Was bedeutet der Kaschmir-Konflikt für Generika |
Alexandra Amanatidou |
09.05.2025 14:00 Uhr |
Was ein Krieg zwischen Indien und Pakistan für die Arzneimittelversorgung in Deutschland und Europa bedeuten würde. / © Imago/Basit Zargar/Middle East Images
Indien greift Flugabwehr und »terroristische Infrastruktur« in Pakistan an. Nach Angaben der pakistanischen Regierung seien mindestens 31 Menschen dabei ums Leben gekommen. Der Konflikt eskaliert, weil Indien Pakistan vorwirft, Terroristen zu unterstützen. Diese hatten vor zwei Wochen im Touristenort Pahalgam in Kaschmir 26 Menschen getötet. Augenzeugen zufolge, hatten die Terroristen die Opfer nach ihrer Religion gefragt und gezielt Hindus erschossen. Pakistan bestreitet jede Beteiligung.
Sowohl Indien als auch Pakistan erheben seit 1947 Anspruch auf die Region Kaschmir. Sie kontrollieren heute jeweils einen Teil der Region. Um Kaschmir haben Indien und Pakistan zwei Kriege geführt, immer wieder kommt es in der Region zu Gefechten, zuletzt 2019.
Sollte der Konflikt zwischen den beiden Atomkräften zu einem großen Krieg eskalieren, hätte dies nicht nur unabsehbare Folgen für die Region, sondern auch für die Arzneimittelversorgung in Deutschland und der Europäischen Union. Denn Indien ist der weltweit größte Produzent von Generika.
Nicht umsonst wird Indien auch als »die Apotheke der Welt« bezeichnet. Nach Angaben des India Brand Equity Foundation (IBEF), einer Initiative des indischen Handels- und Industrieministeriums, beliefen sich die Exporte indischer Pharmaprodukte im Jahr 2024 auf 27,8 Milliarden US-Dollar, umgerechnet 24,76 Milliarden Euro. Das Land habe einen Anteil von 20 Prozent an der weltweiten Generika-Produktion und rund 60 Prozent an den weltweiten Impfstoffen.
Der größte Teil der indischen Exporte geht in die USA (32,76 Prozent). Zu den größten Importeuren gehören auch europäische Länder wie Frankreich (2,45 Prozent), die Niederlande (2,10 Prozent) und Deutschland (2,01 Prozent). Mehr als zwei Drittel der in Deutschland eingenommenen Generika stammen aus Asien, 41 Prozent aus Indien. Das geht aus einer Studie aus dem Jahr 2020 hervor, die das Beratungsunternehmen MundiCare im Auftrag von Pro Generika erstellte.
Laut IBEF umfasst die indische Pharmaindustrie ein Netzwerk von 3.000 Arzneimittelherstellern und rund 10.500 Produktionseinheiten. Auch deutsche Chemie- und Pharmaunternehmen sind in Indien aktiv. Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) berichtet in seinem Länderbericht vom September 2024 von Direktinvestitionen deutscher Unternehmen in Höhe von rund 2,1 Milliarden Euro im Jahr 2022. Auch Tochterunternehmen erwirtschaften 2022 einen Umsatz von 6,3 Milliarden Euro, so VCI.
»Derzeit ist es zu früh um zu ermessen, wie sich ein möglicherweise eskalierender Konflikt zwischen Indien und Pakistan auf unsere Versorgung mit Generika auswirken wird«, sagt Bork Bretthauer, Geschäftsführer des Verbandes Pro Generika gegenüber der PZ. Deutschland und die EU seien als Folge des massiven Preisdrucks auf Generika in hohem Maße abhängig von Asien. »Die Lieferketten reichen über den gesamten Globus und jede Störung kann unsere Versorgung beeinträchtigen«, sagt Bretthauer und mahnt: »Lieferketten müssen diversifizierter sein.«
Obwohl viele Unternehmen im Süden Indiens angesiedelt sind, gibt es auch einige Pharmaunternehmen wie Zydus Lifesciences und Torrent Pharmaceuticals, die im Norden ihren Sitz haben. Im Falle eines Krieges, der die gesamte indische Wirtschaft betreffen würde, »würde es bei einer Beeinträchtigung der Generika-Produktion sicher auch uns in Europa betreffen«, sagt Andreas Wiegand von der Nichtregierungsorganisation »Apotheker helfen« gegenüber der PZ.
Auf die Frage, welche Folgen der Krieg für Entwicklungsländer haben könnte, die stärker auf Generika aus Indien angewiesen sind, antwortet Wiegand: »Arme Menschen trifft es sicher umso härter, wenn Versorgungsketten ins Stocken geraten«.
Was diesen Konflikt besonders kritisch macht, ist das die indische Regierung den seit 1960 bestehenden Indus-Wasservertrag mit Pakistan ausgesetzt hat. Dieser reguliert die Wassernutzung des Flusses Indus und seiner Nebenflüsse zwischen den beiden Ländern. Indien droht sogar damit, den Wasserfluss über die gemeinsame Grenze zu stoppen. Für Pakistan wäre ein solcher Schritt fatal, denn das Land kämpft seit Jahren mit Wasserknappheit. Die Regierung in Islamabad hatte angekündigt, einen solchen Schritt als »Kriegsakt« zu werten.
Außerdem ordnete Indien die Ausweisung aller pakistanischen Staatsbürger an. Im Gegenzug erklärte die pakistanische Regierung mehrere indische Diplomaten zu unerwünschten Personen, die das Land unverzüglich zu verlassen hätten.
Experten sind sich weitgehend einig, dass beide Länder kein Interesse an einer Eskalation haben. Vorerst ist allerdings kein Ende in Sicht.