Wenn Antikörper Viren angraben |
Theo Dingermann |
03.12.2021 08:00 Uhr |
Antikörper haben offenbar unter bestimmten Bedingungen mehrere Möglichkeiten der Interaktion mit ihrer Zielzelle. / Foto: Getty Images/Nanoclustering
Zur Inaktivierung von Viren können spezifische Antikörper an bestimmte Oberflächenstrukturen binden und dadurch die gefährlichen Eigenschaften der Viren inaktivieren. Eine Studie, die jetzt im Fachjournal »Cell« erschienen ist, legt jedoch nahe, dass dies nicht der einzige Mechanismus ist, mit dem Antikörper Viren neutralisieren können. Wissenschaftler um Xin-Xiang Lim von der Universität Singapur machten ihre Entdeckung mit dem menschlichen monoklonalen Antikörper C10. Dieser besitzt die Eigenschaft, sowohl an das Zikavirus (ZIKV) als auch an das Denguevirus (DENV2) zu binden.
Mittels Kryo-Elektronenmikroskopie (Kryo-EM) und der Markierung der Virus-Antikörperkomplexe mit dem schweren Wasserstoff-Isotop Deuterium konnten die Wissenschaftler beobachten, dass durch Bindung des Fab-Fragments des C10-Antikörpers an ZIKV-Partikel die Gesamtdynamik dieser Partikel verringert wurde. Aus dieser Beobachtung leiten die Wissenschaftler ab, dass der Antikörper mit den ZIKV-Partikeln die weitläufig bekannte Interaktion eingeht, die für Antigen-Antikörperkomplexe typisch sind. Durch diese Interaktion wird die Infektiosität des Zikavirus dann neutralisiert.
Im Gegensatz dazu erhöhte das Fab, wenn man es mit einem Denguevirus interagieren ließ, die Dynamik der Partikel. Bei hohen Fab-Konzentrationen konnte man in der Kryo-EM erkennen, dass durch die Interaktion des Antikörpers mit diesem Virus die Viruspartikel nicht stabilisiert, sondern »verzerrt« werden. Das deutet darauf hin, dass es zu Konformationsänderungen durch eine Dimerisierung der viralen E-Proteine kommt, was zu einer insgesamt erhöhten Partikeldynamik und einer Verzerrung der viralen Oberfläche führt. Einen solchen Effekt erwartet man immer dann, wenn ein breit neutralisierender Antikörper eine virusspezifische Zunahme der Dynamik ganzer Viruspartikel hervorruft.
So resümiert Dr. Ganesh Anand, der Senior-Autor der Studie, gegenüber dem Nachrichtenportal »GEN«: »In dieser Studie beschreiben wir einen neuen Mechanismus der Virusneutralisierung durch Antikörper. Bisher ging man davon aus, dass Antikörper ihre Ziele allein durch die Blockade der Oberfläche neutralisieren, sodass das Virus keinen Zugang zu seiner Zielrezeptorstelle hat. Wir haben gezeigt, dass Antikörper zusätzliche Mechanismen der Virusneutralisierung aufweisen. Sie verzerren ihre Virusziele, indem sie sich in die Oberfläche des Ziels eingraben.«
Diese neuen Erkenntnisse könnten bei der Entwicklung therapeutischer Antikörper von Nutzen sein. Denn man kann sich vorstellen, dass Antikörper, die Viren sowohl blockieren als auch verzerren können, möglicherweise eine stärkere Neutralisierungsaktivität aufweisen.
Die Autoren schlagen vor, derartige Antikörper in Form eines therapeutischen Cocktails als Nasenspray einzusetzen, um Viren dort abzufangen, wo sie zuerst in den Körper gelangen. Dabei würden möglicherweise auch geringere Antikörperkonzentrationen ausreichen, sodass ein günstigeres Preis-Leistungs-Verhältnis erzielt werden könnte, spekulieren die Autoren.
Noch dauert es allerdings, bis dieses neue Wirkprinzip den Weg in die Klinik findet. »Wir möchten gezielt virusverzerrende Antikörper entwickeln«, so Anand. damit dies jedoch gelingen kann, müssen zunächst die Regeln identifiziert werden, die die gezielte Herstellung destabilisierender und verzerrender Antikörper möglich machen.