| Melanie Höhn |
| 26.11.2025 15:45 Uhr |
Welche Strategien für ein widerstandsfähiges Gesundheitswesen gibt es? / © Imago Images/PhotoAlto
Digitale Gesundheitsanwendungen und KI-gestützte Analysen können die Resilienz des Gesundheitssystems deutlich stärken, betonte Linea Schmidt vom Lehrstuhl für Digital Health, Economics and Policy am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam. Sie würden eine frühere Erkennung von Komplikationen ermöglichen, »aber auch insgesamt ein besseres Verständnis von Krankheitsverläufen und Behandlungspfaden«.
Digitale Lösungen sollten medizinische Expertise nicht ersetzen, sondern sie erweitern, um Versorgung vorausschauender, effizienter und stabiler zu gestalten, so Schmidt. Sie wünscht sich eine »Offenheit für neue Technologien« und eine »gute Möglichkeit, Translation zu schaffen«, um Forschungsergebnisse in die Praxis umzusetzen.
Claus Michelsen, Geschäftsführer Wirtschaftspolitik beim Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa), machte deutlich, dass Deutschlands Wirtschaft derzeit vor großen Herausforderungen stehe. Die pharmazeutische Industrie spiele jedoch eine wichtige Rolle, wenn es um die Schaffung eines souveränen Wirtschaftsstandorts in Deutschland gehe. Einerseits sichere sie mit den »Innovationen von heute die Versorgung von morgen«, andererseits passe sie »sehr gut zum industriellen Wertschöpfungsmodell in Deutschland«, so Michelsen. Für ein krisenfestes Gesundheitssystem wünscht er sich den »Mut, Dinge schnell voranzutreiben« – diese Geschwindigkeit sei eine europäische Aufgabe.
Junge Ärztinnen und Ärzte würden derzeit vielfältige Belastungen erleben: Die Krankenhausreform führe zu mehr Ambulantisierung, ohne dass ausreichende Strukturen, Räume oder Personal vorhanden seien, sagte Lena Levien aus der Arbeitsgruppe »Junge DGIM« und Ärztin in Weiterbildung im Bereich Innere Medizin/Hämatologie und Onkologie am Universitätsmedizin Göttingen. Ärztliche Weiterbildung werde zu einem Luxus, den sich nicht jede Abteilung leisten könne.
»Wir sehen die Weiterbildung als notwendigen Bestandteil im ärztlichen Versorgungssystem«, so Levien. Besonders problematisch sei die sinkende Qualität der Weiterbildung, die durch hohe Arbeitsbelastung, fehlende Zeit und mangelhafte Finanzierung gefährdet sei. Dies führe zu Frustration, Ausbildungsengpässen und Personalabwanderung.
Zudem würden Kostendruck und demografische Veränderungen die Versorgung erschweren, da ältere, multimorbide Patientinnen und Patienten komplexere Behandlungen erfordern. Der Klimawandel und neue Infektionsrisiken wie etwa multiresistenter Erreger seien zusätzliche Herausforderungen, für die oft spezialisierte Infrastruktur fehle, so Levien. Die Digitalisierung biete zwar Chancen, sei aber vielerorts noch unzureichend umgesetzt. Flexible Arbeitsmodelle seien häufig nicht umsetzbar, was die Situation weiter verschärfe. Unter der steigenden Belastung leide auch die patientennahe Medizin. Um die Zukunft der Versorgung zu sichern, brauche es bessere Strukturen und ausreichende Ressourcen, so Levien.
Die Innere Medizin befinde sich im Wandel und profitiere stark von wissenschaftlichen Fortschritten wie modernen Hormontherapien, Zell- und Gentherapien, RNA-Technologien und KI-basierten Diagnoseverfahren, sagte die Professorin Dagmar Führer-Sakel, Vorsitzende der DGIM und Direktorin der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel am Universitätsklinikum Essen. Forschung sei dafür unverzichtbar und müsse fester Bestandteil der Ausbildung und des ärztlichen Alltags bleiben. Gleichzeitig würde jungen Medizinerinnen und Medizinern oft die Zeit für wissenschaftliches Arbeiten fehlen, obwohl wissenschaftliches Denken grundlegend für eine verantwortungsvolle Patientenversorgung sei.
Die DGIM fördere daher intensiv den wissenschaftlichen Nachwuchs. Durch die Beteiligung vieler Internistinnen und Internisten an Exzellenzclustern bestehe zudem ein starkes Umfeld für Spitzenforschung. Für Führer-Sakel ist klar: Es braucht das »Bewusstsein, dass man Forschung und Wissenschaft schützen, respektieren und fördern« müsse und es nicht als »Add-on« betrachten dürfe.
Trotz Reformen und ökonomischer Steuerungsversuche wie DRGs konnten die steigenden Kosten im Gesundheitssystem bisher nicht wirksam begrenzt werden, auch weil marktwirtschaftliche Prinzipien im solidarischen System nur begrenzt funktionieren, sagte Professor Georg Ertl, Generalsekretär der DGIM, Internist und Kardiologe aus Würzburg.
»Entscheidend wird sein, dass unsere Bevölkerung und Gesellschaft ihr Vertrauen in die Medizin behält und das beruht auf der Arzt-Patienten-Beziehung – die muss gepflegt und eigentlich immer weiter verbessert werden«, so Ertl.
Eine Chance zur Effizienzsteigerung sieht er in der Digitalisierung, dem Bürokratieabbau und wissenschaftsbasierter Entscheidungsfindung. Forschung könne helfen, unnötige Maßnahmen zu identifizieren und Versorgungsprozesse zu verbessern.