Wie Apotheker die Adhärenz fördern |
Nehmen Patienten ihre Medikamente nicht regelmäßig ein, kann das ganz unterschiedliche Ursachen haben. / Foto: Adobe Stock/raymond Vong
Everett Koop postulierte 1985 den ebenso einfachen wie brillanten Satz: »Medikamente wirken nicht, wenn sie nicht eingenommen werden.« Die mangelnde Therapietreue durch Nichteinnahme von Medikamenten und mangelnde Umsetzung sowie fehlende Akzeptanz von Therapieangeboten wird als Non-Adhärenz bezeichnet. Diese sollte nicht als Problem des Patienten angesehen werden, sondern vielmehr auch als Folge einer unzureichenden pharmazeutischen und medizinischen Beratung: zunächst bei der Verordnung einer Medikation, bei der eventuell keine Zustimmung des Patienten eingeholt wird, und später durch Mangel an Hilfen und Information, die der Patient benötigt, um langfristig adhärent sein zu können.
Bei der Adhärenzförderung haben Apotheker daher eine besondere Bedeutung. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass pharmazeutische Interventionen die Arzneimitteltherapie der Patienten optimieren und sicherer machen. In der Pharm-CHF-Studie konnten Apotheker zeigen, dass eine pharmazeutische Betreuung sowohl die Adhärenz als auch die Lebensqualität der Patienten mit Herzinsuffizienz verbessern kann.
Non-Adhärenz hingegen kann das Therapieergebnis negativ beeinflussen bis hin zur Unwirksamkeit, zum Beispiel bei unregelmäßiger Einnahme, oder zu erhöhter Toxizität, zum Beispiel bei Überdosierung. Durch Non-Adhärenz entstehen laut eines ABDA-Berichts von 2007 jährlich rund 10 Milliarden Euro Kosten im Gesundheitssystem. Dies sind rund 13 Prozent der Gesamtkosten. Non-Adhärenz kann demzufolge als Volkskrankheit bezeichnet werden (1).
Wie aber kommt es überhaupt zu Non-Adhärenz? Warum ist es so schwer, sich an Therapieangebote zu halten und Medikamente regelmäßig einzunehmen?
Grafik: Fünf Dimensionen der Non-Adhärenz gemäß WHO 2003 / Foto: Avoxa
Man kann fünf Kategorien an Ursachen ausmachen, die zu Non-Adhärenz führen können (Grafik 1): patienten- und krankheitsbedingte Faktoren, therapiebezogene, soziale und ökonomische Faktoren sowie durch das Gesundheitssystem bedingte Faktoren. Diese behindern auf ganz unterschiedlichen Ebenen die Adhärenz.
Um Adhärenz zu fördern, ist das konkrete Problem zu lösen. Viele Player im Gesundheitssystem wirken daran mit, unter anderen Apotheker und PTA, Ärzte und medizinische Fachangestellte, Pflegekräfte, Mitarbeiter von Sozialdiensten, aber auch Chemiker, Pharmazeuten und Technologen bei der Arzneimittelentwicklung sowie Entscheidungsträger bei Krankenkassen, Gesundheitsministerien und -gremien. Lösungen reichen von der Entwicklung neuer Wirkstoffe über Edukation des Patienten bis hin zu Veränderungen im Gesundheits- oder Bildungssystem.
In Zusammenhang mit (Non-)Adhärenz werden verschiedene Begriffe verwendet.
Compliance: Einhaltung der Therapievorgaben durch den Patienten, stark hierarchisch geprägte Arzt-Patient-Beziehung
Adhärenz (Einnahmetreue): Einhaltung der gemeinsam von Patient und Behandlungsteam gesetzten Therapiemaßnahmen, shared decision making
Konkordanz: Übereinstimmung des Patienten und des Behandlungsteams hinsichtlich Therapiezielen und -maßnahmen
Persistenz: Zeitraum zwischen Beginn und Abbruch der Therapie durch den Patienten
Zur Förderung des Gesundheitsverhaltens bedarf es unterschiedlicher Interventionen, je nachdem, in welcher Phase der Umsetzung eines neuen Verhaltens sich ein Patient befindet. So kann zum Beispiel die Adhärenz durch Wegfall der Zuzahlung nicht verbessert werden, wenn ein Mensch seine Erkrankung und in der Folge die Therapie nicht akzeptiert, aber problemlos die Zuzahlung bezahlen könnte.
Die Intervention muss also den Patienten da abholen, wo er momentan steht. Man unterscheidet im transtheoretischen Modell sechs Phasen:
Egal ob Ernährungsumstellung oder Medikation: Es ist nicht leicht, sein Verhalten zu ändern. Im Prozess gibt es durchaus Phasen der Unzufriedenheit und kritischen Distanz. / Foto: Adobe Stock/Quality Stock Arts
Klar ist: Nur im vertrauensvollen Patientengespräch kann man feststellen, in welcher Phase sich ein Patient befindet und ihm dann die richtige Strategie anbieten. Hier gilt es, in der Apotheke eine Atmosphäre zu schaffen, die dieses Gespräch ermöglicht. Beratungsräume und Terminvereinbarungen zu ruhigeren Apothekenzeiten können helfen.
Natürlich sind auch die Identifikation der Ursache der Non-Adhärenz und die Abstimmung der Intervention entscheidend. Je nach Grund (Grafik 1) können unterschiedliche Interventionen helfen.
Interventionen wie Patientenschulung, pharmazeutische Beratung sowie Erinnerungshilfen, zum Beispiel Cue-Dosing, Alarme, Kalender, Briefe, E-Mails, Prospekte oder Anrufe, sowie der Einsatz von Tagebüchern zum Monitoring des Therapieerfolgs gehören in diese Kategorie.
Zu unterscheiden ist: Nimmt der Patient willentlich die Medikation nicht ein oder passiert es unabsichtlich? Wenn die Entscheidung willentlich getroffen wird, gilt es, nach den Gründen zu fragen. Don’t judge! Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt, da der Patient für sich »gute Gründe« hat, die es aufzudecken gilt. Meist ist es die Angst vor Nebenwirkungen. Hier kann eine pharmazeutische Beratung helfen, die Angst zu überwinden. Dies gilt auch, wenn der Patient »Horrorgeschichten« im Internet über das verordnete Medikament gelesen hat oder nicht versteht, warum das Medikament überhaupt indiziert ist. Oder er hat nach kurzer Einnahme das Gefühl, dass das Medikament nicht wirkt oder der Therapieerfolg bereits erreicht ist.
Gerade Medikamente mit Wirklatenz, zum Beispiel Antidepressiva, oder zur Behandlung von Erkrankungen, die zunächst symptomlos verlaufen wie Diabetes oder Hypertonie, werden oft nicht richtig und regelmäßig eingenommen. Ein Beispiel: Ein Patient vergisst, sein Antihypertensivum einzunehmen, und misst Blutdruck. Dieser ist gerade normwertig. Der Patient fragt sich, warum er das Mittel überhaupt braucht, wenn der Blutdruck auch ohne Medikament normal ist. Fundierte Aufklärung über mögliche Folgeerkrankungen und Therapieziele, aber auch regelmäßige Messungen können ihm helfen. Hier können Tagebücher, Apps zum Eintragen von Messwerten oder Stimmungstagebücher über psychisches Befinden, Schmerztagebücher und Laborwerte die Adhärenz verbessern.
Wird die Medikation versehentlich vergessen, hilft vor allem das Cue-Dosing (Fallbeispiel) (2). Dieser Begriff steht für eine Verbesserung der Adhärenz durch Kopplung der Medikamenteneinnahme an tägliche Rituale, zum Beispiel morgens die Kaffeemaschine anstellen, Zähne putzen oder Tisch decken. Die Arzneimittel werden zum Beispiel an die Kaffeemaschine gelegt, sodass der Mensch direkt an die Einnahme erinnert wird. Dadurch werden die Einnahmezeitpunkte per Konditionierung fest in den Tagesablauf integriert.
Foto: Adobe Stock/auremar
Ein Patient kommt mit einem Rezept in seine Stammapotheke. Dem Apotheker fällt in der Kundendatei auf, dass die Abstände der Rezepteinlösung die Reichdauer um 40 Tage überschreiten und das auch schon in den letzten Monaten.
Apotheker: »Mir fällt gerade auf, dass die Reichdauer Ihrer Medikation deutlich überschritten wird. Wurde die Dosierung verändert? Wie oft am Tag und wie viele Tabletten nehmen Sie ein?«
Patient: »Die Dosis wurde nicht verändert, aber die abendliche Einnahme vergesse ich oft. Ich muss abends zur Nachtschicht und vergesse die Einnahme, wenn ich erst einmal am Arbeiten bin.«
Apotheker: »Das kann ich gut nachvollziehen. Lassen Sie uns gemeinsam nach einer Lösung suchen. Was machen Sie abends, bevor Sie aus dem Haus gehen?«
Patient: »Das ist ganz unterschiedlich, manchmal treffe ich mich mit Freunden oder kaufe ein.«
Apotheker: »Und was machen Sie als Erstes, wenn Sie in der Arbeit ankommen?«
Patient: »Ich gehe an meinen Spind und schließe meine Tasche ein.«
Apotheker: »Habe ich das richtig verstanden: Jeden Abend gehen Sie an den Spind und schließen die Tasche ein?«
Patient: »Ja, genau.«
Apotheker: »Könnten Sie die Tabletten dort im Spind deponieren? Würde Ihnen das helfen, an die Einnahme zu denken?«
Patient: »Ja, das ist eine gute Idee. Mir fällt es sonst erst in der Arbeit auf, dass ich die Tabletten zu Hause vergessen habe. Aber so hätte ich sie ja dann bei der Hand und könnte sie gleich nehmen.«
Soziale Unterstützung (Verwandte, Selbsthilfegruppen), Senkung des Preises oder der Zuzahlung für Medikamente, Ausweitung der Gesundheitsbildung oder die Vereinfachung des Zugangs zu medizinischen Leistungen können die Adhärenz beeinflussen.
Gerade zum Monatsende kann die zu leistende Zuzahlung ein Problem darstellen. Dies betrifft auch Hilfsmittel mit hohem Eigenanteil. Auch einige im Einzelfall sinnvolle medizinische Maßnahmen in Form von IGeL-Leistungen sind davon betroffen.
Wenn sich im Gespräch in der Apotheke herausstellt, dass ein Patient sein Rezept nicht einlösen will, weil er die fällige Zuzahlung (aktuell) nicht leisten kann, kann das Apothekenteam prüfen, ob es ein zuzahlungsfreies Medikament der gleichen Wirkstoffgruppe gibt. Mit Zustimmung des Patienten kann man mit dem verordnenden Arzt klären, ob eine Änderung der Verordnung möglich ist. Falls ja, kann dies die Adhärenz nachhaltig positiv beeinflussen. Ebenso lohnt sich der Versuch, bei der Krankenkasse eine Befreiung von der Zuzahlung zu erwirken.
Anderes Problem: Durch Smartphones und Internet werden Informationen, aber auch Fehlinformationen leicht verfügbar. Gerade um Psychopharmaka oder Cortison-Präparate ranken sich Mythen und Ängste. Durch Edukation von Angehörigen, die den Patienten begleiten, kann der Boden für eine bessere Adhärenz bestellt werden. »Was haben Sie gelesen oder gehört? Was denken Sie als Angehöriger über die Therapie/Maßnahme?« Im Gespräch zeigt sich, ob Angehörige eine Behandlung unterstützen oder eher Non-Adhärenz fördern.
Gerade das Umfeld hat großen Einfluss auf das Gesundheitsverhalten eines Patienten. Daher ist es wichtig, Angehörige in die Behandlung – zumindest wenn der Patient dies wünscht – mit einzubeziehen (Fallbeispiel).
Eine Frau kommt mit ihrer Tochter in die Apotheke und will ein Rezept über Citalopram einlösen. Die Apothekerin bietet eine Beratung an, die die Patientin gerne annimmt. Sie erläutert die Einnahme des Antidepressivums, mögliche Nebenwirkungen in der Anfangszeit und die Wirklatenz von 14 Tagen. Die Tochter hört mit und sagt zur Mutter: »Das brauchst Du doch nicht, Mama. Das ist ja so Psychozeug. So krank bist Du doch gar nicht! Lass das lieber; vielleicht gibt es auch was Pflanzliches als Alternative.«
Hier liegt die Intervention darin, die Tochter über die Erkrankung und die Medikation zu informieren. Ein Gespräch könnte so verlaufen:
Apothekerin: »Ich höre, dass Sie Bedenken bezüglich der Medikation Ihrer Mutter haben. Was haben Sie über Antidepressiva gelesen?«
Tochter: »Die sollen abhängig machen und die Persönlichkeit verändern. Davor will ich meine Mutter schützen!«
Apothekerin: »Das ist sicher schwer zu akzeptieren, dass ihre Mutter krank ist und Unterstützung braucht. Der Arzt hat sicher sorgfältig geprüft, ob eine medikamentöse Behandlung angezeigt ist. Eine frühzeitige Behandlung der Depression kann verhindern, dass die Symptomatik stärker wird. Pflanzliche Präparate reichen oft nicht aus. Sie brauchen keine Angst vor Persönlichkeitsveränderungen zu haben; dies wird sicher nicht als Nebenwirkung auftreten. Es entsteht auch keine Abhängigkeit, diese ist nur für bestimmte Beruhigungsmittel bekannt. Das Antidepressivum ist im Gegenteil stimmungsaufhellend und antriebssteigernd. Frau Mayer, was hat der Arzt Ihnen denn zu Citalopram erläutert?«
Patientin: »Der Arzt hat eigentlich das Gleiche gesagt – vor allem, dass es mir helfen wird, damit es mir in zwei Wochen besser geht. Ich würde es gerne versuchen, denn ich vertraue Ihnen und dem Arzt.«
Gemeint ist hier zum Beispiel die Auswahl der adäquaten Darreichungsform oder Medikamentenverpackung, die Reduktion der täglichen Einnahmezeitpunkte, aber auch die Entwicklung von Medikamenten mit günstigerem Nebenwirkungsprofil oder besserer Schluckbarkeit oder der Einsatz von Verblisterung oder Dosetten. Auch die Reduktion der Polypharmazie verbessert die Adhärenz (5).
Das Apothekenteam kann in einer Medikationsanalyse mögliche Probleme bei der Adhärenz zu jedem einzelnen Medikament aufdecken. Beispielsweise begünstigen unangenehm riechende oder langsam einziehende Cremes, schlecht schmeckende Säfte oder Tropfen oder schlecht teilbare oder schluckbare Tabletten und Kapseln die Non-Adhärenz. Eine gute Vernetzung mit Ärzten kann helfen, diese Probleme schnell und unkompliziert zu lösen, wenn Dosierungen oder Arzneiform eines Rx-Arzneimittels geändert werden müssen. Viele Probleme können direkt in der Apotheke gelöst werden, zum Beispiel durch die Erläuterung von Schlucktechniken oder Schluckhilfen (wie Medicoat®).
Was tun, wenn die Medikamente nicht runterrutschen? Die Apotheke weiß Rat. / Foto: Shotshop/Lighthunter
Ratsam ist in jedem Fall eine genaue Aufklärung, warum das Medikament wichtig ist und eingenommen werden sollte. Bei komplizierten Darreichungsformen wie Inhalatoren, Augentropfen oder Insulinpens kann das Apothekenteam viele Einnahmefehler erkennen, wenn es sich die Einnahme vorführen lässt. Wenn die Apotheke Spacer, Tropfhilfen und Instruktionen zur Anwendungstechnik aktiv anbietet, kann sie die Adhärenz direkt positiv beeinflussen (3).
Vielleicht hat ein Patient aber auch mehr Nebenwirkungen, weil er den richtigen Einnahmezeitpunkt, zum Beispiel zum Essen, nicht einhält. Da Arzneistoffe wie NSAR nicht gut magenverträglich sind, lassen sich Nebenwirkungen durch Einnahme nach dem Essen vermeiden oder reduzieren (Fallbeispiel). Bei inkorrekter Einnahme kann es zu Wirkverlusten kommen, insbesondere bei Arzneistoffen mit Wirklatenz oder ohne direkt spürbare Wirkung, zum Beispiel Blutdruck- oder Blutzuckersenker oder ASS und Simvastatin in der Sekundärprävention.
Bei unregelmäßiger Einnahme, zum Beispiel von Benzodiazepinen und Z-Substanzen, Antidepressiva, Antipsychotika, Betablockern oder Opioiden, können typische Anfangsnebenwirkungen und dann Rebound-Phänomene auftreten. Die regelmäßige Einnahme verbessert oft die Verträglichkeit (4).
Apotheker und PTA können bei den therapiebezogenen Interventionen einen ganz entscheidenden Beitrag zur Adhärenzförderung und zugleich Reduktion von Morbidität leisten. Die Bundesapothekerkammer (BAK) hat eine Leitlinie zur Information und Beratung des Patienten bei der Abgabe von Arzneimitteln auf ärztliche Verordnungen herausgegeben, die aufzeigt, welche Punkte mit dem Patienten besprochen und geklärt werden sollten. Dazu gehören unbedingt immer die Dosierung und die Einnahmemodalität.
Foto: Adobe Stock/Ivan
Ein Patient löst ein Rezept mit Ibuprofen 800 mg und zwei weiteren Medikamenten ein. Als die Apothekerin die Medikamente auf den HV-Tisch legt, beginnt der Mann zu klagen: »Von den Ibuprofen-Tabletten bekomme ich solche Magenschmerzen. Kann der Arzt mir nicht etwas anderes gegen meine Arthrose-Schmerzen verordnen?«
Apothekerin: »Wann genau nehmen Sie die Ibuprofen-Tabletten denn ein?«
Patient: »Gleich morgens früh.«
Apothekerin: »Frühstücken Sie vorher etwas?«
Patient: »Nein, das hat mir auch keiner gesagt. Ich nehme die Tablette immer gleich morgens und frühstücke circa eine Stunde später.«
Apothekerin: »Durch die Einnahme während der Mahlzeiten können Sie die Magenschmerzen deutlich reduzieren, versuchen Sie es mal. Wenn es nicht wesentlich besser wird, sollten Sie mit Ihrem Arzt sprechen.«
Patient: »Das wäre ja toll, denn die Bauchschmerzen plagen mich den halben Tag lang. Ich probiere es aus.«
Viele Patienten mit Arthrose in den Händen haben Schwierigkeiten, bestimmte Blister oder Tropfflaschen zu öffnen. Der adäquate Einsatz von Schmerzmitteln oder antiphlogistischen Wirkstoffen gelingt besser, wenn beim Richten der Arzneimittel keine Schmerzen auftreten.
Es gilt, Adhärenz-beeinflussende Komorbiditäten wie Depression, Arthrose oder Dysphagie zu erkennen und adäquat zu behandeln, damit die Erkrankung keine Hürde mehr darstellt. Bei Menschen mit Depression sind es besonders kognitive Defizite, die zum Vergessen der Einnahme führen. Der Einsatz von Antidepressiva kombiniert mit Psychotherapie kann die Situation verbessern. Diese Interventionen gehen nicht schnell, es ist manchmal Geduld gefragt. Dem Apotheker kommt hier eine Lotsenfunktion zu: »Bitte besprechen Sie dies mit Ihrem Arzt.«
Hierzu zählen Verbesserungen der Arzt/Apotheker-Patient-Beziehung sowie ärztliche und pharmazeutische Fortbildungen, finanzielle Anreize für die Leistungserbringer, Adhärenz-steigernde Maßnahmen anzubieten, und der Abbau von Arbeitsüberlastung im Gesundheitssystem.
Das aktuelle Gesundheitssystem dient eher nicht der Adhärenzförderung. Wenn die interdisziplinäre Zusammenarbeit und Adhärenzförderung als therapeutische Maßnahmen nicht vergütet werden, sondern nur die Behandlung bei Non-Adhärenz, zum Beispiel bei Toxizitäten oder Therapieversagen, ist das ganze System wenig effizient.
In der Apotheke ist insbesondere darauf zu achten, die Arzt-Patient-Beziehung nicht zu stören. Durch Fort- und Weiterbildung kann man die eigene Kompetenz und Sicherheit in der Beratung steigern – und das erhöht das Vertrauen der Patienten. Dies kann langfristig die Apotheker-Patient-Beziehung verbessern.
Für eine gute Adhärenz sind mehrere und meist auch miteinander kombinierte Interventionen nötig. Sie müssen so lange fortgeführt werden, wie die Therapiemaßnahme andauert. Follow-ups inklusive Phasenbeurteilung sind notwendig, um die Adhärenz langfristig zu sichern.
Speziell für Apotheker wurde die AIDES-Methode zur Adhärenzförderung entwickelt. Diese evidenzbasierte Methode, von Bergman-Evans entwickelt und 2006 publiziert (6), liefert eine Struktur für das Vorgehen in der Apotheke.
A = Assessment: Es sollte eine ausführliche Evaluation der gesamten Medikation und Maßnahmen des Patienten erfolgen. Bei älteren Patienten kann ein kurzer Mini-Mental-Status-Test helfen, die kognitive Leistungsfähigkeit einschätzen zu können. Bei deutlich eingeschränkter kognitiver Leistungsfähigkeit sollten Angehörige in die Therapie einbezogen werden. Der Patient sollte alle Medikamente mitbringen, die er (auch bei Bedarf) einnimmt. Dies ist die Grundlage für einen »Brown Bag Review«. Man sollte im Gespräch aktiv fragen, wie oft Medikamente vergessen werden.
Gerade in der Pandemie brauchen Patienten eine verlässliche Beratung und individuelle Informationen zu ihrer Medikation. / Foto: Adobe Stock/Minerva Studio
I = Individualisierung: Das gesamte Medikamentenregime sollte gemeinsam mit dem Patienten individuell an ihn und seine Bedürfnisse und Prioritäten angepasst werden. Wichtig für die Individualisierung ist die vertrauensvolle Beziehung.
D = Dokumentation: Der Patient sollte auf ihn abgestimmte schriftliche Informationen (Informationsblätter, Dokumentationsbögen) erhalten. Es kann hilfreich sein, Blatt und Stift während des Gesprächs bereitzustellen, damit er sich wichtige Dinge direkt mitschreiben kann. Der bundeseinheitliche Medikationsplan sollte regelmäßig überprüft und aktualisiert werden, idealerweise bei jedem Termin.
E = Edukation: Der Patient sollte zu jeder Zeit die auf ihn und seine Situation zugeschnittenen, erforderlichen Informationen erhalten und gut über seine Erkrankung und Behandlung informiert sein. Kein Fachchinesisch. Idealerweise wird er durch die längerfristige Edukation selber ein Experte für seine Erkrankung und Behandlung (7).
S = Supervision: Auch nach erfolgreichem Therapiebeginn sollte der Patient kontinuierlich betreut (supervidiert) werden, beispielsweise durch regelmäßiges Nachfragen, wie er mit der Einnahme zurechtkommt, ob Nebenwirkungen aufgetreten sind und Ähnliches (Kasten). Der Patient sollte regelmäßig motiviert werden.
Stellen Sie den Patienten folgende Fragen:
Modifiziert nach (8)
Apothekerinnen und Apotheker übernehmen eine wichtige Rolle bei der Adhärenzförderung, da viele Probleme, die zu Non-Adhärenz führen, durch pharmazeutische Interventionen gelöst werden können (9). Ein gutes Fachwissen ist dabei ebenso unverzichtbar wie eine geeignete Kommunikation. Vier wichtige pharmazeutische Aufgaben:
Adhärenz kann auf sehr unterschiedlichen Wegen verbessert werden, je nach identifiziertem Problem. Angesichts der hohen Kosten der Non-Adhärenz ist zu überdenken, ob Adhärenzförderung nicht eine zu vergütende Leistung in unserem Gesundheitssystem darstellen sollte.
Literatur bei den Verfasserinnen
Martina Hahn studierte Pharmazie in Marburg und wurde 2011 an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz promoviert. 2020 habilitierte sie sich an der Philipps-Universität Marburg. Viele Jahre arbeitete Hahn als klinische Pharmazeutin auf Station, wo sie gemeinsam mit Professor Roll das Eichberger Modell© entwickelte. Seit 2012 hat sie einen Lehrauftrag an der University of Florida. Sie ist Fachapothekerin für Klinische Pharmazie und arbeitet seit Sommer 2020 in der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie Frankfurt, und der Dr. Amelung Privatklinik in Königstein. Seit November 2020 ist sie zudem Privatdozentin an der Uni Marburg, Fachbereich Pharmazie.
Sibylle C. Roll ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie mit Zusatzbezeichnung Suchtmedizin. Berufsbegleitend studierte sie Krankenhausbetriebswirtschaft. Sie ist Dozentin und Supervisorin an mehreren Ausbildungsinstituten und Universitäten. Aufgrund ihres Engagements bei der Implementierung Klinischer Pharmazie in psychiatrische Behandlungskonzepte wurde sie zur Professorin am College of Pharmacy der Universität Florida ernannt. Sie war langjährig Klinikdirektorin der Vitos Klinik Eichberg und Ärztliche Direktorin des Vitos Klinikums Rheingau. Seit November 2020 ist Professor Roll Chefärztin der Klinik für psychische Gesundheit am Klinikum Frankfurt Höchst.