Was Brustkrebsgene bei Männern bedeuten |
Auch Männer können an Brustkrebs erkranken. Bei Trägern der Risikogene BRCA1 und BRCA2 ist zusätzlich das Risiko für Prostata- und Pankreaskrebs erhöht. / © Getty Images/Igor Alecsander
Bei Brustkrebs denken die meisten automatisch an Frauen. Häufig bleibt unbeachtet, dass auch Männer an dieser Krebsart erkranken können. Ein Großteil dieser Patienten sind Träger von Mutationen in den Risikogenen BRCA1 und BRCA2, die sogar nach der Erkrankung (Breast Cancer) benannt sind.
Die Gene BRCA1 und BRCA2 beziehungsweise die von ihnen codierten Proteine sind Reparaturhelfer für das Erbgut. Sie sorgen zusammen mit dem Protein BRCA3 dafür, dass Doppelstrangbrüche in der DNA repariert werden. Wenn diese Gene mutiert sind und daher keine funktionsfähigen Proteine gebildet werden, kann das Reparatursystem nicht richtig arbeiten. In der DNA häufen sich dann Fehler an und das Risiko für bestimmte Krebserkrankungen steigt. Solche Loss-of-Function-Mutationen kommen bei einem von 250 Menschen in der Bevölkerung vor.
Dem Krebsinformationsdienst (KID) zufolge gelten BRCA1 und BRCA2 als Hochrisiko-Gene – sie sind bei familiärem Brustkrebs am häufigsten mutiert. Etwa 70 Prozent der Frauen mit einer BRCA1- oder BRCA2-Genveränderung erkranken bis zu ihrem 80. Lebensjahr an Brustkrebs. Auch das Risiko für Eierstockkrebs ist erhöht: An dieser Krebsform erkranken etwa 45 Prozent der Mutationsträgerinnen. Zudem erhöhen die Mutationen auch das Risiko für Pankreaskrebs. Für Frauen, die eine solche Genveränderung haben, wurden spezifische Leitlinien entwickelt, um das Krebsrisiko durch engmaschige Kontrollen oder prophylaktische Operationen zu senken.
Menschen mit Mutationen in den Risikogenen BRCA1 und BRCA2 haben ein erhöhtes Risiko, in jungen Jahren bestimmte Krebsarten zu entwickeln. Wenn sich in der Familie solche Fälle häufen, sollten auch Männer hellhörig werden und eine genetische Testung in Erwägung ziehen. / © Getty Images/Uwe Krejci
In Familien mit familiärem Brustkrebs haben Männer das gleiche Risiko, eine BRCA1/2-Genmutation zu tragen wie Frauen. Bei ihnen sind die Risiken vor allem für Prostata-, Pankreas- und Brustkrebs erhöht. Dies findet jedoch selbst in Fachkreisen noch zu wenig Beachtung, wie der Betroffene Heinz N. im Gespräch mit der PZ bestätigte: »Meine Hausärztin hatte von diesem Gen noch nie gehört.« Weil es in seiner Familie eine auffällige Häufig von frühen Krebstodesfällen gegeben hatte und er von der Existenz der Risikogene wusste, wendete er sich mit seinem Verdacht daher direkt an das Zentrum für Familiären Brust- und Eierstockkrebs (FBREK) der Universitätsmedizin Heidelberg. Dort wurde bei ihm eine BRCA2-Mutation nachgewiesen.
Wie wirken sich die Mutationen bei Männern genau aus? Laut einem Review von Autoren um Dr. Heather Cheng von der University of Washington, der 2024 im Fachjournal »JAMA Oncology« erschien, erhöhen Mutationen im BRCA2-Gen die Risiken stärker als Mutationen im BRCA1-Gen. So haben männliche Träger von BRCA2-Varianten im Vergleich zu Nichtträgern ein 4,7- bis 8,6-fach erhöhtes Risiko, an Prostatakrebs zu erkranken – das Lebenszeitrisiko liegt bei 60 Prozent. Eine BRCA1-Mutation erhöht das Prostatakrebsrisiko bis zu 3,8-fach und das Lebenszeitrisiko liegt bei etwa 15 bis 45 Prozent. Zudem gebe es Hinweise, dass die BRCA1/2-Genmutationsträger eher an aggressiveren Formen von Prostatakrebs erkranken.
Beim Bauchspeicheldrüsenkrebs ist die Situation ähnlich: Hier haben Träger von BRCA2-Varianten ein im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung 3,0- bis 7,8-fach erhöhtes Erkrankungsrisiko (Lebenszeitrisiko 7 Prozent) und Träger von BRCA1-Varianten ein 1,9-fach erhöhtes Risiko (Lebenszeitrisiko 3 Prozent). Insbesondere nach dem 50. Lebensjahr steigt das Risiko für Pankreaskrebs bei Trägern von BRCA1/2-Mutationen deutlich an.
An Brustkrebs erkranken Männer insgesamt selten – die Lebenszeitinzidenz liegt bei 1 von 833 (etwa 0,12 Prozent). Bei männlichen Trägern von BRCA2-Varianten steigt das Lebenszeitrisiko auf 7 bis 9 Prozent an, bei BRCA1-Trägern auf bis zu 1,2 Prozent. Die Datenlage sei begrenzt, weise aber auf ein jüngeres Diagnosealter, einen höheren Tumorgrad, ein erhöhtes Risiko für axillären Lymphknotenbefall und eine potenziell verringerte Überlebensrate bei männlichen BRCA-Genmutationsträgern hin, heißt es in dem Review.
Darüber hinaus könnten BRCA-Mutationen das Risiko für Magenkrebs erhöhen, wenn eine Besiedelung mit dem Bakterium Helicobacter pylori vorliegt. Ein Zusammenhang mit Kolonkrebs und Hautkrebs wurde diskutiert, bisher aber nicht bestätigt.
Ob eine BRCA-Mutation vorliegt, lässt sich mithilfe eines Gentests ermitteln, der das Erbgut von Blutzellen aus Blutproben analysiert. »Die Analyse dauert etwa 14 Tage«, berichtet Heinz N. Die Kosten der Untersuchung würden bei entsprechender Familienanamnese von der Krankenkasse übernommen. Allerdings werden Männer deutlich seltener getestet als Frauen: Laut dem Review wird etwa jede zweite Frau mit Brustkrebs auf die BRCA-Gene getestet, aber nur 1 Prozent der Männer mit Prostatakrebs.
Ein Test kann für Männer sinnvoll sein, wenn eine familiäre pathogene BRCA1/2-Variante bereits bekannt ist oder wenn in der Familienanamnese bestimmte Konstellationen von Krebserkrankungen vorliegen. Hierzu zählen etwa Fälle von Brustkrebs bei Männern, zwei Fälle von Bauchspeicheldrüsenkrebs auf einer Familienseite oder ein Fall von lokal begrenztem Prostatakrebs mit hohem Risiko in der Familie. Zudem gelten gehäufte Brustkrebsfälle bei Frauen (drei und mehr), frühe Brustkrebserkrankungen (vor dem 50. Lebensjahr diagnostiziert) sowie Eierstockkrebs bei nahen weiblichen Verwandten als ein Hinweis, dass eine Testung sinnvoll sein kann. Außerdem kann ein Gentest auf BRCA-Mutationen bei Männern sinnvoll sein, die selbst an Brustkrebs, Pankreaskrebs oder einem aggressiven Prostatakarzinom erkrankt sind.
Auch für Männer ist das Wissen um eine BRCA-Mutation wichtig. Denn wer sein Risiko kennt, kann sich regelmäßig untersuchen lassen, frühzeitig handeln und auch seine Kinder und Verwandten informieren. Die Mutation wird geschlechtsunabhängig vererbt – die BRCA-Gene liegen auf Chromosom 17.
»Ich will mein Risiko kennen«, bestätigt Heinz N. Dass manche Menschen in dieser Situation es vorziehen, sich nicht testen zu lassen, kann er nicht nachvollziehen: »Das finde ich leichtsinnig. Jeder weiß doch, dass ein früh erkannter Tumor besser behandelbar ist als ein fortgeschrittener.« Seit er um seinen Status als Träger des Risikogens weiß, geht er regelmäßig zum Brustkrebsscreening beim Frauenarzt – wobei er sich dort als Mann »die Termine erkämpfen« müsse.
Das US-amerikanische National Comprehensive Cancer Network empfiehlt in seinen Leitlinien männlichen Trägern von pathogenen BRCA-Mutationen die regelmäßige Selbstuntersuchung der Brust ab dem 35. Lebensjahr. Bei Auffälligkeiten (wie Rötungen, Schwellungen oder Knoten) sollte zeitnah eine gynäkologische Mitbeurteilung erfolgen.
Zur Früherkennung von Pankreaskarzinomen gilt: BRCA-Mutationsträger sollten intensiviert überwacht werden durch regelmäßige bildgebende Untersuchungen der Bauchspeicheldrüse. Ähnliches gilt auch für das Prostatakarzinom. Hier kann eine jährliche digital-rektale Tastuntersuchung der Prostata und Bestimmung des Wertes des Prostata-spezifischen Antigens (PSA) ab dem 40. Lebensjahr erwogen werden. Zudem sollten auch weitere gesetzliche Krebsfrüherkennungsmaßnahmen etwa auf Haut- oder Darmkrebs regelmäßig wahrgenommen werden.
Noch bekommen deutlich weniger Männer als Frauen eine BRCA-Gentestung angeboten. Dabei hilft die Identifizierung von mehr männlichen Trägern dabei, den Mutationsträgern selbst ein gezieltes Risikomanagement anzubieten und gleichzeitig weitere Risikopersonen in ihren Familien zu identifizieren. Das kann die Belastung durch erblichen Krebs verringern.
»Mir war es wichtig, meinen Status zu kennen, weil das auch Auswirkungen auf meine Kinder hat«, bestätigt Heinz N. Seine Tochter, die das Risikogen geerbt hat, geht nun bereits mit Anfang 20 regelmäßig zum Brustkrebsscreening. Die Ärzte hätten ihr geraten, nach abgeschlossener Familienplanung das Brustgewebe entfernen zu lassen und nach der Menopause die Eierstöcke. All das sei natürlich nichts, was man sich wünscht. Doch könne man mit den Risiken umgehen – wenn man sie kennt. Die Ärzte des spezialisierten Zentrums betreuten ihre Patienten »hochempathisch und äußerst kompetent«.