WHO: Trauma breitet sich aus wie Virus |
Auf beiden Seiten sind die Menschen von den Kampfhandlungen traumatisiert. Im Prinzip sei die gesamte Bevölkerung betroffen, so die WHO. Hier ein Bild vom 2. November im al-Bureij Flüchtlings-Camp im zentralen Gaza-Streifen. / Foto: Imago/Xinhua
«Alle in Gaza» würden psychosoziale Unterstützung benötigen, sagte Rik Peeperkorn, der WHO-Repräsentant für die palästinensischen Gebiete, am Donnerstag. Er erinnerte daran, dass die mehr als zwei Millionen Einwohner von Gaza zuvor schon jahrelang von Konflikten und von Blockaden belastet worden seien. Auch ein Teil der WHO-Mitarbeiter vor Ort habe mit psychischen Problemen zu kämpfen, sagte Peeperkorn in einer Videoschalte der UN-Gesundheitsorganisation in Genf. «Sie sind völlig verzweifelt, völlig depressiv und haben keine Lebensperspektive mehr», berichtete er. Außerdem erhalte die WHO in ihren laufenden Kontakten mit palästinensischen Gesundheitsfachkräften «besorgniserregende» Berichte über deren mentalen Zustand.
Auch in Israel seien unter anderem Überlebende des Terrors, Angehörige der von der Hamas entführten Geiseln, Zeugen des Angriffs sowie Entscheidungsträger traumatisiert, berichtete Michel Tieren, der WHO-Vertreter in Israel. «Das ganze Land ist in die Dunkelheit des Traumas gestürzt, und das Trauma breitet sich in etwa wie ein Virus aus», sagte er. Manche Menschen würden sich zu intensiv mit den schrecklichen Erlebnissen anderer beschäftigen. Israelische Gesundheitsbehörden seien im Gespräch mit der WHO über Maßnahmen, um die psychische Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung wiederherzustellen, sagte Tieren.
Die WHO hat zudem Sicherheitsgarantien für medizinische Hilfslieferungen an Kliniken im Gaza-Streifen gefordert. Der Transport von Hilfsgütern innerhalb des Palästinensergebietes werde von den Konfliktparteien behindert, da es fast unmöglich sei, von ihnen Sicherheits-Zusagen zu erhalten, kritisierte der oberste Krisenmanager der WHO, Mike Ryan, am Donnerstag in Genf.
WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus berichtete bei einer Pressekonferenz, dass seit dem Terrorangriff der palästinensischen Hamas auf Israel und dem Beginn des israelischen Gegenschlags 218 mal Gesundheitseinrichtungen und -personal in Palästinensergebieten angegriffen worden seien. In Israel habe es 19 solcher Angriffe gegeben.
Tedros forderte erneut eine humanitäre Feuerpause. Die Situation im Gaza-Streifen lasse sich mit Worten kaum noch beschreiben, sagte Tedros. «Angst, Tod, Zerstörung und Verlust sind überall», sagte er. Tedros und andere WHO-Vertreter berichteten von Operationen ohne Narkose, überfüllten Kliniken und Leichenhallen, sowie von einem Anstieg von Durchfall, Atemwegsinfektionen und Hautkrankheiten unter Vertriebenen.
Der WHO liegen keine Informationen über Hamas-Stützpunkte in Krankenhäusern im umkämpften Gazastreifen vor, sagte Krisenmanager Ryan. Die WHO stehe in engem Kontakt mit dem medizinischen Personal vor Ort. Was sich eventuell unterhalb dieser Kliniken abspiele, sei der WHO nicht bekannt, schränkte Ryan ein.
Falls Krankenhäuser im Gazastreifen auf Wunsch Israels evakuiert werden sollen, müsse Israel als Besatzungsmacht in Abstimmung mit den palästinensischen Gesundheitsbehörden einen sicheren Abtransport der Patienten in alternative Behandlungszentren ermöglichen, betonte Ryan. «Diese Kriterien sind nicht erfüllt», sagte er während der Pressekonferenz. Die Verwaltung im Gazastreifen steht unter der Kontrolle der islamistischen Hamas, die am 7. Oktober einem Terrorangriff gegen Israel gestartet hatte .