Weniger PPI-Rezepte, aber mehr Dosen pro Patient |
Daniela Hüttemann |
10.03.2021 15:48 Uhr |
Magenentzündungen und -geschwüre sowie Sodbrennen sind Indikationen für PPI. / Foto: Getty Images/krisanapong detraphiphat
12,3 Millionen Menschen in Deutschland haben im Jahr 2019 mindestens einmal einen Protonenpumpen-Inhibitor PPI) verordnet bekommen. Das sind 1,3 Millionen Bürgerinnen und Bürger weniger als im Rekordjahr 2016, aber immer noch deutlich mehr als 2006, als nur 7,6 Millionen Patienten einen PPI erhielten. »Die hohen Verordnungsraten bleiben rein medizinisch oder demografisch nicht erklärbar«, so Dr. Ursula Marschall, leitende Medizinerin bei der Barmer. Reguläre Indikationen sind vor allem Sodbrennen, Magenentzündungen und -geschwüre; häufig werden PPI auch vorbeugend als »Magenschutz« bei der Einnahme bestimmter Medikamente wie nicht steroidaler Schmerz- und Rheumamittel verordnet, aber nicht immer wieder abgesetzt.
Den anhaltenden Rückgang seit 2016 bezeichnet die Barmer-Ärztin als »ersten Schritt in die richtige Richtung«. »Hier scheint die kritische öffentliche Debatte über PPI endlich zu wirken«, so Marschall. »Denn deren langfristiger Einsatz kann das Osteoporose-Risiko erhöhen sowie Nierenerkrankungen, Magnesiummangel und Darminfektionen fördern.« Unter dem Strich würden aber immer noch zu viele Magensäureblocker verschrieben.
Bei der genaueren Analyse der Verordnungsdaten fiel dem Barmer-Statistikteam eine gegenläufige Entwicklung auf: Einerseits bekamen die Patientinnen und Patienten pro Jahr weniger Rezepte. So sanken die Pro-Kopf-Verordnungen von 2,9 im Jahr 2006 auf 2,4 im Jahr 2019 – ein Rückgang um 17 Prozent. Allerdings sei im selben Zeitraum die Summe der pro Jahr und Kopf verordneten Tagesdosen um 100 Prozent gestiegen.
»Es scheint, dass inzwischen verstärkt die Personen Magensäureblocker verschrieben bekommen, die sie dringend benötigen«, hofft Marschall. »Dabei kann es sich zum Beispiel um Menschen mit langwierigen oder chronischen Erkrankungen handeln, die pro Rezept eine größere Menge an Magensäureblockern verordnet bekommen.« Das könne zu einer Zunahme der verordneten Tagesdosen pro Patientin oder Patient führen, weil der Bedarf für kurzdauernde oder niedrig dosierte PPI mittlerweile verstärkt durch die rezeptfreien Varianten abgedeckt würde.
Grundsätzlich steigt die Verordnungshäufigkeit ganz klar mit dem Alter. So erhielten 2019 knapp 20 Prozent der 55- bis 59-Jährigen einen PPI. Bei den 60- bis 64-Jährigen sind es 22 Prozent, bei den 65- bis 69-Jährigen 26 Prozent und bei den Über-75-Jährigen, die nicht näher ausdifferenziert wurden, weit mehr als 30 Prozent. In den letzten vier Altersklassen stieg die Verordnungshäufigkeit seit 2006 jeweils um etwas mehr als 50 Prozent.
Sorgen bereitet der Krankenkasse jedoch der Anstieg bei den Jüngeren: So stieg der Anteil unter den 10- bis 14-Jährigen von 0,42 auf 1,15 Prozent (plus 173 Prozent). Das entspricht hochgerechnet auf Deutschland rund 42.500 Kindern und Jugendlichen. Unter den 15- bis 19-Jährigen sei der Anteil sogar um 165 Prozent gestiegen, von 1,61 auf 4,27 Prozent, was mehr als 168.000 der Personen entspreche.
Bei den jungen Erwachsenen zwischen 20 und 24 Jahren lag das Plus bei 123,2 Prozent, und zwar von 2,64 auf 5,89 Prozent, also 272.000 junge Frauen und Männer. »Die Zahl junger Menschen mit PPI-Verordnungen ist zuletzt zwar leicht gesunken. Dennoch sind die Betroffenenraten nach wie vor viel zu hoch«, urteilt Medizinerin Marschall. »Ein Grund dafür könnte sein, dass sich junge Menschen häufig unter Druck fühlen, was ihnen buchstäblich auf den Magen schlägt.« In dieser Altersgruppe sei wenig bekannt über das gesteigerte Risiko für Osteoporose oder Niereninsuffizienz durch die Langzeiteinnahme der PPI.