Wenn ein »Ähm« zum Verhängnis wird |
| Jennifer Evans |
| 18.09.2023 07:00 Uhr |
In der Apotheke müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zwar nicht gleich Straftäter überführen, können aber durchaus davon profitieren, anhand von Wortwahl und Stimme eine Menge Informationen über ihre Patientinnen und Patienten abzulesen. So lässt sich beispielweise hören, ob ein Mensch unter Stress steht. Denn Emotionen beeinflussen die Kehlkopfmuskulatur und sind damit für das Gegenüber hörbar.
Wie diverse Studien in der Vergangenheit bereits gezeigt haben, steigt unter Stressbelastung generell die Grundfrequenz der Stimme an. Sie kann in Belastungssituationen aber auch lauter, gepresst oder kratzig bis hin zu heiser wirken. Andere Anzeichen für Stress sind schnelles Reden oder der verstärke Gebrauch emotionaler Wörter. Andere Menschen wiederum sagen nur das Nötigste, wenn sie unter Druck stehen.
Weil sich sowohl körperliche als auch psychische Erkrankungen in der Stimme niederschlagen können, haben sich zuletzt Software-Systeme zu diagnostischen Hilfsmitteln entwickelt. So haben Forscher herausgefunden, dass Patienten mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) wesentlich hektischer sprechen als etwa Patienten mit Morbus Parkinson. Von Stimmanalysen verspricht sich die Wissenschaft in Zukunft auch großen Nutzen mit Blick auf Depression oder die Diagnose der Lähmungserkrankung Amyotrophe Lateralsklerose (ALS).
Einfluss auf die Stimme haben neben der Größe der Stimmlippen etwa auch die Hormone – und sogar das Umfeld sowie die Kultur eines Sprechers. So stellte sich heraus, dass Frauenstimmen in den vergangenen Jahrzehnten um zwei bis drei Halbtöne tiefer geworden sind. Soziologen vermuten dahinter eine Auswirkung der Emanzipation. Für diese Theorie spricht laut dem Kommunikationswissenschaftler Professor Dr. Walter F. Sendlmeier von der Technischen Universität Berlin, dass sich die Stimmhöhe von Sprecherinnen verschiedener Länder unterscheidet. Damit meint er, dass Norwegerinnen erwiesenermaßen tiefer als Italienerinnen oder Britinnen sprechen, eben weil die Emanzipation in Skandinavien bereits weiter fortgeschritten ist.
Übrigens war sich schon die einstige britische Premierministerin Margaret Thatcher über die vorteilhafte Wirkung einer tieferen Stimme für ihre Position im Klaren. Mit hartem Training gelang es ihr schließlich, diese um eine halbe Oktave zu senken. In Zukunft lässt vielleicht schon vorab an der Stimme messen, ob ein Mensch das Zeug zur Führungskraft hat.
Sprache ist immer im Wandel. Einflüsse kommen von überall. Doch in welche Richtung die Entwicklung geht und wer für die Veränderungen eigentlich verantwortlich ist, dafür fehlen der Wissenschaft die Daten.
Wer Lust hat, kann die Forschung unterstützen und über die Sprach-App »Plapper« des Berliner Leibniz-Zentrums Allgemeine Sprachwissenschaft an kurzen Umfragen oder phonetischen Übungen teilnehmen. Es geht darum, Sätze vorzulesen, die bestimmte Vokale oder Konsonanten enthalten, oder um die Interpretationen sprachlicher Ungenauigkeiten. Auch Grammatik und Schreibweise sind Thema.
Die Teilnahme ist kostenlos und anonym. Ziel ist es, über die App einen guten soziodemografischen Schnitt der Gesellschaft zu bekommen, um Soziolekten auf die Spur zu kommen, also dem Sprachgebrauch bestimmter sozialer Gruppen. Da auch regionale Unterschiede für das Sprachverhalten der Deutschen interessant sind, können die Nutzer außerdem ihren Wohnort auf einer Karte anpinnen.
Die Sprach-App »Plapper« ist im App Store und bei Google Play erhältlich.