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Lazarus-Phänomen

Wenn Totgesagte doch noch leben

Autoreanimation nennen Mediziner es, wenn bei einem für tot gehaltenen Menschen nach beendeter Herz-Lungen-Wiederbelebung spontan wieder Lebenszeichen auftreten. Der Vorgang, der auch als Lazarus-Phänomen bezeichnet wird, ist wohl häufiger als vermutet.
Annette Rößler
01.09.2025  09:00 Uhr

Die Geschichte von Lazarus von Bethanien steht in der Bibel im Johannes-Evangelium. Dort ist zu lesen, dass Lazarus, nachdem er bereits vier Tage lang tot gewesen war, von Jesus auferweckt wurde. Nach dieser Episode ist das Lazarus-Phänomen benannt, bei dem ein Mensch nach einem Herzstillstand und der Einstellung von Wiederbelebungsmaßnahmen spontan wieder Lebenszeichen entwickelt. Der medizinische Fachausdruck für das Lazarus-Phänomen lautet Autoreanimation.

Anders als bei dem biblischen Namensgeber dauert es bei der Autoreanimation aber nicht Tage, bis sich bei dem Betroffenen wieder ein spontaner Puls einstellt, sondern nur Minuten. Im Median sind es fünf Minuten, wie ein Team um den Notfallmediziner Les Gordon vom Royal Lancaster Infirmary in Großbritannien 2020 im »Scandinavian Journal of Trauma, Resuscitation and Emergency Medicine« berichtete. Laut der Übersichtsarbeit, für die die Autoren 63 in der Literatur beschriebene Fälle von Autoreanimation auswerteten, brauchte es allerdings bei 14 Patienten (22 Prozent) länger, nämlich zwischen 6 und 10 Minuten, und bei 19 Patienten (30 Prozent) war der Zeitraum noch größer oder die entsprechende Angabe fehlte.

Man kann sich leicht vorstellen, dass ein solcher Vorgang nicht nur für den Patienten selbst, sondern auch für die Angehörigen und das medizinische Team traumatisch sein kann. Daher sei es wichtig, so Gordon und Kollegen, dass das medizinische Personal über die Existenz des Phänomens Bescheid weiß, bevor es erstmals damit konfrontiert wird.

Häufigkeit vermutlich deutlich unterschätzt

Dass das in einem ärztlichen Berufsleben irgendwann einmal passiert, ist laut dem Artikel gar nicht unwahrscheinlich: In Befragungen hätten 37 bis 50 Prozent der Ärzte auf Intensivstationen angegeben, schon einmal eine Autoreanimation bei einem Patienten miterlebt zu haben. Es müsse demnach viele Fälle geben, über die nicht berichtet wird, folgern die Autoren, wahrscheinlich weil die involvierten Ärzte auch rechtliche Konsequenzen fürchten.

Gordon und Kollegen beschreiben verschiedene pathophysiologische Mechanismen, die hinter einer Autoreanimation stecken können, und ein Team um Dr. Georgios Mavrovounis von der Universität von Thessalien in Larisa, Griechenland, geht in einer weiteren Übersichtsarbeit, die 2023 in »The American Journal of Emergency Medicine« erschien, genauer darauf ein.

Ein möglicher Auslöser ist demnach eine Überblähung der Lunge, die durch zu schnelle oder zu heftige Beatmung zustande kommen kann. Insbesondere zu wenig Zeit zum Ausatmen kann in diesem Zusammenhang problematisch sein, vor allem bei Patienten mit Asthma oder chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD). Durch die Lungenüberblähung steigt der Druck im Brustkorb und der venöse Rückfluss des Blutes zum Herzen verringert sich, wodurch schließlich auch der Auswurf des Herzens zum Erliegen kommt. Auch können Medikamente, die dem Patienten injiziert wurden, durch den erhöhten intrathorakalen Druck das Herz nicht erreichen und akkumulieren in der Peripherie. Diese Effekte lassen nach, sobald die Beatmung eingestellt wird.

Durch eine Herzdruckmassage können Plaques aus der Gefäßwand von Koronararterien losgerissen werden und diese dann verstopfen. Lässt der Druck von außen nach, weil kein Druck mehr auf den Brustkorb ausgeübt wird, kann sich die Durchlässigkeit betroffener Gefäße wieder verbessern.

Unmittelbar nach einer Defibrillation kann das Herz vorübergehend aufhören zu schlagen (Asystolie). Deshalb sollen Wiederbelebungsmaßnahmen nicht direkt nach der Anwendung eines Defibrillators beendet werden, wenn die Maßnahme vermeintlich keinen Erfolg gezeitigt hat.

Nicht zu früh aufhören

Überhaupt dürfe die kardiopulmonale Reanimation nicht zu früh beendet werden, so die Gruppe um Gordon. Sie solle bei einer Nulllinie im EKG mindestens noch 20 Minuten lang fortgesetzt werden. Dies entspricht den Empfehlungen internationaler Leitlinien. Nach dem Abbruch der Maßnahmen soll der Verstorbene mindestens fünf Minuten lang genau beobachtet und weiter per EKG überwacht werden. Diesen Zeitraum wollen Gordon und Kollegen auf mindestens zehn Minuten ausdehnen, Mavrovounis und Kollegen sogar auf mindestens 30 Minuten.

Beide Autorenteams verweisen darauf, dass sich ein überraschend hoher Anteil an Betroffenen nach einer Autoreanimation wieder vollständig erholt. In der Auswertung von Gordon et al. waren es 18 von 63 Patienten (28 Prozent); weitere vier (6 Prozent) überlebten mit Folgeschäden. Dies bezeichnen die Autoren als das wichtigste Ergebnis ihrer Arbeit. In der Auswertung von Mavrovounis et al. überlebten 24 von 76 Patienten (31 Prozent), davon 11 mit vollständiger neurologischer Erholung.

Bei einem Herzstillstand sei der Tod nicht das Ereignis eines Augenblicks, sondern der Sterbeprozess dauere eine Zeit lang, schreibt das Team um Gordon. Wiederbelebungsmaßnahmen sollten daher nicht zu früh eingestellt und der Verstorbene danach ausreichend lange beobachtet werden.

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