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Weltraummedizin

Was macht Isolation mit unserem Nervensystem?

Im Herbst startet der neue Studiengang Weltraummedizin. Im PZ-Interview berichtet PD Dr. Alexander Stahn, was seine Studierenden lernen werden und was sich von diesem Wissen auch für extreme Umwelten auf der Erde sagen lässt. Die Bedeutung der Forschung wächst, weil es in Zukunft längere bemannte Flüge ins All geben wird und der Weltraumtourismus an Fahrt gewinnt.
AutorKontaktJennifer Evans
Datum 03.06.2024  07:00 Uhr

PZ: Ab dem Wintersemester koordinieren Sie an der Charité den neuen internationalen Masterstudiengang namens Weltraummedizin und Physiologie in extremen Umwelten. Was erwartet die ersten 14 Studierenden?

Stahn: Der Weltraum ist die extremste Umwelt, die wir kennen und ist durch unterschiedliche Stressoren gekennzeichnet. Jede einzelne Zelle unseres Körpers wird durch den Weltraum beeinflusst. Die physiologischen Anpassungen des Menschen an den Weltraum spielen eine zentrale Rolle in dem Studiengang. Aber es wird auch um andere Extremmomente gehen, die eine Belastung für den menschlichen Körper darstellen. Das Spektrum reicht von der Arbeit bei Feuerwehr oder Militär über die Auswirkungen von Schichtarbeit bis hin zu Klimaerwärmung und digitalen Medien. In all diesen Bereichen tun sich neue Fragestellungen bezüglich extremer Umwelten auf. Auf der anderen Seite stehen jene Menschen, die in den sogenannten Blauen Zonen dieser Erde leben und besonders gesund alt werden. Spannend ist für uns, in beide Richtungen zu verstehen, was eigentlich da im Körper passiert.

PZ: Um welche physischen und psychischen Phänomene geht es konkret?

Stahn: Wenn wir bei der Raumfahrt bleiben, sind die Hauptstressoren Strahlung, fehlende Schwerkraft, atmosphärische Bedingungen, Isolation und Entfernung von der Erde. Die Strahlendosis kann insbesondere bei Missionen hinter die Mondbahn zur gesundheitlichen Gefahr werden. Die Schwerelosigkeit führt zum Abbau von Muskelmasse, Knochendichte und Knorpel sowie einer Beeinträchtigung des Herz-Kreislauf-Systems. Außerdem hat sie Auswirkungen auf den Vestibularapparat, also das Gleichgewichtsorgan. Von hieraus bestehen enge Verbindungen zu einer Reihe von Hirnarealen, die auch unsere kognitiven Funktionen beeinflussen wie beispielsweise zum Hippocampus. Ein zentraler Ort für Lernen, Gedächtnisbildung und Navigation. Darüber hinaus ist der Druck in Raumanzügen bei Außenbordeinsätzen verringert. Ähnlich wie bei einem zu schnellen Auftauchen bei einem Tauchgang besteht dann ein Risiko für Dekompressionskrankheiten. Zudem könnte bei Langzeitmissionen der Kabinendruck in einer Raumstation verringert sein und eine hypoxische Umgebung erzeugen. Unter anderem kann dann die CO2 -Konzentration steigen. Die Frage ist, wie viel ist tolerabel?

Die Isolation verändert das Gehirn. Eine Crew besteht meist aus um die sechs Personen, im Alltag auf der Erde haben wir deutlich mehr soziale Kontakte und Netzwerke. Auch ein Austausch über soziale Kontakte ist im Weltall nicht ohne Weiteres möglich. So kann es bei einer Mars-Mission bis zu 45 Minuten dauern, bis eine Nachricht geschickt und die Antwort auf der Erde angekommen ist. Außerdem erzeugt der Blick aus dem Weltall auf die Erde eine besondere Verbundenheit und Vertrautheit, die bei explorativen Langzeitmissionen fehlt.

PZ: Welche Ansätze gibt es, um die Belastungen auf den Körper abzumildern?

Stahn: Das Strahlungsproblem muss in erster Linie technisch durch spezielle Abschirmungssysteme gelöst werden. Um den Bewegungsapparat und das Herz-Kreislauf-System zu stärken, sind gezielte Impulse durch körperliche Aktivität nötig. Neben Trainingsprogrammen zum Erhalt von Ausdauer und Kraft werden aktuell Untersuchungen zur Bedeutung künstlicher Gravitation durchgeführt. Dabei sind Versuchspersonen im Liegen in einer Zentrifuge einer erhöhten Beschleunigung ausgesetzt. Des Weiteren kommen spezielle Ernährungspläne zum Einsatz, um oxidativen Stress zu reduzieren und das Immunsystem zu stärken. Erst in den letzten Jahren sind die Effekte auf die Psyche sowie entsprechende Interventionsmaßnahmen in den Fokus der Forschung geraten. Insbesondere deshalb, weil zukünftige Expeditionen mehrere Jahren dauern werden, wird ihnen zunehmend Bedeutung zugeschrieben. Aktuell laufen auch eine Reihe von Forschungsvorhaben zur Nutzung virtueller Realitäten und künstlicher Intelligenz, um eine größtmögliche Immersion und Interaktion in eine virtuelle Umgebung zu unterstützen. Auch körperliches Training in virtuellen Welten hat die Wissenschaft schon unter die Lupe genommen. So haben wir in einem Forschungsprojekt in der Antarktis die Effekte eines Trainings auf einem Fahrradergometer untersucht, indem die Versuchsteilnehmenden sich in einer virtuellen Welt fortbewegen konnten. Mich treibt besonders an, was durch solche Extremsituationen von Isolation beziehungsweise räumlicher Enge mit unserem Nervensystem und unserem Verhalten passiert.

PZ: Gibt es dazu schon Erkenntnisse?

Stahn: Natürlich ist das eine sehr individuelle Angelegenheit, wie gut wer wie lange einen solchen Zustand ertragen oder kompensieren kann. Doch wenn ein Mensch leidet, kann das zu strukturellen und funktionellen Veränderungen des Nervensystems führen. Diese Effekte sind auch messbar. Dazu zählen Anpassungen unserer weißen und grauen Substanz im Gehirn und seiner neuronalen Signaturen. Hierfür nutzen wir bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomografie (MRT) oder auch ein Elektroenzephalogramm (EEG). Ablesbar wäre eine Belastung auch mittels Biomarkern wie neurotrophe Faktoren, Wachstumshormonen und Zytokinen oder bestimmten Stressmarkern wie eine erhöhte Cortisol-Konzentration. Unterscheiden müssen wir grundsätzlich zwischen langfristigen Adaptationen und akuten Anpassungen. Wir können mittlerweile mikrostrukturelle Veränderungen bereits innerhalb weniger Stunden erfassen. So ließ sich in einem Parabelflug nach kurzzeitiger Schwerelosigkeit bereits eine Verringerung der funktionellen Konnektivität im Gehirns beobachten. Allerdings wissen wir noch nicht, was solche kurzzeitigen Anpassungen eigentlich bedeuten.

PZ: Welche Erkenntnisse lassen sich auf die Erde übertragen?

Stahn: Auch auf der Erde gibt es außergewöhnliche Belastungen durch Temperaturen, Druck oder Reizarmut. Die Erforschung dieser Gegebenheiten und ihr Einfluss auf den Menschen helfen nicht nur, Expeditionen ins Hochgebirge oder die Arbeit der Feuerwehr sicherer zu gestalten, sondern liefern auch Erkenntnisse zum besseren Umgang mit Hitzewellen, Bewegungsarmut oder Einsamkeit. Die nötigen Simulationsszenarien lassen sich dann auf der Erde überprüfen, etwa durch Isolationsstudien, Parabelflüge, Bettruheexperimente, Klimakammern oder Expeditionen in extremen Umwelten. Zum einen ermöglichen die Extrembedingungen ein besseres Verständnis der Anpassungsmechanismen des menschlichen Organismus. Zum anderen erfordern sie eine kontinuierliche Weiterentwicklung an methodischen Ansätzen und Messinstrumenten. Gleichzeitig ergeben sich Möglichkeiten innovativer Interventionsmaßnahmen, wie beispielsweise neue Trainingsmethoden und -geräte. Im Idealfall werden diese Entwicklungen in die Prävention und Klinik transferiert und tragen zu neuen Erkenntnissen und Fragestellungen in der Grundlagenforschung bei.

PZ: Was erhoffen Sie sich von den ersten Studierenden der Weltraummedizin?

Stahn: Ich wünsche mir vor allem, dass aus dem neuen Studiengang Generationen von Absolventinnen und Absolventen hervorgehen, die später in den unterschiedlichsten Bereichen extremer Umwelten tätig sein können. Ich denke an den Klimawandel, Hitzeschutz, Global Health, Feuerwehr, Polizei und Militär, extreme Expeditionen, die den Menschen an seine Grenzen bringen, oder auch auch explorative Langzeitmissionen und Weltraumtourismus. Bei Letzterem ist die Nachfrage schon jetzt weitaus größer als die Kapazitäten. In diesem Sektor müssen privatwirtschaftliche Unternehmen in jedem Fall Experten engagieren, damit insbesondere Menschen mit Vorerkrankungen gesund ins All reisen können und auch wieder heil auf der Erde landen.

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