Was im Gehirn passiert, wenn wir sterben |
Eine andere Studie zeigte bereits 2013 ähnliche Ergebnisse, nur dass diese Veränderungen der γ-Wellen bei Ratten auftraten (DOI: 10.1073/pnas.1308285110). Die Autoren der aktuellen Studie deuten dies als Möglichkeit, dass das Gehirn beim Sterben eine biologische Reaktion ausführe, die bei allen Arten gleich sein könnte. Allerdings beruhe ihre Studie auf einem einzigen Patienten, dessen Gehirn verletzt war und der zudem epileptische Anfälle erlitten hatte: »Solche epileptischen Aktivitäten bedeuten, dass die Hirnelektrik richtig durchgeschüttelt wird«, merkt Erbguth an. Hieraus Folgerungen auf das unverletzte sterbende Hirn zu ziehen, sei schwierig.
Insgesamt liefere die Studie eine weitere Facette für das Wissen zum sterbenden Gehirn, das allerdings schon jetzt umfassend sei: Steht der Blutkreislauf still, stellt das Gehirn die Kommunikation zwischen den Nervenzellen ein, bestimmte Rhythmen der Hirnelektrik verschieben sich, die Zellen haben noch einmal einen elektrischen Output. Dass dieser in Form einer sich ausbreitenden Entladungswelle passiert, beschrieben deutsche und US-Neurologen schon 2018 im Journal »Annals of Neurology« (DOI: 10.1002/ana.25147).
Die Aufmerksamkeit, die solche Studien regelmäßig bekommen, erklärt Erbguth damit, dass sie versprächen, einen Blick hinter den Vorhang des Todes zu werfen: »Doch alles, was wir uns anschauen, spielt sich vor dem Vorhang ab.« Selbst Menschen mit Nahtoderfahrungen seien dem Tod eben nur nahe gewesen.
Nichtsdestotrotz beinhaltet die aktuelle Studie für den Neurochirurgen Zemmar Hoffnung für Angehörige: »Was wir aus dieser Forschung lernen können ist: Auch wenn unsere Lieben ihre Augen geschlossen haben und bereit sind, zur Ruhe zu kommen, spielt ihr Gehirn vielleicht noch einmal einige der schönsten Momente ab, die sie erlebt haben.«
Neurologe Erbguth formuliert nüchterner: »Unser Gehirn ist zumindest in der Lage, noch einmal Bilder zu produzieren.« Das zeigten Nahtodberichte. Es sei legitim, diese Fähigkeit auch für das tatsächlich sterbende Hirn anzunehmen. Allerdings hätten Studien aus der Reanimationsmedizin ergeben, dass zwar zwei Drittel der Menschen mit einer Nahtoderfahrung angenehme Bilder sahen, aber ein Drittel berichtete von schlimmen Szenen. »Ich wäre zufrieden, wenn das Hinübergehen in den Tod von schönen Erlebnissen begleitet wird«, so Erbguth. »Ich fürchte aber, dass man das nicht in der Hand hat.«