Lochkärtchen weiterhin möglich.
Wir hoffen, demnächst Belege für weitere wegweisende Geräte, zum Beispiel von der Firma FSW Fischer Software GmbH (Stuttgart), zu erhalten.
Foto: DAM
Natürlich kamen auch jenseits technischer Apparaturen wertvolle Objekte in den Museumsbestand. Hervorzuheben ist die doch noch geglückte Aufnahme einer der seltenen Sirupkannen aus der Durlacher Manufaktur (Inv.-Nr. IIE 1005). Einst zierte sie die Offizin des Klosters Schwarzach, deren Mobiliar seit Jahrzehnten ein Glanzstück des Heidelberger Museums ist. Die Kanne war bei Ebay versteigert worden. Der Käufer wandte sich mit Fragen an das Museum und entschloss sich in der Folge, das besondere Stück zugunsten der Rückkehr an seinen ursprünglichen Standort großmütig als Schenkung an das Museum zu übergeben.
Auch fünf einfache zylindrische Apothekengefäße der Kron-Apotheke Ulm aus dem frühen Kunststoff Bakkelit faszinieren als Zeitzeugnisse. Ursprünglich als Kartuschen für Wehrmachtsmunition gefertigt, wurden sie nach der Zerstörung der Kron-Apotheke im Jahr 1945 in deren Notquartier als Standgefäße umfunktioniert (Inv.-Nr. II H 0012–0016).
Obgleich ohne Netzanschluss und Elektronik rein mechanisch konzipiert, sei auch der »Zinsser-Apparat« zur Optimierung der Lagerhaltung, der durch eine Schenkung von Apotheker Hans-Jürgen Hoheisel (Tübingen) ins Museum kam, hier aufgeführt (Inv.-Nr. III S15).
Abbildung 5: Sehr selten: Die »Zinsser-Apparatur« für ABDA-Lochkärtchen wurde Mitte der 1970er-Jahre zur Optimierung der Bestellmengen erfunden und konzipiert von Apotheker Dr. Friedrich Zinsser, Tübingen (Inv.-Nr. III S 15). / Foto: DAM
Apotheker Dr. Friedrich Zinsser (gestorben 1998), ehemals Neckartor-Apotheke in Tübingen, entwarf diese Bestellhilfe für ABDA-Lochkarten Mitte der 1970er-Jahre (Abbildung 5). Das flache Gerät mit beschrifteten Fächern zum Einsortieren von Lochkarten leistete in der Übergangszeit zwischen der Bestellung per Telefon und per Modem ab den 1970er-Jahren bis in die frühen 1990er-Jahre beste Dienste. Mit verschiedenfarbig gekennzeichneten Fächern und Schildchen, die sich auf Bestellmengen-Codierungen für die ABDA-Lochkärtchen bezogen und auf die Abverkaufszahl und -zeit des jeweiligen Produkts abhoben, fungierte der Apparat als »Entscheidungsmatrix« zur Vereinfachung der Frage, ob die bisherige Bestellmenge eines Artikels erhöht, belassen oder verringert werden sollte – und optimierte damit das Warenlager (zur Funktion ausführlich Schaber, 1981, S. 50f.). Mit der Einführung des PC erübrigte sich der Zinsser-Kasten, der, wenn er nicht routiniert beherrscht wurde, das Warenlager auch ziemlich durcheinanderbringen konnte.
Wir suchen weitere Exponate aus der Zeit von etwa 1975 bis 1985, unter anderem die Geräte von IBM (Serie 1KSA), LOS (C30/40), ITT (3590) und Infopharm (15 und 35) und besonders Geräte aus der früheren DDR, die 1978 Organisationsrichtlinien zur Bestellung mit Bestellkarten für das Projekt »Warenbewegung, Vorrats- und Reservehaltung (WAVOR)« unter Einbeziehung der elektronischen Datenverarbeitung eingeführt hat.