Was Bewegung mit dem Körper macht |
| Christina Hohmann-Jeddi |
| 28.06.2024 09:00 Uhr |
Bewegung stellt für den Muskel Stress dar – auf mechanischer, hormoneller und metabolischer Ebene. / Foto: Getty Images/ Willie B. Thomas
Sport wirkt sich auf verschiedene Weisen positiv auf die Gesundheit aus, senkt etwa das Herz-Kreislauf- und das Krebsrisiko, verbessert das psychische Wohlbefinden und beugt Demenzen vor. Das ist schon seit Langem bekannt und gut belegt. Noch nicht gut verstanden ist, wie diese positiven Effekte physiologisch zustande kommen. Was passiert genau im Körper, wenn man Sport macht?
Körperliche Bewegung setzt im ganzen Körper eine Reihe von Prozessen in Gang, die vor allem darauf abzielen, sich an den Stressor Bewegung für die Zukunft besser anzupassen. Denn Bewegung stellt für den Muskel Stress dar – auf mechanischer, hormoneller und metabolischer Ebene. Wenn sich Skelettmuskeln bewegen, schieben sich Aktin- und Myosin-Filamente der Muskelzellen ineinander, wofür sehr viel Energie in Form von ATP benötigt wird. Bei anhaltender Bewegung wird die in Muskelzellen gespeicherte Energie sowie der Sauerstoff verbraucht und die ATP-Bildung an den Mitochondrien gesteigert, wodurch vermehrt freie Radikale entstehen.
Die Zellen nehmen diese Stressoren wie Sauerstoffmangel und oxidativen Stress wahr und reagieren mit einer Reihe an molekularen Veränderungen, die den Muskel an künftige Belastungen anpassen sollen. Wichtige Rollen spielen dabei die Proteine PGC-1α (Peroxisom proliferator-activated receptor Gamma Coactivator-1alpha) und Nrf2 (Nuclear factor erythroid 2-related factor 2), deren Spiegel durch körperliches Training steigen. Sie regulieren jeweils mehrere Schlüsselgene in der Skelettmuskulatur und sorgen schließlich dafür, dass die Mitochondriendichte und Atmungskapazität ansteigen und der Ausstoß schädlicher Stoffwechselprodukte sinkt.
Der Anpassungsprozess führt auch dazu, dass in den Muskelzellen vermehrt Muskelprotein gebildet wird und sich die sogenannten Satellitenzellen im Skelettmuskel teilen, um weitere Muskelzellen zu bilden – die Muskelmasse nimmt zu.
Aber nicht nur der Skelettmuskel selbst verändert sich, auch in anderen Organen wie dem Herz-Kreislauf-System, dem Gehirn oder der Leber werden durch körperliche Aktivität Prozesse angestoßen. Hierfür sind vor allem Botenstoffe verantwortlich, die durch Muskelbewegung aus verschiedenen Organen freigesetzt werden, die sogenannten Exerkine. Einen Überblick über diese chemisch heterogene Gruppe, die Proteine, RNA-Moleküle, Lipide und Stoffwechselprodukte umfasst, geben David Walzik von der Technischen Universität Dortmund und Kollegen von der Universität Göttingen in einer aktuellen Publikation im Fachjournal »Signal Transduction and Targeted Therapy«.
Die bekannteste Gruppe der Exerkine sind die Myokine, die vom Skelettmuskel gebildet und freigesetzt werden. Über diese Botenstoffe kommunizieren die Muskeln mit anderen Organen und Geweben, etwa dem Gehirn, der Bauchspeicheldrüse und dem Fettgewebe und beeinflussen in diesen den Stoffwechsel. Mehrere Hundert dieser Myokine wurden bereits entdeckt. Zu ihnen zählen eine ganze Reihe von Zytokinen wie Interleukin-6 (IL-6) sowie IL-4, IL-7 und IL-15, aber auch Hormone wie Irisin, Musclin und Myostatin.
IL-6 ist das klassische Beispiel eines Myokins und der erste entdeckte Muskel-Botenstoff überhaupt. Sein Spiegel steigt durch Muskelkontraktionen um etwa den Faktor 100 an. Der Botenstoff verstärkt im Muskelgewebe die Glukoseaufnahme und die Lipolyse und ändert auch in Fettzellen den Fettstoffwechsel und sorgt für ein Bräunen der Adipozyten. Gleichzeitig bewirkt es einen Muskelaufbau. Auch andere Myokine regulieren den Muskelaufbau, den Glucose- und Fettstoffwechsel oder wirken antiinflammatorisch.
Alle Exerkine werden auf einen bestimmten Reiz hin gebildet und ausgeschüttet – etwa über Kalzium-abhängige Mechanismen, durch Hypoxie in den Muskelzellen, Änderungen des intrazellulären pH-Werts oder durch Scherkräfte, die bei dem durch körperliche Aktivität erhöhten Blutfluss in den Blutgefäßen entstehen. Letzteres führt etwa zur Ausschüttung des vaskulären endothelialen Wachstumsfaktors (VEGF), der die Angiogenese verstärkt und damit die Durchblutung verbessert.
Ein besonderes Exerkin ist das Lactat, das bisher als Abfallprodukt der Glykolyse mit schädlichem Effekt auf die Muskelphysiologie galt. Zunehmend wird aber klar, dass es nicht nur eine eigene Energiereserve darstellt, sondern auch wichtige Signalfunktionen hat – und zwar rezeptorvermittelte und rezeptorunabhängige. In das Blutsystem entlassen wirkt es unter anderem immunregulatorisch und antiinflammatorisch, verbessert die Wundheilung und die körperliche Leistungsfähigkeit und interagiert mit der Darmmikrobiota.
Einige Exerkine gelangen auch in das Gehirn und sorgen dort für die bekannten positiven Effekte auf die Stimmung, das Stresslevel und die Kognition. So können Lactat, Irisin und der Wachstumsfaktor BDNF die Blut-Hirn-Schranke überwinden. Letzterer schützt nicht nur bestehende Nervenzellen und Synapsen, sondern fördert auch deren Neubildung und Wachstum. Irisin fördert wiederum die BDNF-Freisetzung im ZNS selbst und Lactat die Gefäßneubildung.
Angesichts der positiven Effekte, die Exerkine im ganzen Körper bewirken, sei es wichtig, ihr Rolle noch besser zu erforschen, schreibt das Team um Walzik. Wichtige Signalwege, die die Botenstoffe in den einzelnen Organen aktivieren, seien schon bekannt, aber die Verteilung ihrer Rezeptoren auf unterschiedlichen Geweben, ihre Freisetzung und ihre Wirkungen müssten noch genauer untersucht werden, um die molekularen Grundlagen von Sport als Medizin zu verstehen.
Diese Erkenntnisse können auch genutzt werden, um Wirkstoffe zu entwickeln, die den Effekt von Sport nachahmen. An solchen Sportmimetika wie beispielsweise einem IL-15-Agonist oder einem small molecule IC7Fc, das an den IL-6-Rezeptor bindet, wird schon seit Längerem gearbeitet. Diese Substanzen könnten therapeutisch bei Menschen eingesetzt werden, die wegen Alter, Behinderung oder Erkrankung keinen Sport treiben können.