Welches Antibiotikum bei Penicillin-Allergie? |
Die sorgfältige Dokumentation eingenommener antimikrobieller Substanzen ist für das Prinzip des Antibiotika Stewadship förderlich. / Foto: AKWL/Heck
»Eine echte sogenannte Penicillin-Allergie liegt nur bei 10 Prozent der Verdachtsfälle vor. Deshalb gilt es, die Testungen auf eine tatsächliche Überempfindlichkeit gegen Betalactame zu intensivieren«, sagte Professor Dr. Ludger Klimek, Leiter des Zentrums für Rhinologie und Allergologie, Wiesbaden, bei einer vom Ärzteverband Deutscher Allergologen (AeDA) ausgerichteten Ärzte-Fortbildung. Tatsächlich haben lediglich etwa ein Prozent der Bevölkerung und 2 Prozent der stationären Patienten eine echte Allergie gegen Betalactam-Antibiotika.
»Da so viele Patienten aufgrund einer Selbstdiagnose vermeintlich allergisch reagieren, verzichten Ärzte vorsichtshalber auf einen Einsatz und geben Antibiotika zweiter Wahl, die für die jeweilige Indikation oft weniger effektiv sind und zur Entstehung von Resistenzen beitragen. Die fälschliche Selbstdiagnose steht also dem Antibiotika Stewardship im Wege«, sagte Professor Dr. Heinrich Dickel vom Universitätsklinikum Bochum. Oft liege der Anlass für den Allergieverdacht bereits Jahre zurück, schilderte der Experte. Die Patienten könnten nicht genau angeben, wie lange die Hautveränderungen bestanden, welches Krankheitsgefühl sie hatten, ob die Schleimhaut mit betroffen war, ob es Blasen gab, wie viele Minuten oder Tage nach der Einnahme es zu den Hautveränderungen kam und ob Begleitreaktionen wie Luftnot oder Schwindel bestanden.
Aus diesem Grund ruft die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie Ärzte zur Überprüfung von Penicillin-Allergien auf und gegebenenfalls zu deren Streichung, auch als »Delabeling« bezeichnet. Mit dem DAP® Penicillin Test Kit, dem bislang einzigen in Europa zugelassenen Screening-Diagnostikum bei Betalaktam-Überempfindlichkeit, können Patienten mit Verdacht auf eine Typ-1-Allergie identifiziert werden. Es enthält Penicillinderivate und dient der Durchführung von Hautpricktests und Intrakutantests.
Bei regelmäßiger Durchführung einer entsprechenden Allergiediagnostik wären für rund 90 Prozent aller Patienten mit einer (vermuteten) Allergie andere Betalactame dennoch verfügbar. Bezogen auf den Anteil von 10 Prozent an der Gesamtbevölkerung in Deutschland könnten somit Reserveantibiotika statt bei etwa 8,3 Millionen Betroffenen nur bei rund 0,83 Millionen wirklich allergischer Patienten eingesetzt werden. Dies hätte einen positiven Einfluss auf mögliche Resistenzentwicklungen, rechnete Dickel vor.
Klimek erklärte den Grund für die allergische Reaktion: »Der Betalactam-Ring der Antibiotika ist instabil. Das führt bei den Penicillinen zur Bildung von Major- und Minor-Determinanten, die kovalent an Wirtsproteine binden, und zwar meist an Serum-Albumine.« Inzwischen sei bekannt, dass die immunologische Reaktivität bei der großen Mehrzahl der Betalactam-Antibiotika nicht gegen die zentrale Ringstruktur, sondern gegen die gruppenspezifischen Seitenketten gerichtet ist.
Das erkläre, warum bei dringendem Bedarf zum Beispiel Nicht-Aminopenicilline, Nicht-Aminocephalosporine, Azetronam oder Carbapenem der größten Gruppe der Betalactam-Allergiker in voller Dosis gegeben werden können. Das sind diejenigen, die auf ein Aminopenicillin wie Amoxicillin oder Ampicillin mit milden »gutartigen« makulopapulösen Exanthemen ohne Blasen, Pusteln und systemische Reaktionen reagieren. Das Risiko ist so gering und das resultierende Exanthem so gut behandelbar, dass bei akutem Bedarf eine Meidung nicht zu rechtfertigen wäre, erklärte Klimek. Die Kreuzallergietabelle gibt einen Überblick, welche Antibiotika-Alternativen gegeben werden können.
Bei Haut- und Weichteilinfektionen, zum Beispiel einer Wundrose, bietet sich häufig Cefazolin an, das keine verwandte Seitenkette mit anderen Betalactam-Antibiotika hat und gegen das gewünschte Keimspektrum wirkt. Bei schweren Phlegmonen, also bei sich ausbreitenden Infektionen im Unterhaut- und Bindegewebe, ist ein Carbapenem geeignet. Klimek: »Diese Gabe nichtkreuzreaktiver Betalactam-Antibiotika erlaubt zwar kein De-Labeling, ist aber bestens geeignet für Notfallsituationen.«
Die beiden Experten forderten die allergologische Abklärung aller Penicillin-Verdachtsfälle, und zwar in jeder Altersstufe und am besten innerhalb eines Jahres nach der Reaktion. Das gelte vor allem für Sofortreaktionen, weil »spezifisches IgE auf Betalaktam-Antibiotika bei einem Großteil der Patienten rasch negativ im Zeitverlauf werde. Das ist nicht gleichbedeutend mit einer Toleranz gegenüber dem Allergen, sondern erschwert die Diagnose«.
Gar nicht selten stellten sich die Allergiesymptome als Nebenwirkungen heraus. »Bei der Mehrzahl der Fälle werden pharmakologische Antibiotikanebenwirkungen, wie Übelkeit oder Durchfall, als Allergien fehlinterpretiert. Auch Virusinfektionen können Exantheme verursachen oder eine Urtikaria triggern«, sagte Klimek, der auch Präsident des AeDA ist. Der zeitliche Abstand zwischen der Arzneimitteleinnahme und den Nebenwirkungen sei ein wichtiger Hinweisgeber. »IgE-vermittelte allergische Sofortreaktionen treten innerhalb von einer Stunde (selten bis zu 6 Stunden) nach Einnahme von Betalaktam-Antibiotika auf und manifestieren sich als Urtikaria, Angioödem oder sogar Anaphylaxie bis hin zum anaphylaktischen Schock. T-Zell-vermittelte Spätreaktionen jedoch, die nach mehreren Stunden bis einigen Tagen auftreten, zeigen sich meistens als unkomplizierte makulopapulöse Exantheme.«
Was kann durch was ersetzt werden? Die Kreuzallergietabelle der Betalactam-Antibiotika gibt Auskunft. / Foto: PZ-Grafik