Was bedeutet Joe Bidens Diagnose? |
Christina Hohmann-Jeddi |
21.05.2025 16:16 Uhr |
Ex-US-Präsident Joe Biden hatte aufgrund von Beschwerden beim Wasserlassen medizinische Hilfe gesucht. Das daraufhin diagnostizierte Prostatakarzinom hat bereits Metastasen im Knochen gebildet und ist damit nicht mehr heilbar. / © Imago/Zuma Wire
Vergangene Woche gab der ehemalige US-Präsident Joe Biden bekannt, dass er an einem Prostatakarzinom erkrankt ist. Wie sein Büro mitteilte, wurde bei ihm ein neuer Prostataknoten entdeckt, nachdem er aufgrund von Beschwerden beim Wasserlassen medizinische Hilfe gesucht hatte. »Am Freitag wurde bei ihm Prostatakrebs mit einem Gleason-Score von 9 (Grad 5) und Metastasen in den Knochen diagnostiziert«, teilte das Büro mit. Das ist ein Hinweis auf eine der gefährlichsten und am schnellsten wachsenden Krebsformen.
Bei erhärtetem Verdacht auf Prostatakrebs wird eine Biopsie durchgeführt. »Wenn eine diagnostische Biopsie entnommen wird, schaut sich der Arzt in der Pathologie das Ergebnis unter dem Mikroskop an«, erklärt Professor Dr. Suneil Jain von der Queen’s University Belfast in Irland gegenüber dem britischen »Science Media Center«.
Das Gewebe wird dann je nach Differenzierungsgrad des Drüsengewebes in verschiedene Gleason-Gruppen unterteilt, die von Grad 1 (gut differenziert) bis Grad fünf (polymorphe Tumorzellen) reichen. Dabei werden das häufigste und das am meisten entdifferenzierte Muster zusammengezählt. Dadurch wird Berücksichtigt, dass Biopsien nicht das gesamte Organ abdecken können. »Der am wenigsten aggressive Prostatakrebs hat den Gleason-Wert 6, der aggressivste den Gleason-Wert 10. Alles, was einen Wert von 8 oder höher hat, gilt als hohes Risiko«, sagt Jain.
Zudem hat der Prostatakrebs bei Biden bereits Metastasen in den Knochen gebildet. Dies bedeutet, dass die Erkrankung erst spät diagnostiziert wurde. »Wenn sich der Krebs über das Becken hinaus auf andere Körperteile ausgebreitet hat, bedeutet dies leider oft, dass der Krebs nicht mehr heilbar ist«, sagt Jain. »Aber es ist wichtig zu wissen, dass er mit den Verbesserungen in der Therapie von Prostatakrebs viele Jahre lang kontrolliert werden kann.«
Trotz der fortgeschrittenen Diagnose gibt es Behandlungsmöglichkeiten. Bidens Krebs gilt als hormonsensitiv, was bedeutet, dass er auf Hormontherapien ansprechen kann. Diese werden oft mit weiteren Therapien wie Chemotherapie, zielgerichteten Medikamenten und knochenschützenden Arzneien kombiniert.
Frühe Stadien des Prostatakrebses verlaufen häufig symptomlos. Mögliche Warnzeichen sind häufiges nächtliches Wasserlassen, Probleme beim Urinieren sowie Schmerzen im Rücken oder Becken. Jain erklärt: »Manche Männer leiden unter fortschreitenden Harnwegsbeschwerden oder Erektionsstörungen. Andere leiden unter Knochenschmerzen, Knochenbrüchen, Gewichtsverlust oder Nierenversagen. Einige Männer haben nur wenige Symptome, und der Krebs wird bei einem routinemäßigen PSA-Test entdeckt.«
Prostatakrebs ist weltweit die zweithäufigste Krebserkrankung bei Männern, vor allem jenseits des 50. Lebensjahres. Laut Daten des World Cancer Research Fund traten im Jahr 2022 etwa 1,47 Millionen Neuerkrankungen weltweit auf. Fast 400.000 Männer starben an der Erkrankung. Die meisten Todesfälle traten in China, den USA und in Brasilien auf.
»Prostatakrebs ist ein häufiges Karzinom«, sagte Professor Dr. Maurice Stephan Michel, Direktor der Klinik für Urologie und Urochirurgie an der Uniklinik Mannheim, kürzlich beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) in Wiesbaden. In Deutschland entwickelten pro Jahr etwa 65.000 Männer ein Karzinom der Vorsteherdrüse, etwa 15.000 sterben an der Krebserkrankung – vor allem, wenn diese metastasiert. Ein metastasiertes Prostatakarzinom sei dank neuer Arzneimittel zwar inzwischen besser zu therapieren, dennoch bleibe es eine palliative Erkrankung, also nicht heilbar.
Je früher ein Karzinom gefunden wird, desto besser ist es in der Regel zu therapieren. Das sei am Beispiel USA zu erkennen: Dort stoppte man 2012 das PSA-Screening, bei dem die Konzentration des prostataspezifischen Antigens (PSA) im Blut Rückschlüsse auf das Erkrankungsrisiko zulässt, berichtete Michel. In der Folge stieg der Anteil von aggressiveren Karzinomen bei Diagnose und der Anteil an Patienten mit Metastasen in den Lymphknoten.
Dass das PSA-Screening einen Effekt hat, zeige die europäische ERSPC-Studie, bei der durch das Screening die prostatakarzinombedingte Mortalität deutlich gesenkt werden konnte. Das Hauptproblem in Deutschland sei, dass das Prostatakarzinom-Screening schlecht angenommen werde – im Wesentlichen durch die digitale rektale Untersuchung (DRU) (Tastuntersuchung im Enddarm). Die Beteiligung liege nur bei knapp über 20 Prozent, so Michel.
Die Rate der falsch-positiven Ergebnisse liege bei der Tastuntersuchung so hoch, dass sie aktuell nicht mehr empfohlen wird. Dies ist auch in der überarbeiteten interdisziplinären S3-Leitlinie Prostatakarzinom so enthalten, die kürzlich als Konsultationsfassung veröffentlicht wurde. Ihr zufolge sollen Männer ab 45 Jahren zu der Erkrankung beraten werden. Wenn diese eine Früherkennungs-Untersuchung wünschen, soll der Arzt ihnen den PSA-Test anbieten.
In Deutschland hätten nach aktuellen Daten immer noch rund 10 Prozent der Patienten, die diagnostiziert werden, bereits ein metastasiertes Stadium haben, so der Urologe. Von den Neuerungen in der Früherkennung verspreche man sich über die Jahre eine Reduktion der Mortalität und der Metastasierungen.