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Verzweifelte Patienten

Was Apotheker über Long Covid wissen sollten

Es gibt derzeit noch kaum verlässliche Angaben zur Zahl der durch Long- oder Post-Covid erkrankten beziehungsweise gefährdeten Menschen. Die Entwicklungen sind von einer großen Dynamik geprägt. Sicher ist: Selbst nach asymptomatischen, milden und moderaten Infektionen sind viele Frauen, Männer und Kinder zwar genesen, aber nicht gesund.
Christiane Berg
11.02.2022  16:00 Uhr

Ob Fatigue, Atem- und Denkstörungen sowie Muskel-, Kopf- und Gelenkschmerzen oder aber Schwindel und Herzrasen beziehungsweise Ängste und Depressionen: Selbst bei Patienten mit milden bis moderaten Akutverläufen, bei denen es nach einer Covid-19-Infektion zunächst zu einer Besserung der Symptome gekommen zu sein schien, können schließlich Post- beziehungsweise Long-Covid-Symptome zeigen. Anhaltende Beschwerden über vier Wochen der akuten Infektion hinaus werden laut Leitlinie als Long-Covid-Syndrom bezeichnet. Das Post-Covid-Syndrom umfasst alle Symptome, die zwölf Wochen nach Erkrankungsbeginn fortbestehen oder neu auftreten und für die es keine ersichtliche andere Ursache gibt. 

»Die körperlichen und seelischen Einschränkungen kommen oft plötzlich und mit großer Wucht«, erklärte Referentin Martina Dreeke-Ehrlich bei einer Fortbildungsveranstaltung der Apothekerkammer Niedersachsen. Die Apothekerin sprach von einer Art Rebound-Effekt. Das Ungewisse: »Wen es trifft, weiß man nicht.« Doch entkräfte das Phänomen Long Covid das Argument, dass das Coronavirus für junge Menschen, Personen ohne Vorerkrankungen und Kinder grundsätzlich nicht gefährlich sei. Auch diese seien sehr oft betroffen, betonte die Pharmazeutin, die in ihrer Apotheken-Praxis Long/Post-Covid-Patienten betreut und begleitet.

Tiefe körperliche und geistige Erschöpfung

An Long Covid erkrankte Menschen, so die Vorsitzende des Fortbildungsausschusses der Apothekerkammer Niedersachsen, klagten sehr oft über häufig auftretende und überwältigende Gefühle körperlicher und geistiger Ermüdung, zumeist verbunden mit dem dringenden Bedürfnis nach Ruhe. Der Alltag sei für sie zumeist nicht mehr leistbar.

Schon nach geringfügigen Anstrengungen komme es zu einer starken Zunahme der per se bereits tiefen Erschöpfung häufig begleitet nicht nur von intensivierten Kopf-, Muskel-, Glieder- und Thoraxschmerzen sowie kardialen Beschwerden, sondern auch von »Brain Fog«, sprich: Nebel im Hirn mit Störungen der Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses, der Informationsverarbeitung, der Handlungsplanung, der Wortfindung und der generellen mentalen Leistungsfähigkeit.

Diese sogenannte Belastungsintoleranz sei als postexertionelle Malaise (PEM) bekannt. Die Patienten, so Dreeke-Ehrlich, beschreiben es als den totalen »Crash«. Oftmals seien sie in der Folge nicht einmal mehr in der Lage, nur wenige Treppenstufen zu bewältigen, geschweige denn, ihrer beruflichen Tätigkeit nachzugehen oder an gesellschaftlichen Unternehmungen teilzunehmen. »Nichts geht mehr. Das bin nicht mehr ich«, so wird der Gesamtzustand gemäß der Ausführungen von Dreeke-Ehrlich oft beschrieben.

Patienten an Selbsthilfegruppen und Ambulanzen verweisen

Zusätzlich, so Dreeke-Ehrlich, leiden die Erkrankten unter dem Tatbestand, dass sie (obwohl das Wissen zur Existenz des Phänomens Long und Post Covid derzeit enorm wachse) in ihrem persönlichen Umfeld und auch ärztlicherseits häufig auf Unverständnis und Hilflosigkeit stoßen. Umso wichtiger sei es, dass die Apotheke als niedrigschwellige Anlaufstelle mit Information und Beratung zur Stelle steht.

Es gebe verschiedene Theorien zur Entstehung der Langzeitfolgen von Covid-19-Infektionen: Eine gehe davon aus, dass es bei Post Covid unter Bildung von Auto-Antikörpern zu überschießenden Reaktionen des Immunsystems kommt. Eine andere besagt, dass das SARS-CoV-2-Virus im Körper überdauern kann und zu Gewebe- und Organschäden führt.

Wie auch immer: Gerade weil es derzeit noch an gesicherten medikamentösen Therapie-Optionen zur ursächlichen Behandlung von Long/Post Covid fehle, müssten die Patienten zur Selbsthilfe und Selbststärkung angeregt werden, machte Dreeke-Ehrlich deutlich. In diesem Zusammenhang komme dem Verweis auf die Patienten-Leitlinie »Long-/Post-Covid-Syndrom« für Betroffene, aber auch für Angehörige beziehungsweise nahestehende und pflegende Personen besondere Bedeutung zu.

Zudem könne die Vermittlung der Adresse einer der bundesweiten Selbsthilfegruppen, deren Zahl derzeit zunehmend wachse, sinnvoll sein. Darüber hinaus sollte die Apotheke die Adressen von Spezial-Ambulanzen parat haben, die einige Kliniken zwischenzeitlich eingerichtet haben.

Nicht über die eigenen Grenzen gehen

Ob Kopf-, Glieder- oder Halsschmerzen, ob schmerzlindernde oder entzündungshemmende Wirkstoffe: Die symptomatische Therapie orientiere sich derzeit an den Krankheitszeichen, die behandelbar sind. Zusätzlich, so Dreeke-Ehrlich, müssen die Patienten in der Apotheke ermutigt werden, mit den eigenen Kräften hauszuhalten und nicht über die eigenen Grenzen zu gehen.

Die verfügbaren Kräfte richtig einzuteilen wird als »Pacing«-Strategie bezeichnet. Danach sind nur leichte, den verminderten Ressourcen angepasste Tätigkeiten und körperliche Aktivitäten ohne Überlastung, so zum Beispiel tägliches kurzes Spazierengehen, angezeigt. In den ersten Wochen nach der Infektion sollte beim Vorliegen anhaltender Symptome zu viel Anstrengung vermieden werden. In der Praxis bedeutet das, für ausreichend Ruhe, Entspannung und Schlaf zu sorgen sowie physischen und mentalen Stress zu meiden, da die Symptome anderenfalls verstärkt werden können.

Auch ein Zuviel an Reizen durch TV, Computerspiele oder Mobiltelefone sollte vermieden werden. Zudem könnten spezifische Entspannungstechniken wie autogenes Training, Meditation oder auch professionelle Atemübungen hilfreich sein. Dreeke-Ehrlich nannte das »angemessene Schritthalten mit der eigenen Belastungsgrenze bei allen Aktivitäten dringend notwendig«.

Arzneistoffe gegen Long Covid in klinischen Studien

Als Ursache werde unter anderem eine Sauerstoffunterversorgung von Gewebe und Organen vermutet. Nicht zuletzt die Feinsteuerung der Blutverteilung unter Belastung könnte in Folge der Covid-19-Infektion noch beeinträchtigt sein.

Um effiziente Therapien gegen Long Covid entwickeln zu können, müssen die Pathomechanismen besser verstanden werden, machte die Referentin abschließend deutlich. Untersucht werde derzeit der Nutzen unter anderem von Atorvastatin, dem positive (antiinflammatorische) Effekte durch die Verbesserung der Gefäßfunktionen zugeschrieben werden. Im Rahmen der sogenannten HEAL-Covid-Studie werde außerdem das direkte orale Antikoagulans Apixaban auf seine Eignung getestet.

In klinischer Prüfung sei gleichermaßen ein Wirkstoff mit der Bezeichnung BC 007 als nicht modifiziertes Aptamer und Oligonukleotid, das präklinischen Tests zufolge Auto-Antikörper gegen G-Protein-gekoppelte-Rezeptoren neutralisieren kann. Es bestehe noch großer Forschungsbedarf.

Dringend, so Dreeke-Ehrlich, müsse schnell und effektiv zudem die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Long-/Post-Covid-Symptomen in Deutschland ausgebaut werden. Wenn eine klare Aussage auch hier nach wie vor kaum möglich sei: Neuen Daten aus Israel und Großbritannien gemäß könne die Impfung das Risiko für Long/Post-Covid nach Durchbruchsinfektionen signifikant senken.

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